Der Untreue-Aspekt: Die unterschiedliche Art des Fremdgehens
Für jedes Paar kann Fremdgehen zur ultimativen Belastungsprobe werden. Aber nicht jeder Seitensprung führt gleich zur Trennung. Eine wichtige Rolle spielt für viele Betroffene die Schwere der Schuld: Ein unbedeutender Seitensprung ist für viele weniger schlimm als eine heimliche Affäre. Lesen Sie hier, ob es tatsächlich Unterschiede zwischen Seitensprung und Affäre gibt.
Info kompakt
- Hier fängt Untreue an: 39 Prozent der Frauen halten schon einen Kuss für Fremdgehen, für 44 Prozent der Männer handelt es sich erst bei Sex um Untreue, das ergab eine Umfrage der Frauenzeitschrift Lisa.
- Tu so was nie wieder: 80 Prozent der Männer und Frauen seien bereit, ihrem Partner den Seitensprung zu verzeihen – wenn dieser verspricht, es nie wieder zu tun, schreibt Wolfgang Krüger in Das Geheimnis der Treue.
- Die Hälfte der Deutschen würde den Seitensprung verzeihen, wenn der Partner ihn beichtet. 43 Prozent sind nachsichtig, wenn die Sache einmalig war und bleibt. Während einer Beziehungskrise haben 17 Prozent Verständnis dafür, dass ihr Partner fremdgeht.
- Langzeitaffären im Trend: 50 Prozent aller Affären dauern mehr als ein Jahr wovon sieben Prozent sogar mehr als fünf und vier Prozent mehr als zehn Jahre. 2
- Die meisten wollen es genau wissen: Laut Theratalk-Studie versuchen 81 Prozent der betrogenen Männer und 86 Prozent der betrogenen Frauen herauszufinden, warum ihr Partner untreu wurde.
- Partner regieren auf Untreue besonders verletzt, wenn die andere Person ihnen nahesteht, eine emotionale Abhängigkeit vom Partner besteht, die Affäre lange dauert und raffiniert geplant wurde.
62% der Frauen und Männer sind bereits aufgrund einer Beziehungskrise fremdgegangen 1
1 Umfrage unter 1.268 Besuchern der Seitensprung-Fibel. Erhebungszeitraum KW02, 2015
2 Umfrage unter 1.224 Webseitenbesucher der Seitensprung-Fibel. Erhebungszeitraum KW31, 2014. Infografik anzeigen
»Nur« Seitensprung oder »schon« Affäre
Untreue ist Untreue, da gibt es eigentlich nicht viel herumzudiskutieren. Oder etwa doch? Anscheinend existieren subjektive Unterschiede. Das fängt schon bei der Definition an. So beginnt für 39 Prozent der Frauen Untreue bereits bei einem Kuss, wie eine Umfrage der Frauenzeitschrift Lisa ermittelte. Für 44 Prozent der Männer handelt es sich erst bei Sex um wirkliche Untreue.
Aber gibt es einen objektiven Unterschied zwischen Seitensprung und Affäre? Laut Definition ist eine Affäre eine längere außereheliche Liebschaft. Im Gegensatz dazu ist ein Seitensprung normalerweise kürzer, oft auch als One-Night-Stand einmalig. Auch die Gründe können variieren: Wer einen Sexseitensprung hat, ist womöglich kurzfristig einer Versuchung erlegen, wer länger fremdgeht, will vielleicht die Beziehung nicht mehr.
Wie schwer Fremdgehen wiegt und welche Konsequenzen Untreue hat, müssen Sie selbst beurteilen. Tatsache aber ist: Wenn ihr Partner fremdgegangen ist, ist es für die meisten sehr bedeutsam, was passiert ist. Darum versuchen auch 81 Prozent der Männer und 86 Prozent der Frauen herauszufinden, warum ihr Partner fremdgegangen ist, wie das Göttinger Theratalk-Projekt ermittelte. Und 45 Prozent der Männer sowie 52 Prozent der Frauen bitten ihren Partner sogar direkt darum, dass er vom Seitensprung Näheres erzählt. Die Informationssuche nach dem Seitensprung ist eine normale Reaktion. Denn, das belegen Theratalk-Untersuchungen, besonders schwer wiegt der Vertrauensbruch, der als umso größer eingestuft wird, je länger, intensiver und absichtsvoller die Nebenliebschaft war.
