Oliver Schott im Interview

»Monogamie ist ein Instrument zur Verhinderung von Liebe«

Ein Interview mit Oliver Schott

Monogamie ist ein Auslaufmodell – wir spüren das irgendwie, allerdings gelingt es anscheinend den wenigsten Menschen, diese intuitive Erkenntnis für ihr eigenes Liebesleben praktisch umzusetzen. Die Freiheit, die uns alternative Beziehungsmodelle mit offenem Rahmen, also ohne Ausschließlichkeitsanspruch, geben, macht uns Angst, meint Oliver Schott. Der Berliner Philosoph, Autor des kleinen, überaus gehaltvollen Büchleins »Lob der offenen Beziehung«, findet das mehr als bedauerlich. Warum stützen wir die unhinterfragte Monopolstellung der Einliebe, obwohl sie so viele von uns offensichtlich nicht glücklich macht? Wieso sind für uns mehrere Partnerschaften hintereinander im Leben völlig normal, gleichzeitige Liebesbeziehungen jedoch für die meisten noch immer ein No-go?

Buchcover:  Lob der offenen Beziehung: Über Liebe, Sex, Vernunft und GlückDiese und andere Fragen stellt Oliver Schott, Jahrgang 1982, in seinem Buch »Lob der offenen Beziehung«, das so erhellend wie horizonterweiternd ist. Und er findet Antworten, die unseren Blick für eine offenere Liebeskultur schärfen. Nach der Lektüre wird so manch ein Leser sich fragen müssen, was eigentlich genau gegen offene Beziehungskonzepte spricht. Und warum er oder sie sich nicht die Freiheit nimmt, so zu lieben, wie er oder sie mag.

Wir haben bei Oliver Schott persönlich nachgehört und ihn nach seinem eigenen Beziehungsleben, dem Besonderen und dem Schwierigen an offenen Beziehungen und nach der Vereinbarkeit freier Liebe mit herkömmlichen Familienmodellen befragt.

Seitensprung-Fibel.de: Eine private Frage vorab: Leben Sie in einer offenen Beziehung? Wenn ja: Wie kam es dazu, wie leben Sie Ihre offene Beziehung, wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Oliver Schott: Ich möchte mein Privatleben privat halten, deswegen bitte ich um Verständnis, wenn ich keine konkreten Auskünfte zu meinem derzeitigen Liebesleben gebe... Gerne verrate ich aber so viel: Von Anfang an waren alle meine Beziehungen offen. Mir hat schon mit 15 nicht eingeleuchtet, was der Sinn von Exklusivitätsregeln sein soll und warum man einem geliebten Menschen verbieten oder auch nur missgönnen sollte, auch mit anderen schöne Erfahrungen und liebevolle Beziehungen zu haben. Die Reaktionen darauf waren mitunter bewundernd, öfter verständnislos, aber fast immer respektvoll. Das liegt sicher auch daran, dass ich meine Position hierzu immer offensiv vertreten habe. Ich habe die ja nicht aus einer Notlage heraus bezogen, sondern weil sie mir vernünftiger und besser begründet schien. Daher habe ich mich in Diskussionen mit Monogamisten nie unter Rechtfertigungsdruck gefühlt – eher war ich es, der die Monogamisten unter Rechtfertigungsdruck gesetzt hat. Man muss natürlich dazusagen, dass ich in einem sehr liberalen Umfeld lebe, seit ich zu Beginn meines Studiums nach Berlin gezogen bin; in meinem Freundeskreis sind offene Beziehungen häufiger als monogame.

Seitensprung-Fibel.de: Was ist das Spannende, das Gute, das Besondere an offenen Beziehungen?

Oliver Schott: Das Gute und Besondere ist, dass man wirklich offen und ehrlich mit seinen Gefühlen und seinem Begehren umgehen kann. Das geht in einer monogamen Beziehung nur sehr bedingt, weil bestimmte Gefühle verboten sind und man manchem Begehren nicht nachgehen darf. Man kann das mit Selbstbefriedigung vergleichen. Das ist eigentlich eine schöne und völlig harmlose Sache, aber früher wurde einem beigebracht, sich dafür zu schämen, es war verboten. Ähnlich ist es mit Liebe und Begehren für Dritte in der Monogamie. Es ist verboten und entsprechend mit Scham, Schuldgefühlen und nicht zuletzt Misstrauen behaftet. In offenen Beziehungen ist das nicht mehr so, man kann seine Gefühle und Gedanken offen mit dem anderen teilen, ihn auch einbeziehen, und es gibt dadurch auch sehr viel weniger Grund für Misstrauen. Ach so, und dann ist da natürlich noch der Vorteil, dass man den Gefühlen auch nachgehen darf... Das ist auch schön und spannend.

