Wenn sich der Partner nach Sex mit einem anderen sehnt
Lange Liebe – weniger Lust: Das erotische Verlangen nacheinander sinkt bei Paaren mit steigender Beziehungsdauer. Aber die Lust vergeht nicht wirklich. Bei manchen wächst mit den Jahren das Bedürfnis nach anderen, neuen Sexerfahrungen. Wie können Sie als Paar mit der Lust auf fremde Haut umgehen?
Wie schafft man es eigentlich, nach 10 Ehejahren und statistisch gesehenen 500 bis 1.000 Mal Sex mit derselben Person noch so richtig Lust auf den anderen zu haben? Die Paare, die nach einem Jahrzehnt Beziehung aufregenden Sex haben wie in der Anfangszeit, sind eher rar gesät. Je länger die Beziehung, desto weniger Sex: Das wurde oft nachgewiesen. Ein Hamburger Neurowissenschaftler etwa untersuchte sexuelle Gewohnheiten von Studenten. Dabei kam heraus, dass die Paare schon nach einem Jahr seltener Geschlechtsverkehr hatten als zu Anfang. Nach 6 Jahren war bei 40 Prozent der Männer und 80 Prozent der Frauen die sexuelle Lustlosigkeit deutlich angestiegen. Die Regel scheint ein zufriedenstellendes Erotikdasein an der Seite eines Langzeitpartners zu sein. Was ja gar nicht schlecht ist. Im Idealfall weichen dem heftigen Begehren tiefe Verbundenheitsgefühle – und die sind ja bekanntlich für eine dauerhafte Partnerschaft tauglicher als unstillbare Sexgier.
Lustmangel in langen Partnerschaften ist ja auch so etwas wie eine biologische Zwangsläufigkeit. Nach drei bis vier Jahren hat man sich sexuell derart an den anderen gewöhnt, dass der Körper mitsamt all seinen lusterzeugenden Hormonen und Botenstoffen gar nicht mehr so reaktionsfähig ist, erklärt Annabel Dillig in Diesen Partner in den Warenkorb legen. Zumindest in Bezug auf diese eine Person. Das führt der Journalistin nach dazu, dass die körpereigene Euphoriedroge Dopamin nur noch spärlich produziert – und damit das Verlangen weniger wird. Logisch, dass dann die Lust auf Neues, auf Sex mit anderen steigt. Fakt ist:
- Jeder vierte deutsche Mann findet, dass sein Liebesleben mehr Abwechslung vertragen könnte
- Mehr als 50 Prozent aller sexuell unerfüllten Frauen würden sich laut einer Gewis-Umfrage nach einem anderen Mann umsehen, um zu erfahren, ob der sich mehr Mühe beim Sex gibt.
Trotz aller Liebe: 4 mögliche Ursachen für Lust auf Sex mit jemand anderem
Schock: »Mein Mann hat Lust auf Sex mit einer anderen!« Ist jetzt die Beziehung im Eimer? Sind die außerpartnerschaftlichen Gelüste schlechtes Zeichen oder ist der Wunsch nach Sex mit einer anderen Person der erste Schritt zum Fremdgehen?
Wenn Sie erfahren, dass sich Ihr Partner vorstellen kann, auch mal mit jemand anderem zu schlafen, sind Sie verständlicherweise irritiert. Dabei ist diese Vorstellung ziemlich verbreitet. Die Paartherapeutin Julia Onken hat in einer Umfrage herausgefunden, dass nur wenige Paare mit ihrem Sexualleben durchweg zufrieden sind. Nur 9 Prozent der Frauen und 7,5 Prozent der Männer gaben an, der Beziehungssex entspreche ihren Wünschen und Erwartungen. Für den Rest bleibt der Hunger nach Abwechslung, ungeachtet der eigentlichen Beziehungsqualität. Selbst wenn das Sexleben insgesamt befriedigend ist, kann der Wunsch nach erotischen Erlebnissen mit anderen bestehen. Onken schreibt in Die Kirschen in Nachbars Garten, die meisten Menschen hätten irgendwann Wünsche nach Fremdsex. Ihren Recherchen zufolge fantasieren 30,5 Prozent der Männer und 15,5 Prozent der Frauen oft ihre sexuellen Wünsche mit anderen Personen. Das kann Ursachen haben, die unabhängig von der Beziehungsqualität sind:
Der Gewöhnungseffekt
Klingt wie ein Witz, ist aber eine Anekdote: Die Frau des amerikanischen Präsidenten Calvin Coolidge (1872–1933) soll bei einem gemeinsamen Hühnerhofbesuch darüber erstaunt gewesen sein, dass es dort nur einen einzigen Hahn gab. Der vollziehe den Paarungsakt bis zu zwölf Mal täglich, wurde der Präsidentengattin erklärt, die erwidert haben soll: »Sagen Sie das meinem Mann.« Als dieser davon erfuhr, erkundigte er sich: »Jedes Mal mit der gleichen Henne?« »Nein, jedes Mal mit einer anderen.« Darauf meinte Coolidge: »Sagen Sie das mal meiner Frau.« Evolutionsbiologen bezeichnen den Überdruss, der sich einstellt, wenn Tiere lange Zeit ohne Abwechslung immer wieder mit dem gleichen Partner kopulieren, als »Coolidge-Effekt«. Dieser lustmindernde Faktor ist auch bei Menschen bekannt: Es gibt zwar Paare, bei denen mit zunehmender Vertrautheit der Sex besser wird. Aber häufig schläft früher oder später das Begehren ein – und wird nur durch unbekannte Dritte wieder aufgeweckt. Schuld daran ist die Gewöhnung: Was wir täglich sehen, spüren und fühlen, kann uns nach einer Weile nicht mehr so reizen wie Unbekanntes – eben fremde Haut.