Der Paartherapeut Roland Kopp-Wichmann schreibt in Fremdgegangen – Wege aus dem Chaos, es gebe eine Art Skala, auf der sich abmessen lasse, wie zerstörerisch Untreue erlebt werde. Ihm zufolge reagieren Partner unter anderem umso verletzter, je näher die andere Person ihnen steht, je abhängiger sie sich emotional vom Partner fühlen, je länger die Affäre dauert, je raffinierter sie geplant wurde und je mehr der Partner mit dem Dritten sexuell oder emotional erlebt.
Tatbestand Untreue: verschiedene Affären-Arten
Für den weiteren Verlauf der Beziehung ist es von zentraler Bedeutung, wie wichtig der Seitensprung bzw. wie gravierend der Treuebruch war. Denn dieser wird von den meisten, die monogame Beziehungen leben, als Angriff auf die Liebe, als Gefahr für die Partnerschaft gesehen. Immerhin birgt ein Seitensprung das Risiko, dass der fremdgehende Partner über kurz oder lang die Beziehung beendet. Das Vertrauen ist erstmal zerrüttet, für viele stellt sich dann ohnehin die Frage: gehen oder bleiben? Dafür ist auch wichtig, die Bedeutung der Untreue einzuschätzen.
Kopp-Wichmann hält die Einordnung der Untreue für wichtig – um sie bewältigen zu können. Wie ernst der Seitensprung einzuschätzen und wie groß die Chance für den Erhalt der Beziehung sei, hänge von der Art der Untreue ab.
Paartherapeut Roland Kopp-Wichmann unterscheidet 6 Affären-Formen, die in ihrer Sprengkraft für die Beziehung zunehmen
- Die Rutschbahn-Affäre, in die man hineinschlittert.
- Die Defizit-Affäre aus einem emotionalen oder sexuellen Mangel in der Beziehung.
- Die Sucht-Affäre, bei der jemand immer auf der Suche nach dem Ego-Kick einer neuen Liebschaft ist.
- Die Narzissmus-Affäre, bei der der Untreue zwanghaft Selbstbestätigung sucht.
- Die Dreicks-Affäre, die oft in Langzeitbeziehungen nebenbei läuft.
- Die Ausstiegs-Affäre, die das Ende der Beziehung einläuten soll.
Auch der amerikanische Paartherapeut Andrew G. Marshall hält eine Untreue-Einstufung für hilfreich, um Entscheidungen treffen zu können. Er kommt zu einer ähnlichen Unterteilung von Affären-Typen. Seine Unterscheidung in 8 Formen der Untreue ( Zufallsaffäre, Hilfeschreiaffäre, Vergeltungsaffäre, Selbstmedikationsaffäre, Don-Juan-Affäre, Dreiecksaffäre, Erkundungsaffäre, Ausstiegsaffäre) orientiert sich ebenfalls daran, welche Gründe der fremdgehende Partner für seine Untreue hat. Ist sie zufällig passiert, ist sie auf Beziehungsfrust zurückzuführen, ist sie der Versuch, eine eingeschlafene Liebe wachzurütteln oder nur die klare Botschaft an den Partner, dass es aus ist?