Seitensprung-Fibel.de: Was ist das Schwierige, das Gefährliche an dieser Partnerschaftsvariante?

Oliver Schott: Viele Schwierigkeiten kommen daher, dass wir in einer monogamen Kultur leben und dementsprechend sozialisiert wurden. Das heißt, wir sind mit Monogamie sehr vertraut, wir haben dafür Regeln, Begriffe, Verhaltensweisen. Für offene Beziehungen müssen wir umlernen, und das beinhaltet zwei Schwierigkeiten: Erstens müssen wir die alten Regeln, Begriffe und Verhaltensweisen überwinden, die wir ja verinnerlicht haben. Das ist nicht leicht. Und zweitens müssen wir auch noch herausfinden, was wir an ihre Stelle setzen können. Das müssen wir uns weitgehend selbst erschließen, weil es hierfür noch keine etablierte Kultur gibt, auf die man sich stützen könnte. Vielen fällt das schwer und es beinhaltet auch meist Gefühlschaos, denn unsere monogame Prägung erstreckt sich ja auch auf unsere Gefühle. Hinzu kommt dann meist noch ein gewisser Verlust an sozialem Rückhalt, offene Beziehungen sind ja weniger akzeptiert und angesehen, man erfährt auch viel Unverständnis.

Einige andere Schwierigkeiten bleiben wohl auch dann bestehen, wenn uns ein offenes Beziehungsmodell so zur zweiten Natur geworden ist, wie es heute für die meisten die serielle Monogamie ist. Welche Schwierigkeiten das sind, lässt sich aber kaum verallgemeinern, das hängt sehr vom Einzelfall ab. Man kann ja offene Beziehungen sehr unterschiedlich gestalten und man kann sehr Unterschiedliches an ihnen schwierig finden. Viele denken vor allem an Eifersucht, aber auch wenn die sicher immer ein Thema bleiben wird, glaube ich doch, dass sie kein so herausgehobenes Thema mehr sein wird, wenn wir die monogame Kultur, in der Eifersucht eine riesige Rolle spielt und gezielt herangezüchtet wird, einmal hinter uns gelassen haben. Eine Sache, die in offenen Beziehungen schwieriger sein kann als in monogamen, ist das Setzen von Prioritäten. Beziehungen beanspruchen viel Zeit und Energie, man kann also in die Situation kommen, sich entscheiden zu müssen, welcher Beziehung man wie viel der begrenzten Zeit und Energie widmen will.

SF: Warum wird das Thema offene Beziehung so stiefmütterlich behandelt? Haben wir Angst vor einem liberaleren Umgang mit der Liebe?

Oliver Schott: Mir scheint, in den Medien ist das Thema derzeit eigentlich relativ beliebt... Stiefmütterlich wird es aber von vielen Menschen behandelt, insofern diese sich gar nicht mit der Frage konfrontieren wollen, ob dieses Beziehungsmodell für sie in Frage kommt. Es gibt eben eine Norm, die Monogamie, und Menschen tendieren dazu, der Hinterfragung ihrer Normen zu widerstreben. Das Liebesleben ist ja kompliziert genug; wenn jemand im Lauf von Jahren und Jahrzehnten so einigermaßen gelernt hat, sich in der Welt der Monogamie zurechtzufinden, dann will der vielleicht von Alternativen gar nichts mehr wissen, etwa weil es zu mühsam wäre, jetzt nochmal alles umzulernen. Oder auch, weil er sich die Erkenntnis ersparen will, wie unnötige viele Probleme und Einschränkungen eigentlich waren und wie viele Konflikte und Verletzungen hätten vermieden werden können. Stellen Sie sich vor, sie waren in der Situation, zwei Menschen wirklich geliebt zu haben, und sie mussten sich entscheiden und haben einen aufgegeben oder vielleicht auch beide verloren, weil niemand auf die Idee gekommen ist, die einfach undenkbar war, nämlich dass das auch alles zusammen gehen könnte. Und nun kommt jemand daher und sagt: Ist doch alles kein Problem, man muss sich gar nicht entscheiden, man liebt einfach, wen man liebt. Oder denken sie an all das Begehren, dem nachzugehen man sich als Monogamist versagt, und dann kommt jemand und sagt: Ist unnötig, dem kann man ruhig nachgehen. Das heißt ja auch: All mein Verzicht, all mein Leid, auch das Leid derer, die ich geliebt habe, all das war sinnlos. Das ist sehr schmerzhaft, viele wehren sich auch aus solchen Gründen so heftig gegen die Idee offener Beziehungen.

