Die heimlichen Phantasien der Männer und Frauen
In einer mit Abstand größten Studie befragte der britische Psychologe und Psychotherapeut Brett Kahr 19.000 Frauen und Männer zu sexuellen Phantasien auf anonymen Fragebögen und in Interviews. Er hat herausgefunden, welche geheimen Wunschvorstellungen uns wirklich beschäftigen, was sie bedeuten und wie wir mit ihnen umgehen können. Das beeindruckende Ergebnis: Über 90% der Befragten phantasieren auch über Menschen, die nicht ihre festen Partner sind. Bei fast 40% spielt der Arbeitskollege oder die Kollegin eine Rolle. Jeder Dritte träumt von einem Dreier und sogar jeder fünfte von einer Orgie. Und dabei stehen weibliche Phantasien der männlichen in nichts nach - und das nicht erst seit Nancys Frydays Buch »My Secret Garden« aus den Siebzigern.Stummfilm – Das große Schweigen
Das Kopfkino, wohl eins der meist gehüteten Geheimnisse - nicht weil es an sich geheim ist, sondern weil Schuld- und Schamgefühle mit diesen heimlichen Eskapaden einhergehen. Und obwohl wir in einem Zeitalter der Alltagspornografie und einer sexualisierten Gesellschaft leben, ist es gerade die jüngere Generation, die unter ihren sexuellen Phantasien leidet. Die Wunschvorstellung treibt hier wilde Blüten, so träumen viele Männer davon, von mehreren Frauen gleichzeitig verwöhnt zu werden. Diese Vorstellung ist auch bei Frauen anzutreffen, die gerne davon träumen, mit zwei Männern oder auch mit einem Mann und einer Frau gleichzeitig Sex zu haben. Einige der Phantasien führen zu Schuldgefühlen und werfen bei den Betroffenen die Frage auf: »Bin ich überhaupt sexuell normal?«. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Träume ganz tief in uns verborgen bleiben und unsere Außenwelt nie erreichen werden.Überlegen Sie genau, wie viel Sie preisgeben
Die Wahrheit, falls diese mal ans Tageslicht gelangt, kann die Gefühle des eigenen Partners verletzen, weil er nicht das einzige Objekt der Begierde ist. Was würde da der Partner denken, wenn man es erregend findet, an den erolgreichen Chef oder die hübsche Nachbarin zu denken. Wenn diese Art der Gedanken erst einmal im Kopf des Partners auftauchen, ist es oft nur ein schmaler Grad dahin, dass es in der Beziehung zu rütteln beginnt. Besonders, wenn der andere eifersüchtig ist, kann das Teilen des Kopfkinos gefährlich werden. Denn dann stellt sich immer wieder die Frage: Wie weit würde mein Partner gehen? Würde er der sexy Kollegin ein Angebot machen? Würde sie mitgehen, wenn der heiße Tanzlehrer einen aufregenden Abend verspricht? So können geteilte sexuelle Phantasien beim Partner zu wirklichen Ängsten führen. Denn er ist sich einfach nicht klar darüber, wann aus der Vorstellung Realität wird und hat Angst davor, den Partner zu verlieren.Cyberspace Sex
Eine Abhilfe, die Angst vor solchen Vorstellungen zu verlieren, könnte das Cyberspace darstellen. Erfolgversprechende Zukunftsszenarien, in denen man seine Phantasien mit Hilfe des virtuellen Cyberspace ausleben vermag, bieten uns wie all zu oft die Filmindustrie. Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven bewies Anfang der 90er mit seinem Film »Total Recall« - in der Hauptrolle der amerikanische Gouverneur Arnold Schwarzenegger - wie echt künstlich eingepflanzte Erinnerungen sein können. Aber auch der Regisseur Steven Spielberg entwarf in seinem Science-Fiction-Thriller Minority Report ein »Cyber Palor« - eine durch Computer geschaffene virtuelle 3D Welt, in der Besucher ihre wildesten Träume ausleben konnten. Wie perfektioniert solche Szenarien werden können, zeigten die beiden Wachowski Brüder mit ihrem hochkomplexen Computerprogramm, welches als »Matrix« bezeichnet wird, die für den Geist eine von der Realität nicht zu unterscheidende virtuelle Welt generiert.Einige der kreativen Visionen mögen eine mögliche Zukunft darstellen, in der wir unsere Träume »realitätsnah« ausleben. Und vielleicht würden diese Szenarien dafür sorgen, dass Menschen weniger nach einen Seitensprung suchen würden, denn jeder Mensch könnte seine Phantasien ausleben, ohne den Partner körperlich zu hintergehen. Zu klären wäre, wie unsere Gesellschaft das »imaginäre Fremdgehen« aufnehmen und mit dieser Thematik umzugehen wüsste. Denn der Trugschluss ist eindeutig: Würden wir überhaupt noch »durchschnittlichen Sex« mit unserem Partner haben wollen, wenn wir genau wüssten, dass der Sex in unserer realitätsnahen Phantasie bei weitem erregender und erfüllender ist? Sicher, es bleibt eine Phantasie - ein Cyberspace-Szenario! Aber sind es nicht gerade die Gefühle, die uns Menschen auf Dauer am meisten verletzten können?
Träumen und träumen lassen
Zukunftsszenario Cyberspace oder gegenwärtiges Kopfkino - beides Gedanken unseres eigenen Ichs. »Die Gedanken sind frei«, wie auch schon ein altes deutsches Volkslied besagt. Deshalb braucht sich niemand für seine erotischen Abenteuer im Kopf zu schämen, selbst wenn diese mit einem netten Kollegen oder einem gut aussehenden Schauspieler stattfinden. Zu träumen und sich in sexuellen Phantasien zu verlieren, ist ein Ausdruck der persönlichen Freiheit, die uns niemand nehmen kann. Und das Tolle an einer Phantasie ist auch, dass es eine Phantasie ist.Aber wie mit den Phantasien des Kopfkinos umgehen, die uns alle bewegen und scheinbar so bedrängen? Überlegen, ob man sie in die Tat umsetzt, oder doch verheimlichen? Es ist gut, Phantasien zu haben und sie müssen auch nicht zwangsläufig ausgelebt werden, um eine gesunde und erfüllende Sexualität mit dem Partner erleben zu können. Aber zu oft wird über Szenen phantasiert, in denen Menschenmengen, unerreichbare Personen und Verwandte eine entscheidende Rolle im eigenen Kopfkino spielen, die sich innerhalb der Beziehung selten oder gar nicht realisieren lassen.
Die Frage, ob man die Phantasien mit dem Partner teilen soll, muss leider jeder selbst für sich entscheiden. Ein kleiner Trost: Ein Team um den Paartherapeuten Ragnar Beer hat in einer Studie herausgefunden, dass 71 Prozent der Wünsche von Männern und 84 Prozent der sexuellen Wünsche von Frauen wahr würden, wenn der Partner nur davon wüsste.