Eine wichtige Rolle spielt bei der Hypersexualität das Limbische System. Es wird auch als emotionales Gedächtnis bezeichnet und funktioniert recht simpel: Ein Erlebnis sorgt für einen euphorischen Gefühlszustand. Erfolg, Verliebtsein, ein Orgasmus, tolles Essen, es kann alles sein. Die Situation wird mit dem Glücksgefühl untrennbar verbunden, abgespeichert und bei jedem Gedanken daran rückblickend positiv erlebt. Nicht aufgrund der tatsächlich erlebten Tatsachen, sondern aufgrund des damit verbundenen Empfindens. Genau so entstehen schöne Erinnerungen. Soweit, so ungefährlich.
Ungesund wir das Ganze, wenn die scheinbare Wiederholbarkeit solcher Glücksmomente als Mittel zum Zweck benutzt wird. Die Befriedigung wird vom tatsächlichen Handeln abgekoppelt und auf ein anderes Thema übertragen. Unbewusst natürlich. Dabei müssen Bedürfnis und Handlung auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben! So kann es einem Sexsüchtigen z.B. Lustgewinn bereiten, Papier zu zerreißen. Oder sich mit einer Rasierklinge in den Arm zu ritzen. Oder im Internet verschiedene Identitäten vorzutäuschen und Sex zu simulieren. Der tatsächliche Akt, die Selbstbefriedigung oder auch der erzwungene Sex dienen dann lediglich als Katalysator, durch den sich die körperliche Reaktion und der damit verbundene Botenstoffcocktail abrufen lässt.
Heilung und Therapie
Einen »sanften Entzug« gibt es nicht. Auch wenn Selbsthilfegruppen diesen Eindruck vermitteln. Wer nicht nur über seine Hypersexualität reden, sondern von ihr loskommen will, der hat keine andere Wahl, als seinen Dämonen die Stirn zu bieten und sich in eine Einzeltherapie zu begeben.Stellt sich dabei heraus, dass tatsächlich ein verschüttetes Kindheitstrauma als Ursache der Hypersexualität vorliegt, beginnt ein Höllenritt in die Vergangenheit, dessen Verarbeitung mehrere Jahre dauern kann - aber die Heilung und eine äußerst gewinnbringende Lebensveränderung zur Folge hat.
Am Anfang ist absolute Abstinenz gefordert, auch innerhalb einer etwaigen Partnerschaft. Und zwar so lange, bis die zugrundeliegenden Ursachen in einer Gesprächstherapie herausgearbeitet und beleuchtet wurden. Alle bisherigen Suchtbefriedigungsmittel müssen konsequent gemieden werden. Keine Sexchats, kein Bordellbesuch. Manche Therapeuten verlangen vom Patienten auch, dass er ein Sex-Tagebuch führt und z.B. angibt, wie oft er masturbiert. Begleitend kann durch Antidepressiva mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmer für eine halbwegs ausgeglichene Stimmungslage gesorgt werde, die Rückstürze in die berühmten »schwarzen Löcher« verhindert. Vor allem, wenn ein verdrängtes Kindheitstrauma aufgearbeitet wird und sich der Betroffene plötzlich unvermutet als Opfer von Gewalttaten oder Missbrauch definieren muss, kann das ein schwerer Schock sein. Hier besteht die Gefahr, nach dem Belohnungsprinzip in alte Befriedigungsmechanismen zurückzufallen.
Das klingt nüchtern, traurig und so gar nicht nach genussvollem Sexleben. Und genau so ist es. Sexsüchtige sind keine omnipotenten Genussmenschen, sondern genau das Gegenteil: Sie können nicht genießen. Und leiden darunter. Ein ehemaliger Betroffener formuliert es so: »Wer sexsüchtig ist, kann sich nicht verlieben, weil er voller Selbsthass steckt. Ich wollte so nicht länger leben.« Aber genau aus diesem Leidensdruck erwächst die Motivation zu einer Therapie.
Die gute Nachricht: Hypersexualität ist in vielen Fällen heilbar. Die Lohn für die langwierige, oft mit Seelenschmerz und Rückschlägen verbundene Therapie ist ein sinnliches, harmonisches sexuelles Empfinden und die Fähigkeit zu echter partnerschaftlicher Sexualität.
Dieser Artikel hat 2 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Asexuell – No Sex please
Seite 2: Hypersexualität – die Rolle des limbischen Systems