Christian Thiel im Interview
»Wenn wir realistischer denken über die Liebe, haben wir es leichter«
Single- und Partnerschaftsberater Christian Thiel im Interview
Als Singleberater fing er vor nunmehr 17 Jahren an, später kam die Partnerschaftsberatung dazu: Christian Thiel, der »dienstälteste« Singlecoach Deutschlands, kennt sich mit Liebe und Beziehungen aus. Seine Erfahrungen aus beinah zwei Jahrzehnten Coaching von Menschen, die auf Partnersuche sind und solche, die ihre Beziehung verbessern oder retten wollen, vermittelt der studierte Germanist und Philosoph unter anderem im persönlichen Coaching, in Büchern, in Seminaren und in Online-Workshops.
Letztere sollen die Hemmschwelle senken, die Beratung eines Experten in Anspruch zu nehmen: Per E-Mail erhalten Teilnehmer jede Woche einen Studienbrief, in dem sie neue Impulse erhalten, etwa wie sie die Partnersuche angehen oder zu mehr Intimität und Sexualität in der Beziehung finden können. Auch eigene Erfahrungen können sie beisteuern und Fragen direkt an Thiel stellen. Alle Zuschriften und Antworten werden im Forum zusammengefasst und ebenfalls wöchentlich verschickt. Dabei gibt Thiel eine Zufriedenheitsgarantie: Wem der Online-Workshop nicht zusagt, der bekommt sein Geld zurück. Mehr Informationen zu Christian Thiel unter http://www.singleberater.de/.
Zuletzt erschien von ihm das Sachbuch »Warum Frauen immer Sex wollen und Männer immer Kopfschmerzen haben«, eine unterhaltsam-lehrreiche Sammlung der verbreiteten Irrtümer über Liebe, Sex und Beziehungen. Wir haben mit Christian Thiel darüber gesprochen, warum Männer romantischer sind als Frauen, wieso die Liebe wie ein Brot ist und was Untreue bewirken kann.
Interview telefonisch geführt am 24.06.2015
Die Seitensprung-Fibel: Lieber Herr Thiel, ein ganzes Buch voller Fehlannahmen über die Liebe – warum nehmen Sie uns die Illusion, Experten in Sachen Liebe zu sein?
Christian Thiel: Es ist ja in der Liebe wie sonst im Leben auch: Je mehr wir wissen, desto besser werden wir. Und es ist absolut gefährlich, über die Liebe wenig zu wissen, je weniger wir wissen, desto mehr Niederlagen erleben wir.
Die Seitensprung-Fibel: Filme, Bücher, Zeitschriften – eigentlich sind wir doch ziemlich gut informiert über die Liebe?
Christian Thiel: Moment: Wir erfahren viel, aber eigentlich hauptsächlich Dinge, die nicht stimmen. Die Medien berichten dauernd Unwahrheiten über die Liebe. In Filmen oder Serien wird uns nicht gezeigt, wie die Liebe tatsächlich ist oder gelingt. Sondern uns wird ein bestimmtes Bild von Liebe präsentiert. Und weil das so schön ist, lernen wir daraus – aber eben nicht das Richtige. Nehmen Sie doch mal einen Actionfilm, da geht es hauptsächlich um Action, aber Sie werden auch ein Prozent Liebe finden. In ein paar Sequenzen werden dann alle Klischees der Welt über die Liebe zusammengefasst serviert. Und jetzt nehmen Sie mal einen Mann, der geht in den Film, schaut sich den an und denkt: Das, was da gezeigt wird, ist so. Er bekommt also ein verzerrtes Bild und hat diese Klischees dann im Kopf, das ist ein Trauerspiel.
Die Seitensprung-Fibel: Frauen konsumieren ja in der Regel noch mehr Liebesfilme, schleppen die dann auch noch mehr Klischees mit sich herum?
Christian Thiel: Nein! Frauen sind nämlich klüger! Sie wissen genauer, dass es da um Klischees geht und nicht die Realität wiedergegeben wird. Männer glauben diese Klischees in weitaus größerem Umfang als Frauen. Da gibt es klare wissenschaftliche Aussagen: Der Mann schaut zwar keine Liebesfilme, im Gegensatz zur Frau glaubt er aber die darin enthaltenen Klischees viel eher. Da entsteht dann eine Art Lerneffekt: Er hat gelernt, die Liebe entsteht auf den ersten Blick, Liebe fällt einem zu, für Liebe muss man nichts tun – lauter Stereotypen über die Liebe.
Die Seitensprung-Fibel: Welche Auswirkungen hat das denn?
Christian Thiel: Wenn sie eine Frau fragen, ob man für eine Liebe etwas tun und für den anderen da sein muss, wird die Frau antworten »Ja, nett soll er schon zu mir sein«. Ein Mann sagt: »Die Gefühle müssen hier doch reichen«. Da sieht man, wer realistisch ist, Frauen nämlich. Das widerspricht aber unserem Verständnis der Geschlechter. Wir denken, Frauen sind romantisch und irrational, während Männer eher sachlich und rational sind. Dabei stimmt das bei Gefühlen gar nicht, da verhalten sich Männer total irrational und denken auch so.
