Buchrezension: Liebe und Sex in Zeiten der Untreue | Dirk Revenstorf

(S)Ein Herz dem Partner geben

Hoffnung in liebesunsicheren Zeiten

Viele Menschen sind in Beziehungen heutzutage zutiefst verunsichert. Sex ist allgegenwärtig, Partnerschaften das Salz in der Glückssuppe und Fremdgehen längst kein Tabu mehr. Wo stehen wir da? Und was ist eigentlich möglich?

Die Inhalte dieser Buchrezension:

Wir alle wollen Liebe. Und jeder meint, er habe ein Anrecht auf eine besonders erfüllende Beziehung. Unser Anspruchsdenken macht uns dabei ziemlich unfrei. Denn mittlerweile geht es nicht mehr darum, Glück zu haben, sondern es unter allen Umständen zu erlangen: Wir dürfen nicht, wir müssen glücklich sein. Zugleich gelten Werte, Konventionen und Tabus nichts mehr.

Wie unter diesen Voraussetzungen eine Beziehung gelingen kann, darum geht es in diesem Buch. Der Psychologe und erfahrene Paartherapeut Dirk Revenstorf, Jahrgang 1939, erklärt, wie Menschen angesichts der großen Verunsicherung in Sachen Liebe und Sex gute Beziehungen führen können. Untreue ist dabei allgegenwärtig. Denn durch die vermeintlich offene Art, wie wir heute mit Liebe, Sex und Erotik umgehen, ist verbindliche Orientierung verloren gegangen. Manche Menschen blühen auf angesichts der vielen Freiheiten. Andere gehen im Wust der Möglichkeiten unter. Untreue spielt dabei eine Hauptrolle – als Damoklesschwert, das über jeder längeren Partnerschaft schwebt, als Lockvogel der Verführung und als Liebesverlaufsanzeiger.

»Untreue ist immer noch besser als halbherzige Treue.«

Dirk Revenstorf

Kein Grund zu verzweifeln, meint Revenstorf. Sein Buch soll Plädoyer dafür sein, die Liebe im Fall der Untreue nicht aufzugeben. Sachlich und überzeugend ermutigt er dazu, sie einigermaßen gelassen hinzunehmen, vielleicht sogar aus ihr etwas zu lernen und daran zu wachsen.

Buchvorstellung: Liebe und Sex in Zeiten der Untreue. Wege aus der Verunsicherung.

Darum geht's:

Liebe sei der Renner auf dem Glücksmarkt, schreibt Revenstorf. Viele Menschen sehen sie als das Wertvollste im Leben – und betrachten Beziehungen als etwas, das man optimieren kann und muss. Darum seien Partnerschaften heute auch so eine Art Konsumgut. Als essentieller Teil unseres höchstpersönlichen Glücksanspruches sollen sie uns Wohlbefinden, Erfüllung und Freude bescheren. Tun sie das nicht, liegt es an uns, sie zu optimieren. Scheitern erlauben wir uns nicht, Scham und Prüderie kennen wir nicht mehr. Wir streben ganz unbefangen nach dem persönlichen Glück – das zum größten Teil in einer sexuellen Partnerschaft zu finden ist. Die Schwierigkeiten, die dieses konsumorientierte Denken in Liebesdingen bewirkt, liegen auf der Hand. Wir rennen Vorstellungen hinterher, die nicht der Realität entsprechen.

Der Druck steigt, wer keine gute Beziehung hat, dem wird das oft selbst angelastet. Geht eine Liebschaft auseinander, suchen wir einen Schuldigen – einer muss es ja verbockt haben. Und dann ist da noch die Untreue. Unterschwellig ist sie omnipräsent, wird uns als verführerische Option in der Werbung und den Medien präsentiert, geistert als Angstgespenst in Beziehungen herum und gilt als letzter Ausweg aus einer unbefriedigenden Partnerschaft.

Dabei steckt mehr dahinter – Revenstorf erläutert das präzise und verständlich. Und er macht Hoffnung: Die Paarbeziehung hat ihm zufolge eine lange Zukunft – trotz aller Gefährdungen.

Dieses Buch ist etwas für Sie, wenn

  • …Sie einen intellektuellen Zugang zum Thema Untreue suchen
  • …Sien ihrer Beziehung festhalten wollen – und Ermutigung dazu suchen,
  • …Sie verunsichert sind angesichts der vielen Wahlmöglichkeiten und Probleme in Beziehungen
  • ...Sie in einer Beziehungskrise stecken – und nicht so recht wissen, wie sie mit der Untreue in ihrer Partnerschaft umgehen können.