2. Das fehlende Begehren
Meist handelt es sich weniger um generelle Lustlosigkeit, sondern vielmehr um ein gemindertes Verlangen in Bezug auf diesen Partner. Fakt sei, schreibt die Psychologin Gerti Senger in Schattenliebe, dass die sexuelle Triebkraft und das Begehren nach dem anderen nur im ersten Beziehungsjahr konstant hoch seien. Danach sorgen sexuelle Gewöhnung und Beziehungsalltag für permanente Reizminderung. Die Kinder, der Alltag, der Job – die äußeren Umstände werden gerne mal als Lustkiller angeschwärzt. Aber laut Michael Mary beklagen die meisten Langzeitpaare weniger den Mangel an Sexgelegenheiten, sondern das Fehlen von Begehren. Der Paartherapeut schreibt in Mythos Liebe, Lustlosigkeit sei fast eine erwartbare Folge von Langzeitbeziehungen. Bei der heutigen Lebenserwartung müssten es Paare unter Umständen 50 oder mehr Jahre miteinander aushalten. Wer hat da noch wirklich Lust aufeinander?
3. Das Ego
Manche Menschen können die normale Desillusionierung in Langzeitbeziehungen schwer akzeptieren. Sobald der Alltag einkehrt und aus der anfänglichen Leidenschaft ein geregeltes Sexleben wird, tut sich eine Lücke auf. Und die will gefüllt werden. Vor allem Partner mit niedrigem oder übersteigertem Selbstwertgefühl brauchen sexuelle Anerkennung. Wolfgang Krüger etwa schreibt in Das Geheimnis der Treue, für narzisstische Menschen sei jede größere Lebensbelastung eine Sollbruchstelle. Sobald sie sich minderwertig fühlen, neigen sie dazu, ihr angeknackstes Selbstwertgefühl durch erotische Eroberungen wiederherzustellen. Aber auch den normal selbstbewussten Langzeitpartner kann sie erwischen: die Lust darauf, mal wieder von einem Fremden angeschmachtet zu werden. Der gewohnte Partner, mit dem man morgens aufwacht und abends einschläft, kann dem Ego kaum mehr den Kick des Begehrtwerdens verschaffen.
4. Die Neugier
»Wie wäre Sex wohl mit einem anderen?« Das fragen sich viele Menschen nach vielen Jahren Sex mit ausschließlich einer Person. Abwechslung, Neues entdecken, sich wieder anders erotisch erfahren – das Bedürfnis nach stimulierenden, da unbekannten Sinnesreizen ist weit verbreitet. Ohnehin schwelgen etliche Deutsche manchmal in Fantasien, die nichts mit dem eigenen Partner zu tun haben, ergab eine Umfrage des Casual-Dating-Portals Secret. Demnach haben 30 Prozent täglich erotische Träume, 21 Prozent sogar mehrmals am Tag. Und am aufregendsten finden 60 Prozent der Befragten die Vorstellung, Sex mit Fremden zu haben.
Was tun, wenn der Partner von Sex mit anderen träumt?
Reden!
Ihr Partner macht seltsame Andeutungen oder stellt Fragen wie »Fändest Du es okay, wenn ich mal was mit einer anderen Frau hätte?« Natürlich können Sie darüber hinweggehen oder es einfach zur Kenntnis nehmen. Vielleicht sollten Sie aber versuchen, die Botschaft dahinter zu verstehen. Etwa, indem Sie sich auf ein Gespräch darüber einlassen. Kommunikation ist für die sexuelle Zufriedenheit nämlich immens wichtig, wie das Göttinger Theratalk-Projekt herausfand. Demnach ist das Wissen über sexuelle Wünsche genauso bedeutend wie die Bereitschaft, diese Wünsche zu erfüllen. Einfach ausgedrückt: Wer nicht darüber spricht, was er sexmäßig will, kann nicht erwarten, dass der Partner darauf eingeht.
