Ratgeber über Sexpraktiken scheinen in den englischen Bücherregalen zu fehlen. Selbst die Taschenbuchausgabe des Kamasutra wird dort offenbar nicht gelesen. Auch scheint es einen Mangel an Rasierern und Enthaarungscremes zu geben. Anders lässt sich der auffallende Wildwuchs in britischen Intimzonen nicht erklären, und zwar bei Männern wie auch Frauen.
Dass Engländer dennoch keine gänzlich lustfreien Wesen sind, wird eindrucksvoll anhand des Liebeslebens der Königshausfamilie demonstriert. Jeder Fehltritt, jede noch so kleine sexuelle Ausschweifung wird in dafür berüchtigten Blättern wie der »Sun« seitenweise abgefeiert, selbst wenn die Wahrheit längst nicht so deftig ist wie dargestellt. Mal ganz ehrlich: Sehen Sie Prince Charles vor Ihrem geistigen Auge als dauerpotenten Superstecher, nach dessen Don-Juan-reifen Liebeskünsten sich die Frauen verzehren?
Genaue Statistiken über die Seitensprung-Quote britischer Ehepaare gibt es bislang keine. Was nicht etwa daran liegt, dass keine Seitensprünge stattfänden, sondern an der britischen Tradition, bei familiären Konflikten gerne mal einen Privatdetektiv einzuschalten und gerichtsverwertbare pikante Geheimnisse ans Licht zu befördern.
Kaum ein britischer verheirateter Mann wäre so dämlich und würde in einem Fragebogen oder mit vorgehaltenem Mikrofon eine ehrliche Auskunft über sein One-Night-Stand-Verhalten geben. Ein unvorsichtiges »ja, ich bin in diesem Jahr fremdgegangen« könnte ihn teuer zu stehen bekommen. Die Finanzberatungsfirma Grant Thornton führte eine diesbezügliche Studie durch und fand heraus, dass die Hälfte aller Scheidungsfälle von privatdetektivischen Ermittlungen begleitet – und häufig zu Ungunsten des Seitenspringers entschieden wird.
Eine im »New Scientist« veröffentlichte Statistik besagt, dass nur eine von elf Frauen und einer von sieben Männern jährlich fremdgehen. Schnarch. Die britische Statistikbehörde dagegen behauptet, eine von acht Frauen hat mindestens ein ganzes Jahr lang überhaupt keinen Sex. Was wiederum erklärt, warum englische Austauschstudentinnen so beliebt bei deutschen Männern sind ... Oder wie es George Mikes, Autor und England-Experte ausdrückt: »Menschen auf dem Kontinent haben ein Sexleben. Briten haben Wärmflaschen.« Autsch!
Das sexuell derart als unfröhlich abqualifizierte Land versucht hartnäckig, dieses Image loszuwerden. So feiert man in der TV-Serie »East Enders« wilde Büro-Orgien und genussvolle, sexuelle Ausschweifungen, die alles andere als jugendfrei dargestellt werden und für eine Fernsehserie schon erstaunlich freizügig sind. Selbstverständlich finden die rauschhaften Sexspiele nicht zwischen verheirateten Partnern statt, sondern in Form außerehelicher Begegnungen. Tabulos, hemmungslos, kreativ – und perfekt rasiert. So sieht das wilde Sexleben der Engländer im Fernsehen aus. Nun ja. Fernsehen bildet.
Dieser Artikel hat 10 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Von wegen italienisches Temperament
Seite 2: Eifersüchtige Schweizer: Der Seitensprung als Staatsgeheimnis
Seite 3: No Sex, I’m british
Seite 4: Savoir vivre: Die hohe Kunst des stressfreien Fremdgehens
Seite 5: Gefährliche Abenteuer in 1001 Nacht
Seite 6: Russische Sitten: Die Geliebte als Statussymbol
Seite 7: Heiße Schwedinnen? Die gibt’s nur im Film!
Seite 8: Amerika, wie hast du dich verändert
Seite 9: Zwischen Kaiserschmarrn und Schlagersängern
Seite 10: Deutschlands neue Gelassenheit sorgt für mehr Lust