Die Seitensprung-Fibel: Sind Männer dann die wahren Romantiker?
Christian Thiel: Na ja, jedenfalls in dem Sinne, dass sie ziemlich abstruse Vorstellungen von Romantik haben. Sie denken nicht, dass es romantischer Handlungen wie Blumen mitbringen oder Aufmerksamkeit schenken bedarf, um eine Frau immer wieder für sich zu gewinnen. Sie glauben, dass es eben nur auf die Gefühle ankommt, dass der erste Blick alles entscheidet und das sei jetzt schon Liebe. Welche Frau glaubt das schon? Entweder nimmt sie gleich Reißaus, oder sie fühlt sich gebauchpinselt, geht darauf ein und denkt »Na, vielleicht hat er ja doch recht«. Was für ein Chaos das dann gibt, kann man sich ausmalen. Wer mit dieser falschen Vorstellung an die Partnersuche rangeht, weil er denkt, ihn müsse der Liebesblitz treffen, dann ist alles gut, der wird kaum eine gute Beziehung finden.
Die Seitensprung-Fibel: Glauben Männer also an andere Irrtümer als Frauen?
Christian Thiel: Nein, sie glauben nur in anderem Ausmaß daran. Nur ein Prozent der Frauen etwa sagt dem Mann beim ersten Treffen »Ich liebe dich«. Aber sieben Prozent der Männer tun dies – das zeigt in etwa das Verhältnis: Männer glauben an bestimmte Irrtümer mit einer siebenmal höheren Wahrscheinlichkeit als Frauen. Die Inhalte der Klischees sind die gleichen, unsere Kultur ist ja seit Jahrtausenden durchtränkt von Liebesirrtümern, das kriegen auch wir noch zu spüren. Dass wir denken, die Liebe schlägt ein wie ein Blitz und erotisch muss die Anziehungskraft einfach da sein, das ist ja keine neue Erkenntnis, darum ist sie ja auch so schwer aus unseren Köpfen zu bekommen.
Die Seitensprung-Fibel: Aber ist es nicht schön, an die romantische, zufällige und schicksalhafte Liebe zu glauben?
Christian Thiel: Nein, leider nicht! Sie können Ihr ganzes Leben damit ruinieren, wenn Sie an die romantische Liebe, also die, die Ihnen passiert und an der Sie nichts ändern können, glauben. Damit zerstören wir unsere realen Chancen auf Glück, weil wir uns dann Illusionen machen – wenn wir realistischer denken über die Liebe, haben wir es leichter. Das sehe ich als Singleberater immer wieder: Da kommt ein Mann mit 39 Jahren zu mir und hatte noch nie eine feste Beziehung, das ist furchtbar, der steht kurz vorm Verzweifeln, gerade, weil er noch immer an all diesen Liebesquatsch glaubt. Weil er sich damit vollkommen blockiert, denn er glaubt ja, das Schicksal wird ihm eine Liebe schon zuschustern, er muss nur geduldig darauf warten. Auch in Paarbeziehungen ist es fatal, an Liebesillusionen zu glauben. Resultat vom Glauben an die große, zufällige Liebe ist ja der Gedanke, dass man nichts dafür tun muss – daraus folgt dann in der Beziehung, dass der Mann etwa denkt, er muss sich um seine Frau nicht kümmern. Und schon haben wir den Schlamassel. Denn genau das ist eine Folge der Liebesirrtümer.
Die Seitensprung-Fibel: Welches sind denn die fatalsten Irrtümer, was wirkt sich am negativsten auf unser Liebesleben aus?
Christian Thiel: Bei Männern ist es sicher der Glaube daran, dass die Gefühle ausreichen müssen, der Einsatz erschöpft sich dann in sporadischen romantischen Handlungen, und das war's dann. Der Mann glaubt, die Liebe sei so etwas wie ein wertvoller Stein, den er nur finden müsste und dann hat er ihn. Dabei ist die Liebe eher ein Brot: Jeden Tag muss es neu gebacken werden, damit es frisch ist. Das einem Mann beizubringen, ist nicht leicht.
Frauen dagegen meinen, in einer guten Beziehung müssten sie sich für ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht einsetzen, der Mann muss sie erraten, muss alleine drauf kommen, welche Wünsche die Frau hat. Das kann ja nicht gut gehen, das ist ja komplett aneinander vorbei. Auf beiden Seiten herrscht also der Irrglaube, man muss sich nicht mit dem anderen auseinandersetzen, es reicht, dass man sich liebt. Etwa die Hälfte aller Beziehung scheitert genau daran, dass sich die Partner gar nicht wirklich miteinander befassen.
Die Seitensprung-Fibel: Was wäre eine Lösung?
Christian Thiel: Sehen Sie doch mal, wie viele Menschen fest davon überzeugt sind, dass sie sich jeden Tag liebevoll um ihren Hund kümmern müssen – der Frau sagen sie aber nur im Vorübergehen Hallo. Bei Haustieren ist es normal, dass wir uns ihnen zuwenden, wir sehen es als unsere Pflicht an und machen es meist gerne. Dem Partner Aufmerksamkeit und eine Art Pflege zukommen zu lassen, finden wir eher unnötig. Wenn wir für unseren Partner weniger tun als für unsere Freunde, Kollegen und womöglich Haustiere, dann ist es vorbei, so kann wirklich keine Beziehung halten. Eine unglückliche vielleicht, aber sicher keine gute Partnerschaft.