Seitensprung-Fibel.de: Wir brauchen doch irgendwie verbindliche Absprachen für unser Zusammenleben. Wenn jeder einen Liebesfreibrief per offene Beziehung bekommt, wird dann nicht unsere hehre Partnerschaftskultur torpediert?

Oliver Schott: Ein Liebesfreibrief ist doch auch eine verbindliche Absprache. Das ist doch der Punkt. Gerade weil wir verbindliche Absprachen brauchen, sollten wir gründlich überlegen, welche Absprachen wir treffen. Genau das würde ich mir auch unter einer guten Beziehungskultur vorstellen. Das würde beinhalten, erstens, dass die Leute sich selbst, ihre Bedürfnisse und ihre Fähigkeiten einigermaßen kennen, zweitens, dass die Leute willens und fähig sind, sich auch mit ihren Geliebten auseinanderzusetzen und mit diesen solche Absprachen zu treffen, drittens aber auch, dass insgesamt in der Gesellschaft anerkannt wird, dass jeder seinen eigenen Weg gehen kann und soll. In so einer Kultur würde man anderen und ihren Beziehungen daher mit dem gebotenen Respekt begegnen und nicht mit Vorurteilen, moralischer Hochnäsigkeit oder gar Pathologisierung. Wenn man die Beziehungskultur, die wir heute haben, an diesem Ideal misst, dann bin ich in der Tat der Meinung, dass es da reichlich zu torpedieren gibt.

Seitensprung-Fibel.de: Monogamie, schreiben Sie, sei eigentlich ein Instrument zur Verhinderung von Liebe. Wieso das?

Oliver Schott: Monogamie unterscheidet sich von offenen Beziehungen ja nur dadurch, dass sie bestimmte Liebesbeziehungen verbietet, die in offenen Beziehungen nicht verboten sind. Sie ermöglicht keinerlei neue Liebesbeziehungen und entgegen anderslautender Werbeversprechen auch keine Qualität von Liebe, die in offenen Beziehungen schwerer oder gar nicht erreichbar wäre. Sowohl in der offenen Beziehung als auch in der Monogamie wird Liebe erst einmal positiv bewertet, aber in der Monogamie heißt es dann plötzlich: »Moment, diese Liebe ist nun aber schlecht, denn du hast ja schon eine andere! Du musst dich entscheiden: Entweder – oder.« Es darf nur eine Liebe zugleich geben, jede andere muss verhindert werden. Der Vertreter offener Beziehungen sagt dagegen: »Zwischen zwei Lieben musst du dich erstmal ebenso wenig entscheiden wie zwischen zwei Kindern oder zwei Freunden. Liebe ist doch gut, also ist eine weitere Liebe ein Geschenk und kein Unglück.«

Seitensprung-Fibel.de: In offenen Beziehungen kommen im Idealfall zwei Menschen zusammen...

Oliver Schott: Es können auch mehr als zwei sein! Genau das lässt man doch offen.

Seitensprung-Fibel.de: ...die die gleichen Bedürfnisse ausleben wollen. Was ist, wenn einer gerne verschiedene Liebesverhältnisse zur gleichen Zeit haben möchte, der andere aber trotz einer tendenziellen Offenheit »the one and only« sein will?

Oliver Schott: Zunächst möchte ich betonen, dass diese Frage alle betrifft – Monogamisten nicht weniger als diejenigen, die offene Beziehungen führen. Sie wird aber immer nur letzteren gestellt. Niemand fragt Monogamisten: Was ist, wenn der andere doch gerne hin und wieder mal eine Affäre hätte? Dabei sollten Monogamisten sich diese Frage durchaus stellen. An einer Beziehung sind schließlich immer mehrere Menschen beteiligt, es gibt immer die Möglichkeit konfligierender Wünsche und Bedürfnisse. Diese Konflikte zu erkennen und auszutragen, Lösungen zu suchen, mit denen alle einverstanden sind, und im schlimmsten Fall auch einzusehen, dass eine Beziehung nicht bestehen kann, weil sich eine solche Lösung nicht finden lässt – das sind Probleme, die sich immer stellen, übrigens nicht nur in Bezug auf die Wahl des Beziehungsmodells.