Hart – härter – untreu? Versuch einer Schweregradbestimmung
Wo beginnt Untreue? Ist es allein der bloße Gedanke daran oder erst die Tat? Beginnt Fremdgehen schon, wenn man Möglichkeiten sondiert, sich mal umschaut? Ist schon ein einziger Blick sündig, oder wird es erst bei 2, 8 oder 20 Blicken brenzlig? Beim Fremdflirt? Spielt die Länge, die Intensität eine Rolle oder muss mehr dazu kommen? Reicht eine Berührung der Finger oder beginnt es erst, wenn sich Lippen treffen oder Geschlechtsorgane? Auge-in-Auge, Arm-in-Arm oder Hand-in-Hand – wo geht es wirklich los mit der Untreue? Dafür hat jeder sicher eine eigene Definiton, was der eine schlimm findet, ist für den anderen völlig harmlos. Je nachdem, wie Sie es mit der Treue in Beziehungen halten, stecken Sie Ihre Grenzen etwas enger oder etwas weiter ab. Allerdings scheint es bei all den individuellen Interpretationsunterschieden bei vielen Menschen in einigen Punkten Übereinstimmungen zu geben. Etwa in folgenden, tendenziellen Gegenüberstellungen:
Rumfummeln ist schlimmer als Kopfkino
Wer sich einen Quikie mit der Kollegin vorstellt, darf ruhig weiter träumen. Denn erotische Fantasien haben die meisten von uns, schätzungsweise 60 Prozent aller Deutschen haben sich schon mal in die Arme von Dritten geträumt. Manche aktivieren sogar beim Liebesspiel mit dem eigenen Partner ihr Kopfkino. Wer aber seine Fantasien wahrmacht und beispielsweise im Kopierraum mit Kollegen knutscht, geht eine gewagte Untreue-Stufe weiter.
Sex ist schlimmer als Küssen
Laut Wolfgang Krüger beginnt für 85 Prozent der Menschen Untreue mit einem Kuss auf den Mund, 90 Prozent halten sogar eine heimliche SMS für grenzwertig. Auch zarte Berührungen und heiße Blicke werten viele bereits als Untreue. Nichtsdestotrotz wird die Sache noch gehaltvoller, wenn das Körperliche – und damit Intimität – hinzukommt. Hier hört für die meisten der Spaß auf.
Sex mit Verlieben ist schlimmer als Sex ohne Gefühle
Es war doch nur Sex – die Paartherapeutin Andrea Bräu hält das für unwahrscheinlich. Im gleichnamigen Buch erklärt sie, dass Sex ganz ohne Gefühle eine Ausnahme sei. Emotionen lassen sich nicht völlig abkoppeln vom Körperlichen. Dennoch: Wer nicht nur sexuelle Befriedigung sucht, sondern sich emotional tiefer auf seinen Seitensprung einlässt, hat die nächste Grenze überschritten.
Fremdgehen mit Freunden ist schlimmer als Fremdgehen mit Fremden
Der Ausrutscher mit einer fremden Partybekanntschaft – sollte zwar nicht, kann aber mal passieren. Viel übler ist es doch, wenn der beste Kumpel angeflirtet oder die Nachbarin geküsst wird. Der Vertrauensbruch wird umso gewaltiger eingestuft, je perfider der Untreuevorgang ist. Ein Fremder stellt weniger eine subjektiv empfundene Gefahr für die Beziehung dar, als jemand, der im Leben des anderen ohnehin schon als Freund oder Bekannter eine Rolle spielt.
Gratis-Sex ist schlimmer als gekaufter Sex
Viele deutsche Männer gehen ab und an mal zu Prostituierten, statistisch gesehen rund eine Million pro Tag – und sind damit fein raus? Weil gekaufter Sex eher emotionslose Ware ist und nicht so viel zählt wie kostenfreier Sex? Mal abgesehen davon, dass sich ein Bordellbesuch besser verheimlichen lässt als eine heimliche Affäre, kann manch eine Frau den Besuch bei einer Professionellen leichter verzeihen als einen Seitensprung, bei dem Gefühle im Spiel sind. Andere wiederum halten gekauften Sex moralisch für besonders verwerflich.
