Und dennoch gibt es Menschen, die einfach nicht wollen. Sie sind asexuell. Ein Thema, das relativ selten in den Medien auftaucht, weil es nun mal nicht »sexy« ist. Rund 1 Prozent aller Menschen empfinden nicht sexuell und fühlen sich niemals zu anderen Menschen körperlich hingezogen. Wobei deutlich mehr Frauen als Männer asexuell sind. Zu diesem Ergebnis kommt der kanadische Wissenschaftler Anthony Bogaert mit seiner Studie, an der über 18.000 Briten teilnahmen.
Keine Krankheit, sondern Ansichtssache: Asexualität im Alltag
So paradox es klingt, aber Asexualität ist eng verwandt mit Sexsucht. Es gibt sogar Fälle, in denen sich Sexsucht und Asexualität im Laufe eines Lebens mehrmals abwechseln, wodurch sich die Persönlichkeit des Betroffenen jedes Mal drastisch verändert! Auch hiervon sind zum größeren Teil Frauen betroffen.In beiden Fällen liegt ein gestörtes sexuelles Empfinden vor, das zu einer Fehlwahrnehmung des eigenen Körpers führt. Was keinesfalls heißt, das Asexuelle in irgendeiner Weise »gestört« sind. Es bedeutet lediglich, dass bestimmte Botenstoffe und Instinkte fehlen, die bei den meisten Menschen vorhanden sind und für spürbare Lust auf sexuelle Begegnungen sorgen.
Peer Briken vom Institut für Sexualforschung Hamburg sagt: »10 Prozent aller Menschen machen mindestens ein Jahr lang keinerlei sexuelle Erfahrungen, 1-2 Prozent hatten sogar in ihrem ganzen Leben noch nie Sex.« Das internationale Netzwerk »Asexual Visibility and Education Network« AVEN unterscheidet vier Typen der Asexualität:
- Typ A empfindet sexuell, befriedigt sich selbst, würde aber niemals Sex mit einem anderen Menschen haben.
- Typ B empfindet Liebe ohne Sexualtrieb und genießt Zärtlichkeiten, die jedoch nicht zu sexuellen Kontakten führen.
- Typ C empfindet Liebe, pflegt Freundschaften und sogar Partnerschaften, masturbiert und genießt sexuelle Phantasien, ohne sie jemals mit einem Partner auszuleben
- Typ D kennt weder sexuellen Trieb noch emotionale Nähe zu anderen Menschen, auch tiefe Freundschaft und Liebe können nicht empfunden werden.
Gesunde Lebensweise oder therapiebedürftige Störung?
Was für sexuell aktive Menschen beinahe unvorstellbar scheint: Asexuelle fühlen sich keineswegs eingeschränkt, sondern empfinden es als befreiend, ohne Sex zu leben und auch nicht ständig damit konfrontiert zu werden.Auf Internet-Plattformen wie www.asexuality.org tauschen sich Betroffene aus. Im Dialog wird deutlich, dass Asexuelle sich in den seltensten Fällen als Exoten oder gar »krank« fühlen, sondern eine sexlose Lebensweise als Teil ihrer Identität betrachten und von ihrer Umwelt entsprechend respektiert werden möchten. Auch das landläufige Vorurteil, dass Asexualität auf eine unterdrückte Homosexualität hindeute, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Unfug.
Eine Frage, die sich Betroffene, Partner und Außenstehende immer wieder stellen: Woran erkennt man denn nun, ob die Asexualität eine »gesunde«, also freiwillig gewählte Lebensweise ist oder tatsächlich eine psychische Störung?
Peer Briken bringt es auf den Punkt: »Asexualität ist für mich eine normale sexuelle Orientierung wie Hetero-, Bi- oder Homosexualität.« Wer damit glücklich ist, sollte also genau so leben. So finden nicht zuletzt dank entsprechender Plattformen immer mehr asexuelle Paare zusammen, die eine sexlose, glückliche Beziehung leben und nichts vermissen – und sich nicht mit dem Erwartungsdruck konfrontiert sehen, ein sexuell »funktionierendes« Wesen im Alltag sein zu müssen.
Das heißt umgekehrt: Wer gegen seinen Willen asexuell lebt und darunter leidet, sollte sich Hilfe holen. Sonst entsteht im ungünstigsten Fall aus dem sexuellen Frust eine Depression, die eine Lebenskrise zur Folge haben kann. Das gilt besonders, wenn die Asexualität in einer bereits lange bestehenden Partnerschaft neu auftritt und diese zu zerstören droht.
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