Um aber ein wenig konkreter zu antworten: Beide Beteiligten müssen sich fragen, was für sie verhandelbar ist und was nicht; oder auch, auf welche Wagnisse sie sich eventuell einzulassen bereit sind und auf welche nicht. Wenn die »tendenzielle Offenheit« weit genug geht, ist die fragliche Person vielleicht willens, sich über ihre Eifersucht und ihr Exklusivitätsbedürfnis hinwegzusetzen. Wir werden in einer Kultur sozialisiert, für die Monogamie eine Selbstverständlichkeit ist. Für viele bedeutet es einen Kampf, da herauszukommen und das zu überwinden. Wenn jemand das versuchen will – es ist natürlich immer ein Versuch mit ungewissem Ausgang, aber das ist Liebe ja sowieso immer –, dann gut. Andererseits kann man das natürlich von niemandem fordern. Wenn ich jemanden liebe, der darauf besteht, »the one and only« zu sein, dann muss ich mich entscheiden, ob ich mich darauf einlasse oder nicht. Unredlich und respektlos wäre es dagegen, wenn ich mich offiziell darauf einlasse, aber heimlich darauf spekuliere, den anderen doch noch konvertieren zu können. Es kommt in diesen Fällen sehr darauf an, ob jemand sich selbst wirklich ändern will – aus eigenem Antrieb, nicht nur um den Partner zu behalten. Man darf nicht versuchen, den Partner zu ändern, aber man darf ihm helfen, sich selbst zu ändern. Das gilt wiederum in beide Richtungen. Es ist falsch, jemanden zu einer offenen Beziehung zu drängen, aber jemanden zur Monogamie zu drängen, ist nicht unbedingt besser. Seltsamerweise wird das oft übersehen.

Seitensprung-Fibel.de: Offen ist ja schön und gut, wenn es ein Paar in gegenseitigem Einvernehmen praktiziert. Was aber ist, wenn Kinder da sind, wie passt das Konzept Familie zum offenen Beziehungsmodell?

Oliver Schott: Die Unterschiede zwischen monogamen und offenen Beziehungen haben mit Kindern und Familiengründung im Grunde nichts zu tun. Wenn man einmal begriffen hat, dass offene Beziehungen per se keineswegs weniger verbindlich oder dauerhaft sind, ist das eigentlich schon klar. Für die Kinder macht es keinen Unterschied, ob dieser Freund oder jene Freundin der Eltern zu diesen in einem nicht nur platonischen Verhältnis steht. Und im negativen Fall macht es auch keinen Unterschied, ob die Beziehungsprobleme der Eltern Probleme einer monogamen oder einer offenen Beziehung sind.

Mit dem »Konzept Familie« meinen Sie vermutlich das der bürgerlichen Kleinfamilie. Man muss sich vor Augen führen, dass diese Form der Familie überhaupt erst seit rund zweihundert Jahren existiert. Zur allgemeinen Norm wurde sie vor noch viel kürzerer Zeit, und heute löst sich diese Norm wieder auf, auch ganz ohne Zutun anderer Beziehungsmodelle, schon allein durch die steigenden Trennungsraten, wodurch Patchwork-Familien und insbesondere alleinerziehende Eltern häufiger werden. Das »Konzept Familie« verändert sich, das hat es immer getan, das wird es weiterhin tun. Die Kleinfamilie hängt mit vielen sozialen und kulturellen Fortschritten zusammen, die ich keineswegs leugnen will, aber dennoch scheint sie mir sowohl für Kinder als auch für Eltern viele Nachteile zu haben. Kinder wachsen tendenziell zu isoliert auf, mit nur ein oder zwei Geschwistern oder als Einzelkinder, und auch zu stark fixiert auf die Eltern oder sogar nur einen Elternteil. In größeren Gruppen sozialisiert zu werden, wäre für die Entwicklung des Sozialverhaltens, aber auch für das Lernen generell viel besser. Andererseits werden die Eltern – de facto in allererster Linie die Mütter – komplett überlastet, weil sie praktisch ununterbrochen für ihr Kind verantwortlich sind und diese Aufgabe kaum je abgeben können, wenn nicht gerade Großeltern zur Hand sind. Das ist völlig ineffizient und weder für die Eltern noch für die Kinder gesund.

