Worüber man heute lässig reden kann, musste man noch vor einigen Jahrzehnten tunlichst schweigen: Der Seitensprung gehört nicht mehr in die absolute Tabuzone, fast scheint es, als sei er salonfähig geworden. Wer früher in einer Beziehung oder gar Ehe steckte, musste sich ziemlich gut überlegen, ob sich das Risiko einer Affäre lohnte. Denn die harte Hand der gesellschaftlichen Kontrolle hatte ziemlich lange Finger. Eine Affäre wurde häufig als absolute Beziehungskatastrophe gewertet, der Betrüger für sein zügelloses Verhalten abgestraft.
Das waren noch Zeiten: Es gab klare Regeln für das Zusammenleben, Grenzen waren verbindlich abgesteckt. Seitensprüngen haftete der Gout des Verbotenen an, im Verborgenen ging man ihnen nach, schließlich wollte man nicht gegen den Zeitgeist lieben. Und der sah nun mal viele Jahrhunderte die eindimensionale Langzeitbeziehung vor.
Und heute? Da sieht das alles etwas anders aus. Seitensprünge sind zwar nicht unbedingt der letzte Schrei, en vogue sind sie allerdings schon. Ein bisschen wenigstens, oder was denken Sie? Vermutlich werden auch Sie der Meinung sein, dass ein Seitensprung nicht unbedingt als Lappalie in Centbeträgen vom Liebeskonto einer festen Beziehung abgebucht werden kann. Aber wenn der gemeinsame Liebesweg keine Alternative zulässt, muss man schon mal ein bisschen Fremdgehen einkalkulieren.
Für die meisten von uns ist Betrug in einer Partnerschaft jedoch ein Drama – das laut Wolfgang Krüger in über 50 Prozent aller Fälle zu einer deutlichen Verschlechterung des Beziehungsklimas führt. Für 71 Prozent der deutschen Männer, schreibt der Psychotherapeut in seinem Buch »Das Geheimnis der Treue«, sei Untreue eine regelrechte Todsünde. Nur 20 Prozent betrachten Fremdgehen als Kavaliersdelikt. Im krassen Widerspruch dazu steht die Liebespraxis: Jeder Zweite geht im Laufe einer festen Beziehung fremd, das belegen Studien.
Altes Thema – neue Möglichkeiten
Ob Kavaliersdelikt oder Todsünde – seit Menschengedenken gibt es sie: die Nebenliebe, den Ehebruch, den Seitensprung. Schon in der Bibel ist davon zu lesen, heute ist Untreue der Stoff, aus dem moderne Unterhaltung ist. Wen wundert's? Schließlich sind Liebe und Sexualität die Triebfedern allen Seins, wir würden aussterben, wenn uns diese Themen kalt ließen.Untreue bedeutet zwar noch immer meist die Aufkündigung eines Vertrauens- und Intimverhältnisses, das wir gerne als exklusiv betrachten. Aber wir gehen anders damit um: Wir sprechen offener über Bedürfnisse und haben auch den Mumm zuzugeben, dass nicht alles immer eitel Sonnenschein ist. Sozusagen kollektiv legen wir Zeugnis davon ab, dass es möglich ist, eine Person aufrichtig zu lieben – sie aber nach vielen Jahren nicht mehr wirklich zu begehren. Wohin also mit dem Bedürfnis nach aufregendem Sex, wenn man ihn nicht beim offiziellen Partner findet?
Und da wären wir schon bei den schönen neuen Möglichkeiten, die sich uns diesbezüglich heute bieten: Wer einen Seitensprung oder eine Affäre für zwischendurch sucht, muss nicht lange suchen. Im Internet wird er oder sie schnell auf Datingportalen, bei Seitensprungagenturen oder in Chat-Rooms fündig. Liebe-to-go ist hier gut zu haben – der steigenden Toleranz sei Dank. So ist auch der Umgang mit Seitensprüngen und Co. etwas laxer geworden. Unsere Offenheit gegenüber sämtlichen Spielarten der Liebe unterliegt auch einem gewissen Zeitgeist: Manche frönen in aller Öffentlichkeit ihren zügellosen Neigungen, egal ob Prominente oder Normalsterbliche.
Liegt Fremdgehen also im Trend, ist es gerade in, neben der Beziehung was laufen zu haben? Dem ist nicht ganz so, wie Sie auf den nächsten Seiten lesen.
Dieser Artikel hat 4 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Gestern und heute: Der Seitensprung im Wandel der Zeit
Seite 2: Von Pflichtehe über Liebesheirat bis zur offenen Beziehung – und zurück
Seite 3: Historische Seitensprünge: Was uns Römer und Griechen voraus hatten
Seite 4: Warum wir heute Sex außerhalb der Beziehung brauchen