Die Seitensprung-Fibel: Seit 17 Jahren sind Sie Single- und Partnerschaftsberater – was machen Sie häufiger, Singles an den Mann bringen oder Beziehungsprobleme lösen?
Christian Thiel: Ich bin als Singleberater gestartet und später kamen die Paare, nachdem ich etliche Singles unter die Haube gebracht habe, und die dann einen Rat für ihre Beziehung wollten. Auch die glücklichsten Paare haben in den ersten Jahren ihrer Beziehung etliche Auseinandersetzungen. »Wir streiten uns nie« – das ist der sicherste Sargnagel für die Beziehung. Dann setzt sich mindestens einer der Partner nicht genügend für die eigenen Bedürfnisse ein, das ist dann der klinische Partnerschaftstod. Und auch das ist einem Liebesirrtum geschuldet: Die Paare, die jede Auseinandersetzung vermeiden, glauben nämlich, dass Streit etwas Schlimmes ist und mit der Liebe nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann. Daraus kann man keinen Vorwurf machen, überall wird ja vermittelt, dass Konflikte schlecht für die Liebe sind.
Die Seitensprung-Fibel: Ein verbreiteter Irrtum ist Ihnen zufolge der, dass sich eine Affäre positiv auf eine Partnerschaft auswirken kann. Hat denn ein Seitensprung grundsätzlich nur schlechte Auswirkungen? Gibt es für Sie überhaupt Beziehungssituationen, in denen Sie sagen würden, dass ein Seitensprung einer Partnerschaft auch gut tun kann?
Christian Thiel: Das ist mir in zehn Jahren jetzt noch nicht untergekommen, ich glaube auch nicht daran. Es mag ja Einzelfälle geben, in denen die Untreue irgendetwas Positives gebracht hat. Der übliche Ablauf bei Untreue bringt aber nichts Gutes hervor. Sie führt ja nicht einmal zwingend zur Trennung, die dann wieder Freiheit für beide Partner bedeuten würde.
Das Problem ist, wenn die Untreue zu einer Krise hinzutritt, kann selbst der Paarberater kaum noch etwas ausrichten. Sie haben gute Chancen, etwas zu erreichen, wenn beide Partner unzufrieden, aber noch treu sind. Die Aussichten, dass es bei Untreue zu sehr schweren emotionalen Schäden kommt, sind sehr hoch, das ist das eigentliche Drama. Unglückliche Beziehungen können ziemlich haltbar sein, das müssen wir uns auch bewusst machen. Das, was Untreue real bedeutet, kann Menschen zerbrechen, sie für ein Leben zeichnen. Mal abgesehen davon, dass es einen Rattenschwanz an Problemen nach sich zieht. Da gibt es in unserer Gesellschaft wenig Bereitschaft, das zur Kenntnis zu nehmen, das muss ich als Berater so sagen. Ich bin sehr froh, wenn ich einen Mann oder eine Frau von der Untreue abhalten kann. Eine Trennung dürfen und können wir alle, wenn es nicht mehr geht und wir alles versucht haben. Danach kann man sich neu orientieren und sich neu suchen. Die spannende Frage ist dann ja bei Untreue: Hilft die überhaupt jemandem? Da muss ich klar sagen: Nein.
Die Seitensprung-Fibel: Wenn Sie Paaren zu Beginn ihrer Partnerschaft drei wertvolle Ratschläge für ihren Beziehungsweg mitgeben könnten, um einen Seitensprung zu verhindern, welche wären das und warum?
Christian Thiel:
- Seien Sie füreinander da, setzen Sie sich für sich und den anderen ein.
- Weichen Sie sich nicht aus, sprechen Sie miteinander, über den Tag, über die Gefühle, auch über Unangenehmes, gehen Sie Streit nicht aus dem Weg. Das Wichtigste ist, dass wir wissen, wie es dem anderen geht. Streit heißt nicht wütende Wortgefechte, sondern ruhig ansprechen, was wir wie geändert haben möchten.
- Sie sollten wissen, wie Untreue entsteht. Paare sollten die beiden Vorstufen der Untreue kennen. Die erste ist: Ich vergleiche meinen Partner mit anderen – und er oder sie schneidet immer schlechter ab. Die zweite Vorstufe ist: Ich treffe mich immer häufiger mit einer netten Kollegin, die hat viel mehr Verständnis für mich, ich öffne mich einem anderen Menschen mehr als meinem Partner.
So schleicht sich Untreue ein. Wer das erkennt, kann rechtzeitig gegensteuern. Und das lohnt sich schon allein darum, weil die meisten Affären ja doch die Beziehung zerstören. Nur in wenigen Fällen wird eine Partnerschaft aus der Untreue. Das sollte Partnern bewusst sein.
Lieber Herr Christian Thiel, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!