Ein offenes Beziehungsmodell hat hier hauptsächlich den einen Nachteil, dass es ein Risiko gibt, Opfer von Diskriminierung zu werden – und zwar nicht nur für einen selbst, sondern auch für die Kinder. Das hängt natürlich stark vom Umfeld ab und davon, wie diskret man sein Beziehungsleben handhaben kann. Wobei Diskretion nicht so einfach ist, denn das würde, zumindest in einem bestimmten Alter, auch bedeuten, es vor den Kindern zu verstecken, denn Kinder verstehen ja noch nicht, was es heißt, diskret zu sein. Es ist eigentlich unsäglich, dass gerade das Thema Kinder immer wieder und völlig irrationaler Weise als Ausrede für Intoleranz herhalten muss. Man denke auch an gleichgeschlechtliche Paare, da gibt es dieselbe heuchlerische Diskussion: »Aber was ist mit den Kindern?« Was soll schon mit ihnen sein? Wenn die Erwachsenen eine glückliche, stabile Beziehung führen, in der alle respektvoll miteinander umgehen, ist das ein gutes Umfeld für Kinder. Das hat nichts mit sexueller Orientierung oder Exklusivitätsregeln zu tun.

Seitensprung-Fibel.de: Viele Menschen verbinden den Begriff offene Beziehung automatisch mit Sex: Man stellt sich dann vor, dass einer gerne den Geborgenheitsservice im trauten Heim genießen will, zugleich aber außerhäusig auf erotische Pirsch gehen möchte. Gibt es gute versus schlechte Varianten der offenen Beziehung?

Oliver Schott: So, wie man monogame Beziehungen offensichtlich besser oder schlechter führen kann, kann man natürlich auch offene Beziehungen besser oder schlechter führen. Es gibt da durchaus allgemeingültige Regeln – nämlich die Regeln der Moral. Andere zu hintergehen, ihr Vertrauen zu missbrauchen, andere auszunutzen, Unehrlichkeit – das zählt als schlechte Beziehungsführung. Das gilt – wieder einmal – für offene Beziehungen ebenso wie für monogame. Es gibt also schlechte Varianten offener Beziehungen in genau demselben Sinn, in dem es auch schlechte Varianten monogamer Beziehungen gibt, nämlich aufgrund solcher Kriterien – etwa weil die Beziehung so arrangiert ist, dass Machtungleichgewichte entstehen, die emotionalen Missbrauch und Ausbeutung begünstigen.

Dagegen halte ich gar nichts von der nach wie vor so verbreiteten Tendenz zur Abwertung von Sexualität. Die kann man auch bei manchen Polyamoristen beobachten, die auf Leute herabschauen, denen es vermeintlich »nur um Sex« geht, namentlich auf Swinger. Was soll das heißen, nur um Sex? Sex ist doch nichts Unwürdiges. Sexuelle Erfahrungen, auch solche mit ganz unvertrauten Partnern, können unter Umständen ganz schön profund, ja existentiell sein. Hinter dieser Wendung »nur Sex« steckt doch die alte Sexualfeindlichkeit, die, so sehr sie auch schon nachgelassen hat, unsere Kultur immer noch stark prägt. Sex ist nichts Niedriges, Vulgäres, dem die Liebe gegenüberzustellen wäre als etwas Reines, Heiliges, wodurch dem an sich profanen Sex erst Bedeutung verliehen würde. Auf die Fragen, die sich hier stellen, muss jeder seine eigenen Antworten finden: Wie viel oder wenig bedeutet mir Sex? Welche emotionale Wirkung hat es auf mich, eine sexuelle Beziehung einzugehen? Will ich Sex mit wenigen, vertrauten oder lieber mit vielen, auch unbekannten Partnern haben? Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere. Promisk zu sein, spricht noch lange nicht für einen oberflächlichen Charakter – so wenig, wie eine restriktive Auswahl der Sexualpartner einen automatisch zu einem tiefgründigen Menschen macht. Wer auf »erotische Pirsch« gehen will, soll das tun – es aber vielleicht besser anders formulieren, denn gerade das Modell von Jäger und Beute ist doch überaus bedenklich, wenn es darum geht, sexuelle Beziehungen zu charakterisieren. Und wenn jemand »Geborgenheitsservice« im trauten Heim haben will, ist daran erstmal auch nur die Wortwahl anrüchig, denn ein Service, also eine Dienstleistung, ist das ja hoffentlich nicht. Aber Geborgenheit, dafür ist ein trautes Heim doch da, und wenn man dem Partner dieselbe Geborgenheit bietet, ist doch alles okay. Das wird doch nicht entwertet, nur weil man daneben noch viel Sex mit wechselnden Partnern hat. Wobei man hinzufügen muss, dass diese Vorstellung eines ausschweifenden Sexuallebens sowieso weniger mit der Realität offener Beziehung zu tun hat als mit den unterdrückten Wünschen, die Monogamisten auf diese projizieren.

Lieber Herr Oliver Schott, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!



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