So ist der Inhalt strukturiert:

In 10 Kapiteln führt Revenstorf durch das vielschichtige Thema. Vorwort und Schluss bilden den Rahmen.

  • Zunächst analysiert er die derzeitige Beziehungskultur, erläutert, wie wir heute Partnerschaften leben und was wir (eigentlich) von der Liebe erwarten.
  • Danach behandelt er ausführlich das Thema Untreue: Gründe, Folgen und Regeln werden beschrieben.
  • Basierend darauf werden Auswege aus der Verunsicherung aufgezeigt und wie Sex und Liebe in langen Beziehungen aufrechterhalten werden können.
  • Angereichert werden die theoretischen Ausführungen durch anschauliche Beispiele aus der Praxis

Das steckt im Buch

Revenstorf hat jede Menge Wissen prägnant zusammengefasst und gibt so ein umfassendes Bild der grassierenden Verunsicherung in Sachen Sex und Liebe.

Hier sind aus jedem Kapitel ein paar Essenzen:

2. Kapitel: Postmoderne Beziehungskultur

  • Den Zuwachs an Freiheit bezahlen wir mit dem Verlust an Orientierung.
  • Beziehungen werden immer wichtiger für uns – die Emanzipation in Liebesdingen ist aber noch nicht vollendet.

3. Der Untergang des Patriarchats

  • Das Rollenverständnis hat sich grundlegend verändert.
  • Das bringt neue Herausforderungen: Die Gleichschaltung der Geschlechter im privaten Bereich sei eine Katastrophe, schreibt Revenstorf. Sie könne die erotische Spannung in der Beziehung vernichten.

4. Glück und Liebe

  • Glücklichsein ist ein gesellschaftliches Mandat geworden, Beziehungen und Liebe werden als ultimative Methode betrachtet, Glück zu erreichen.
  • Das führt zu einer Überfrachtung der Liebesbeziehung.
  • Leiden wollen wir vermeiden, Erfüllung forcieren. Dabei lässt sich die Liebe nicht steuern.

5. Sexualität und Erotik

  • Sexualität ist eine Form der körperlichen Begegnung, die ekstatische sinnliche Erfahrung vermittelt.
  • Männliche und weibliche Sexualität unterscheidet sich. Daraus lassen sich aber keine Rückschlüsse auf das Seitensprungverhalten der Geschlechter ableiten.
  • Wer lange in einer Partnerschaft steckt, muss sich immer mit dem Dilemma zwischen den eigenen Bedürfnissen und der Treue zum anderen auseinandersetzen.

6. Treue und Untreue

  • Fremdgehen kränkt nicht nur den Betrogenen, sondern stellt auch das gesamte gemeinsame Liebesprojekt in Frage.
  • Dabei kann Untreue auch etwas Entlastendes haben und eine tote Beziehung wiederbeleben oder dafür sorgen, dass sich die Partner daraus befreien können.
  • Hier listet Revenstorf Regeln für den Untreuefall auf: Wie soll man sich danach verhalten, muss ein Seitensprung gebeichtet werden, wie viel Wissen ist für den Betrogenen gut?

7. Postmoderne Liebe

  • Wir leben im Zeitalter des Narzissmus: Gesellschaft und Kultur nähren das Bedürfnis nach Erfolg in allen Bereichen.
  • Davon ist auch die Liebe betroffen: Sie kommt dem Narzissmus besonders entgegen. Sex und Geliebtwerden sind wesentlich für unser Selbstwertgefühl.
  • Viele Partnerschaften dienen nur dazu, uns die eigene sexuelle Anziehungskraft zu bestätigen – sie werden mitunter narzisstisch.
  • An Stelle schicksalhafter Verbindung tritt die Gewinnmaximierung. Der Wunsch, die optimale Wahl zu treffen und die Angst, abgelehnt zu werden, sind größer, als das Bedürfnis, sich Liebe einzugestehen. Also suchen viele weiter.

