Am Anfang war sexuelle Freizügigkeit: Forscher gehen davon aus, dass zu Beginn der Menschheit Promiskuität herrschte, die sich aus praktischen Erwägungen zur Gruppenehe und schließlich über die Polygamie zur Monogamie entwickelte. Hier ging es ums nackte Überleben, sexuelle Aktivität bestimmte über Sein oder Nichtsein. Entsprechend zielorientiert waren die sexuellen Gepflogenheiten. Den Luxus der Einehe konnten sich unsere Vorfahren nicht leisten, weil sie ihr Erbgut möglichst breit streuen mussten, um ihre Überlebenschancen zu optimieren.
In der Antike waren Prostitution und außereheliche Liebe keine Fremdwörter, schreibt Andrea Bräu. Wem danach war, der konnte ganz unverhohlen geistige oder körperliche Liebe suchen. Die Nachfrage regelte das Angebot. Käufliche Liebesdienerinnen im alten Athen, sogenannte Hetären beispielsweise, waren sogar angesehener als rechtmäßige Ehefrauen, die weniger gebildet und für Kinder und Küche zuständig waren.
Auch die alten Römer trieben es unter aller Augen, wenn ihnen danach der Sinn stand: Das älteste erhaltene Bordell in Pompeji zeugt vom ältesten Gewerbe der Welt. Ohnehin waren die Römer recht hemmungslos, hat Andrea Bräu recherchiert. Kaiser Caligula beispielsweise landete einen wirklich lukrativen Coup, indem er im Jahr 37 eine Steuer für Prostitution im alten Rom einführte. Sie war also mehr als weit verbreitet, die käufliche Liebe, und jene neben der Ehe.
Ein Vergehen war Ehebruch im römischen Reich nur für Frauen. Wagte eine verheiratete Dame einen Seitensprung und erfuhr ihr rechtmäßiger Gatte davon, musste er die Causa melden, sonst machte er sich der Zuhälterei strafbar. Ehe, Sexualität und auch Liebesbetrug waren anno dazumal stark reglementiert – um die Gesellschaft zu schützen. Ehefrauen sollten Nachkommen gebären und großziehen, die Damen des leichten Gewerbes sollten für professionelle Leibesbelustigung sorgen. Lust und was man so Liebe nannte, waren also zwei Paar Schuhe.
Da ging es der weiblichen Bevölkerung im alten Ägypten schon besser: Hier könne beinah von einer Gleichstellung der Geschlechter die Rede sein, sagt Andrea Bräu. Nicht nur Kleopatra soll gleich mehrere Affären gehabt haben, mächtige Frauen dürften sich hier nehmen was sie wollten – auch in Sachen Sex und Liebe.
Einige Jahrhunderte später auf dem europäischen Kontinent ging die Angst vor dem Körperlichen um, die nicht zuletzt von der Kirche geschürt wurde. Die Ehe wurde per Kirchendekret zum Sakrament erklärt, und damit die Sexualität offiziell in die eigenen vier Hauswände verbannt. Auch hier standen praktische Überlegungen im Vordergrund: Familien waren dann besonders überlebensfähig, wenn sie zusammenhielten. Die Prostitution florierte natürlich auch hier. Allerdings wurden die leichten Damen eher als Gefahr für die heilige Ehe betrachtet.
Im späteren Mittelalter betrat dann mit den singenden Rittern eine ganz besondere Spezies die Liebesbühne: Mit schwülstigen Minneliedern verliehen sie ihrer Verehrung für in der Regel verheiratete Damen der höheren Stände Ausdruck. Diese gesittete Form des Stalking entsprang dem höfischen Liebesideal, bei dem es um die geistige Anbetung ging – nicht um sexuelle Befriedigung.
Die Neuzeit machte uns schließlich zu großen Sinnsuchern – auch in Sachen Liebe. Seit dem 15. Jahrhundert wurde es immer stärker, unser Verlangen, dem Leben Sinn abzuringen. Dabei bekam auch die Liebe einen höheren Stellenwert als Glücksbaustein, die Ehe als gesellschaftlich legitimiertes Gerüst für unsere Triebe. Die Aufklärung, schreibt Andrea Bräu, sorgte so auch dafür, dass Ehebruch aus dem privaten in den öffentlichen Raum getragen und gesetzlich geahndet wurde.
Von der beginnenden Gleichstellung von Mann und Frau im Mittelalter bis zur sexuellen Revolution im 20. Jahrhundert war es ein langer Weg. Mögen sich auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert und sich die Normen unseren Bedürfnissen angepasst haben, der Umgang mit Sexualität und Liebe ist noch immer etwas sehr Privates, das sich nicht pauschal Regeln unterwerfen lässt.
Die feste Beziehung, auch heute noch sichtbar legitimiert durch die Institution Ehe, erfüllte seit ihrer Erfindung eigentlich immer eine Schutz- und Ordnungsfunktion. Sie diente sozusagen als Intimbereich, in dem das Verhalten der Frauen kontrolliert und die Sexualität der Männer kanalisiert werden konnte. Je weiter die Gleichberechtigung der Geschlechter voranschritt, desto individueller wurden natürlich auch die Ansprüche an Liebe und Beziehung, die Ehe bekam eine andere Bedeutung. Heute ist sie seltener eine Zweckgemeinschaft, die für Nachkommenschaft, gezügelte Triebe und materielle Sicherheit sorgt. Viel öfter wird die Ehe als persönliches Bekenntnis zur Liebe verstanden.
Auch die Geschichte des Seitensprungs, erklärt Andrea Bräu in ihrem Buch Es war doch nur Sex, zeige sich als Individualisierungsprozess. Schon immer musste der Mensch seine intimsten Bedürfnisse mit den Anforderungen der Gesellschaft irgendwie in Einklang bringen. Ein schwieriges Unterfangen ist das – auch heute in Zeiten der frei verfügbaren Liebesmodelle.
Dieser Artikel hat 4 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Gestern und heute: Der Seitensprung im Wandel der Zeit
Seite 2: Von Pflichtehe über Liebesheirat bis zur offenen Beziehung – und zurück
Seite 3: Historische Seitensprünge: Was uns Römer und Griechen voraus hatten
Seite 4: Warum wir heute Sex außerhalb der Beziehung brauchen