Volksmusiker und Schlagersänger leiden öffentlich auf der Bühne und besingen die Untreue ihrer aktuellen oder ehemaligen Flamme, manchmal sogar mit deren echtem Namen. Politiker zelebrieren ihr Liebensleben »versehentlich« als Foto-Love-Story zum nachlesen, und selbst Normalbürger achten kaum auf Diskretion beim Fremdgehen. Liegt’s an der Bergluft? Am guten Essen? Ist es pure Lebenslust und ein gewisser Stolz auf sexuelle Eroberungen? Oder ein Relikt aus Kaiserzeiten, in denen es ganze Heerscharen von Bediensteten gab, deren Aufgabe es war, außereheliche Liebschaften bei Hofe zu verschleiern und Fremdgeh-Alibis für die männlichen und weiblichen Adeligen zu liefern – und gleichzeitig pikante Details »auszuplaudern«, damit Gerüchte über die sagenhafte sexuelle Aktivität der Herrschaften in Umlauf gelangen? Man weiß es nicht.
Fakt ist, dass der überpräsente Katholizismus und die damit verbundenen Restriktionen beim Ehe- und Scheidungsrecht offenbar einen gewissen Druck erzeugen. »Man« möchte anständig sein. »Man« geht nicht fremd, sondern lebt gefälligst moralisch einwandfrei. »Man« trägt zu bestimmten Anlässen Lederhosen und Tracht. Punkt 1 und 3 sind mit ein wenig gutem Willen und modischer Leidensfähigkeit ja noch zu bewerkstelligen. Doch Treue lässt sich nun einmal nicht erzwingen, ob nun durch weltliches gesellschaftliches Regelwerk oder einen streng katholischen Überbau. Im Gegenteil, bei so rigiden Vorgaben entsteht Gegendruck, und der will ausgelebt sein. Die daraus entstehende Doppelmoral und der geradezu exhibitionistische Umgang mit Seitensprüngen gehören zur österreichischen Kultur wie Salzburger Nockerln und Opernball.
Übrigens, Österreich praktiziert noch immer das Scheidungsrecht nach dem Schuldprinzip, wie es in Deutschland glücklicherweise längst abgeschafft wurde. Schulprinzip bedeutet: Wer fremdgeht, ist schuld. Immer. Völlig egal, unter welchen Umständen der Seitensprung erfolgte. Ob es da einen Zusammenhang gibt?
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