8. Wege aus der Verunsicherung

  • Für Krisen sollte man sich wappnen und sie nicht als Scheitern, sondern als Chance verstehen.
  • Jedes Paar bekomme die Krise, die es verdiene, meint Revenstorf.
  • Eine Affäre etwa kann aus der inneren Notwendigkeit hervorgetreten sein, die Beziehung aus einer Sackgasse zu führen.
  • Eine Inventur ist ratsam, wenn die Beziehung zu scheitern droht. Gerade in Bezug auf die Sexualität. Denn die schlafe bei vielen Paaren ein.

9. Revision des Beziehungsvertrags

  • Krise, Verödung der Liebesbeziehung oder eine Affäre – in jedem Fall sollten Partner überprüfen, welche unausgesprochenen Erwartungen sie aneinander haben.
  • Vor allem in langfristigen Beziehungen gibt es Arrangements, die eher unbewusst sind. Man liebt etwa den bei sich ausgelagerten Teil im anderen, nicht die ganze Person.
  • Wichtig es für beide Partner zu erkennen, warum sie zusammen sind. Schließlich sei eine Beziehung die unbewusst gewählte Bühne für die Auseinandersetzung mit sich selbst.

10. Entwicklung der Liebesfähigkeit

  • Vorwürfe, Verbote und einengende Forderungen können das Liebesglück schnell zum Verdruss werden lassen.
  • »Warum bist du nicht so, wie ich dich gerne hätte?«, fragen sich viele Partner und versuchen, ihre Bedürfnisse durchzuboxen. Oft durch Angriff und Verteidigung. Damit kann man zwar in der Beziehung die eigene Position stärken. Der Graben zwischen den Partnern wird so aber zunehmend tiefer.
  • Liebe, schreibt Revenstorf, erfordere, dass man sich ungeschützt zeige und den anderen sehen und annehmen könne, wie er ist. Auch mit seinen Schwächen.
  • Dabei ist es wichtig, Unterschiedlichkeit nicht zu verleugnen, sondern zu akzeptieren.
  • Ein Kernpunkt in diesem Kapitel ist das Thema Sex in langen Beziehungen.
  • Ganz besonders in langjährigen Partnerschaften solle man sexuelle Gewohnheiten diskutieren und Bedürfnisse thematisieren – nicht nur, wenn sie unterschiedlich sind.
  • Sex müsse so gut sein, dass er der Mühe wert sei – dann könne er zu einer Ressource in jedem Lebensalter werden.

 

 

Realistisch lieben: 3 wichtige Zitate aus dem Buch

»Wer sich auf eine langfristige Liebesbeziehung einlässt, begibt sich automatisch in ein Spannungsfeld zwischen Liebe und Loyalität zum Partner seiner Wahl auf der einen Seite und dem sexuellen Begehren auf der anderen Seite. Wahl und Wohl, das heißt Beziehung und sexuelles Begehren, werden nicht immer zur Deckung gebracht, und es entsteht manchmal eine Dissonanz zwischen dem Bedürfnis, sich selbst und seinen Bedürfnissen treu zu bleiben und der Treue zum Menschen, den man am meisten liebt.«

»Untreue ist immer noch besser als halbherzige Treue, und Gründe gibt es viele, die einen Menschen veranlassen, sich auf sexuelle Außenkontakte einzulassen.«

»Die Liebe ist ein Antidepressivum, wenn es gutgeht, und kann zum Alptraum werden, wenn's schiefgeht. Hier scheint ein Dilemma unserer größten Glücksquelle zu liegen: Emotionen lassen sich nicht steuern. Sie erfassen uns, und wir verlieren […] leicht die Kontrolle über den weiteren Verlauf.«

Fazit: Das bringt die Lektüre

Wir leben in untreuen Zeiten – das muss aber kein Drama sein, diese Botschaft vermittelt Revenstorfs Buch. Dass sich die Art, wie wir Beziehungen führen, sehr verändert hat, ist eine Tatsache, die wir akzeptieren müssen. Und wenn wir in unserer Beziehung mit Untreue zu tun bekommen, sollten wir die Liebe nicht gleich aufgeben. Das macht auf sehr sachliche Art Mut, eine lange Partnerschaft zu wagen, auch wenn die Zeiten eher liebesunsicher sind. Wenn wir erkennen, welche Möglichkeiten und welche Grenzen die Liebe für uns persönlich hat, dann kann es uns gelingen, eine glückliche Beziehung zu führen. Trotz Untreue und anderer Gefährdungen auch über eine lange Zeit hinweg.

Hier geht es portofrei zum Buch

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