Wir alle stellen ja heutzutage sehr hohe Ansprüche an Liebe und Partnerschaft. Nach der Devise »Ich will alles und zwar sofort!« erwarten wir eigentlich auch im Liebesleben die absolute Erfüllung – bitte einfach, möglichst schnell und bitteschön auch langanhaltend.
Diese amouröse Anspruchshaltung habe ihre Wurzeln in den gesellschaftlichen Veränderungen, schreibt der Paartherapeut Hans Jellouschek. In seinem Buch »Warum hast du mir das angetan?« bescheinigt er heutigen Liebenden einen tiefen Wunsch nach Selbstverwirklichung, der massive Auswirkungen auf das Beziehungsleben hat. Denn oftmals bleibt es nicht bei der Sehnsucht nach totaler Liebeserfüllung. Wir nehmen uns auch heraus, diese aktiv anzustreben, wenn sie uns in der aktuellen Partnerschaft nicht in erwünschtem Umfang geboten wird.
Zum persönlichen Glück gehört für die meisten von uns eine erfüllte Partnerschaft. Wie eine solche aussehen sollte, da klaffen die Vorstellungen auseinander. Eins aber ist sicher: Nicht alle bringen die Geduld auf, an einer mittelguten Beziehung zu arbeiten und sind bereit, sich auch mal mit Liebesmittelmaß zufrieden zu geben. Uns wird ja auch suggeriert, dass wir das nicht nötig haben, schließlich können wir doch einfach woanders unser Liebesglück versuchen, zur Not halt nebenbei als erotische Ergänzung zum Hausfrieden.
Ist es also eigentlich ganz simpel, ist unser Geist zwar treuewillig, das Fleisch allerdings nach wie vor recht schwach? Nein, das mit der Treue ist etwas komplizierter. Theoretisch bekennen wir uns zu ihr, praktisch knüpfen wir daran aber jede Menge Bedingungen: Der Andere muss uns glücklich machen, er soll uns sexuell zufriedenstellen, uns Anerkennung zollen und unterhaltsam sein – die liebende Wollmilchsau also sozusagen. Da es die aber nun mal nicht gibt, sind moderne Beziehungen oft eine Enttäuschung: Selten halten sie nämlich, was sie versprechen. Da kann man dann schon anderweitig in Versuchung geraten. Oder dieselbe eben ganz gezielt suchen.
Was bietet sich da besser an, als ein gepflegter Seitensprung? Heimlich womöglich, arrangiert wenn nötig, ohne Verpflichtungen, wenn es geht. Schließlich müssen wir uns ja nicht wie unsere bedauernswerten Vorfahren kampflos unserem Liebesschicksal überlassen. Zumal wir ja so aufgeklärt und tolerant sind, das Leben zu lang ist für kurze Glücksmomente und überhaupt: Carpe diem – das gilt doch auch für die Liebe, nicht wahr?
Die Möglichkeiten sind vielfältig, einen Seitensprung zu finden, ist womöglich die allerleichteste Übung. Geiz in Liebesdingen ist nicht geil, hier geht es nicht selten ums nackte Prassen: Wenn Sie in Ihrer derzeitigen Beziehung nicht alles bekommen, was Sie gerne hätten, warum sollten Sie dann nicht woanders ganz unverbindlich danach suchen? Überall springt uns die Versuchung ins Gesicht. Da scheint es ein Leichtes, einfach mal zuzugreifen. Denn die Kernbeziehung will man dann ja doch nicht aufgeben. Muss man ja auch nicht, der inszenierte Fehltritt muss nicht der Tod der Ehe sein. Ein bisschen mehr Prickeln, ein wenig erotischer Kitzel on top – wer kann und will dazu schon Nein sagen?
Auch wenn einige Fremdgeh-Befürworter und bücherschreibende Diplompsychologen den Seitensprung verharmlosen: Ganz so einfach ist die Sache mit dem heimlichen Seitensprung nicht. Hinter dem vermeintlich unkomplizierten Fremdsex liegt immer eine verborgene Ebene. Seitensprünge bringen nicht nur Orgasmen, sondern auch jede Menge Kribbeln, neue Erfahrungen, Aufregung, Tränen und Schmerz. Nicht etwa, weil jeder Seitensprung-Partner automatisch eine emotionale wie sexuelle Granate ist, sondern wegen der dazugehörenden Heimlichkeit. Der Sprung in fremde Laken wäre nur halb so dramatisch, aufwühlend und adrenalinfördernd, wenn er mit dem Wissen des Partner stattfände.
Dieser Artikel hat 4 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Gestern und heute: Der Seitensprung im Wandel der Zeit
Seite 2: Von Pflichtehe über Liebesheirat bis zur offenen Beziehung – und zurück
Seite 3: Historische Seitensprünge: Was uns Römer und Griechen voraus hatten
Seite 4: Warum wir heute Sex außerhalb der Beziehung brauchen