Nüchterner Sex ist schlimmer als alkoholisierter Sex
Manch ein Seitensprung ist auf überhöhten Alkoholkonsum zurückzuführen. Wenn mit steigendem Promillespiegel Hemmungen fallen, fällt auch so manches Kleidungsstück. Als Schuldminderung hält das kaum her: Wer sich nach ein paar Bierchen nicht mehr im Griff hat, sollte nicht auf Verständnis bauen. Auch wenn bei 0,0 Promille im Blut die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Seitenspringer weiß, was er da tut und absichtlich fremdgeht.
Mehrmals ist schlimmer als einmal
Ein einmaliger Seitensprung lässt sich als Ausrutscher verbuchen. »Kann ja jedem mal passieren« funktioniert als Rechtfertigung aber nur bedingt. Erstens, weil das Endresultat – nämlich die Untreue – bleibt, egal, wie oft es passiert. Zweitens, weil erwiesenermaßen 50 Prozent der Fremdgeher Wiederholungstäter sind. Einmal kann demnach ebenso folgenschwer sein wie mehrmals. Gegenargument: Wer es öfter tut, hintergeht den anderen systematisch. Was den Schweregrad der Untreue nicht unmaßgeblich erhöht.
Gestandenes Fremdgehen ist schlimmer als verschwiegene Untreue
Was der andere nicht weiß, macht ihn nicht heiß – und ist deswegen nicht so schlimm? So gesehen schon. Aber Untreue ist Untreue, ganz gleich, ob der andere einem auf die Schliche kommt oder nicht. Natürlich kann in Ausnahmefällen das Verschweigen des Seitensprungs den geliebten Partner schonen, immerhin erspart man ihm dadurch viel Kummer. Aber die beziehungsinternen Folgen der Untreue können die Beziehung ebenso belasten wie eine Offenlegung.
Fazit: Sag mir, was gelaufen ist und ich sage Dir, ob ich Dir verzeihen kann
Ein Seitensprung oder eine Affäre – was wirklich schwerer wiegt, lässt sich nicht objektiv bestimmen. Untreue ist Resultat vieler Entwicklungen, die mit dem Untreuen und dem jeweiligen Paar zu tun haben. Und damit ist sie immer subjektiv.
»Überlegen Sie, was Sie wissen wollen!«, rät Ulrich Clement Menschen, deren Partner fremdgegangen ist. Verständlich sei, dass man alles erfahren möchte, wenn man betrogen wurde. Viele wollen Genaueres wissen, um die Bedrohung für die Beziehung einschätzen zu können. Allerdings, schreibt der Paartherapeut in Wenn Liebe fremdgeht, müsse man sich darüber klar sein, dass diese Offenlegung der Seitensprungdetails immer schmerzhaft sei. Man könne den Schweregrad der Untreue nicht objektiv messen und dann als Basis für die weitere Handlungsweise nehmen. Besser solle man sich quälende Fakten ersparen und nur das als Information heranziehen, was wirklich bei der Bewältigung hilft.
Hat der Partner nachvollziehbare Gründe für seinen Seitensprung, lässt sich der sicherlich eher als Fehltritt einstufen. Hat er allerdings über einen längeren Zeitraum hinweg heimlich fremdgeliebt, sieht die Sache anders aus. Denn dann bedroht die Untreue die Beziehung. Je schwerer die Untreue, umso schwerer wird vermutlich das Verzeihen. Aber auch das ist subjektiv, denn wirklich objektive Kriterien, an denen sich der Schweregrad der Untreue festmachen lässt, gibt es nicht.
Regeln in Beziehungen, klare Richtlinien für den Umgang mit Problemen gibt es nicht. Zwei Menschen seien keine Firma, die per Vertrag in Sachen Treue eine Bring- und Holschuld verankern, meint etwa der Motivationscoach Robert Betz. Wichtig ist, die Gründe herauszufinden, warum jemand untreu wird und dann entsprechend zu handeln. Denn jede Liebe ist anders, jeder Seitensprung und jede Affäre auch. Sie haben immer eine bestimmte, stets subjektive Bedeutung im Leben eines Menschen und sollten so auch eingestuft werden.