Nehmen wir mal an, Ihr Partner hat keine Ahnung davon, dass Sie gerne mal mit einem anderen Sex auszuprobieren möchten – woher wollen Sie wissen, dass er oder sie das nicht tolerieren würde? Womöglich ist es einen Versuch wert. Laut Theratalk würden nämlich die Partner den größten Teil der unerfüllten sexuellen Wünsche wahrmachen – wenn sie diese nur kennen würden: Der Anteil erfüllbarer sexueller Wünsche liegt bei Männern bei 36 und bei Frauen bei 40 ihrer sexuellen Wünsche. Vielleicht ist ja der nach Fremdsex darunter?
2. Gönnen!
Die Lust von Paaren ist niemals gleich stark ausgeprägt, drum stellt sich die Frage: Muss der eine sein Begehren unterdrücken, nur weil der andere keine Lust hat? Es gibt alternative Partnerschaftsmodelle wie offene Beziehungen und viele Mischformen, in denen die Partner sich gegenseitig Freiräume auch sexueller Art zugestehen.
Das kann ein Gewinn sein, meint Robert Betz. In Wahre Liebe lässt frei erklärt er, dass wir der sexuellen Treue einen zu hohen Wert beimessen. Eine Partnerschaft könne niemals alle Bedürfnisse beider auf Dauer befriedigen. Umso unfairer sei es, dem anderen das Ausleben triebhafter Lust zu verweigern, weil man selber kein Verlangen danach hat. Betz würde raten, dem anderen das Ausleben seiner sexuellen Wünsche mit einem Dritten zu gewähren – denn seiner Meinung nach schließt das Liebe nicht aus. Im Gegenteil: Wenn Sie Ihren Partner wirklich lieben, dann gönnen Sie ihm sinnliche Erfüllung. Überhaupt, schreibt Betz, müsse man ja nicht unbedingt miteinander Sex haben, wenn man sich liebe.
Eine Möglichkeit kann sein, eigene Toleranzgrenzen zu definieren und dem Partner in diesem Rahmen erotische Freiheit zu gewähren. Das muss nicht gleich eine Lizenz zum Seitensprung bedeuten, kann aber heißen, dass Sie Ihrem Partner seine individuelle Lust zugestehen.
3. Wagen!
Haben Sie über Ihre Bedürfnisse gesprochen, eröffnen sich vielleicht ganz ungeahnte Wege. Kommunikation ist wichtig, um langfristig auf einen gemeinsamen Sexnenner zu kommen. Man müsse zwar nicht jede intime Fantasie oder jeden geheimen Wunsch dem Partner beichten, meint etwa Wolfgang Krüger in Das Geheimnis der Treue. Aber bisweilen ist es besser, sexuelle Bedürfnisse zu artikulieren, anstatt sie totzuschweigen.
Eigentlich ist es ja auch ein gutes Zeichen: Denn Ihr Partner redet mit Ihnen, und betrügt Sie nicht heimlich. Er vertraut sich Ihnen mit seinen geheimsten Wünschen an, zwischen Ihnen herrscht also ein hohes Maß an Offenheit, was eine gute Voraussetzung dafür ist, einen gemeinsamen Weg zu mehr sexueller Zufriedenheit zu finden. Und vielleicht sind ja auch Sie insgeheim sexneugierig und können sich mal den gemeinsamen Besuch eines Swingerclubs vorstellen oder sind tendenziell offen für andere, lustbefeuernde Praktiken.
Fazit: Die Lust ist normal, der Umgang damit individuell
Es ist nicht unbedingt ein Grund zur Panik, wenn Sie von den Fremdsexwünschen Ihres Partners erfahren. Die meisten Menschen stellen sich in Langzeitbeziehungen vor, wie es wäre, mal wieder mit einem anderen Menschen Sex zu haben. Die Frage ist, wie Sie das als Paar handeln: Reden Sie darüber oder sind die erotischen Bedürfnisse Ihres Partners tabu? Verurteilen Sie ihn für die unlauteren Gelüste oder verstehen Sie den Wunsch nach Abwechslung – weil er womöglich auch bei Ihnen vorhanden ist?
Tatsache ist: Die Lust auf neue Reize ist bei vielen Menschen vorhanden und nicht zwangsläufig Anzeichen dafür, dass die Beziehung kippelt. Es ist eher Ausdruck eines körperlichen Verlangens, das sich bei etlichen Langzeitpaaren irgendwann einstellt. Und da herrscht bei vielen Menschen Schweigen: Laut einer Umfrage des Dating-Portals Secret tauschen sich nur 29 Prozent der deutschen Paare darüber aus, was ihre wahren erotischen Wünsche sind. Wenn es Ihnen gelingt, dieses Schweigen zu durchbrechen, können Sie vielleicht zu mehr sexueller Zufriedenheit finden – und zwar gemeinsam.