Sexuelle Unzufriedenheit: Sind etwa die Gene schuld?
So unterschiedlich wie die Menschen sind auch ihre sexuellen Bedürfnisse und Wünsche. Das ist völlig in Ordnung – kann aber in einer Beziehung Schwierigkeiten verursachen. Nämlich dann, wenn sich die individuellen Vorlieben so gar nicht unter einen Hut bringen lassen. Aber haben Männer und Frauen nicht schon von Natur aus unterschiedliche Einstellungen zum Thema Sex?
Die Theorie von Evolutionsforschern ist bekannt und Thema zahlreicher Bücher geworden: Männer und Frauen sind grundsätzlich verschieden. Weil sie schon seit der Steinzeit für andere Aufgaben bestimmt sind – auch, was die Fortpflanzung betrifft. So müssen – rein biologisch gesehen – Männer ihren Samen auf viele Frauen verteilen, um möglichst viele Nachkommen zu zeugen und damit die Erhaltung der Art zu sichern. Frauen hingegen können nur eine sehr begrenzte Anzahl an Kindern bekommen. Sie wollen deshalb den Mann und Erzeuger ihrer Kinder möglichst lange an sich binden, damit er für sie und seine Nachkommen sorgt.
Mythos oder Wahrheit? Das »Alte Kuh«-Syndrom
Das »Alte-Kuh-Syndrom« und der »Coolidge-Effekt« besagen Ähnliches: Die erste Bezeichnung geht auf den Umstand zurück, dass ein Stier innerhalb einer Herde irgendwann jegliches sexuelles Interesse an den vorhandenen Kühen verliert, weil er sich genetisch nicht mehr vermehren kann. Taucht eine »neue« Kuh auf, erwachen seine Lebensgeister jedoch sofort wieder. Die zweite Bezeichnung hat ihren Ursprung in einer Anekdote mit dem ehemaligen US-Präsidenten Calvin Coolidge.
Als der Präsident eines Tages eine Farm besichtigte und seine Runde drehte, nahm der Farmer die Präsidentengattin beiseite und zeigte ihr stolz einen Hahn. Dieser Hahn könne Tag um Tag immer wieder mit einer Henne kopulieren und sei praktisch unermüdlich, erklärte der Farmer. Die First Lady amüsierte sich darüber und schlug dem Farmer vor, dies auch dem Präsidenten mitzuteilen. Als der die Geschichte hörte, dachte er einen Augenblick nach und fragte dann den Farmer: »Mit immer derselben Henne?« Der Farmer antwortete: »Nein, Mr. President.« Daraufhin erwiderte der Präsident: »Sagen Sie das meiner Frau.« Der hier beschriebene Effekt wurde auch durch ein Experiment mit Ratten belegt und scheint die These zu untermauern, dass Männer und Männchen eben einen anderen Auftrag zu erfüllen haben als ihre weiblichen Artgenossen. Aber führt das schon zu sexuellen Konflikten?
Warum haben manche Menschen mehr Interesse an Sex?
Es stellt sich die Frage, ob eine rein biologisch begründete Herleitung die geeignete Art ist, mit dem Problem der sexuellen Unzufriedenheit in einer Beziehung umzugehen. Ist sexuelle Frustration oder sind sexuelle Neigungen wirklich nur genetisch bedingt oder nach Geschlechtern zu trennen? Wenn dies so wäre, müsste jede Beziehung von vorneherein zum Scheitern verurteilt sein – Gegenbeispiele hierfür gibt es jedoch genug. Wenn die genetische Vorbelastung also nur eine mögliche Antwort ist, woran liegt es, dass manche Menschen, egal welchem Geschlecht sie zugehörig sind, mehr Interesse an Sex haben als andere?
Der Mensch ist sozial veranlagt, er ist ein Gesellschaftswesen. Von Kindesalter an wird er von seiner Umwelt erheblich geprägt, im sozialen Verhalten allgemein, aber auch im sexuellen Bereich. Bei einer toleranten, liebevollen, offenen Erziehung zum Beispiel kann sich ein sehr gesundes Sexualbewusstsein oder -verlangen entwickeln – die Intensität des Verlangens ist hierbei je nach der den Menschen umgebenden Gesellschaft unterschiedlich ausgeprägt und bewertet. Allerdings kann der Mensch auch ein krankhaftes sexuelles Bedürfnis entwickeln, das bis zum Einbringen von schwerer körperlicher Gewalt in den Sexualakt führen kann, zum Beispiel durch Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauch. Menschen mit derartigen Neigungen wurden in ihrer Kindheit oft selbst Opfer von Gewalt und Unterdrückung oder Demütigung.
Die sexuellen Neigungen und das Bedürfnis nach Sex sind also nicht nur Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, sondern auch Ausdruck der die Person umgebenden Umwelt und deren Umgang mit Sex. In einer Gesellschaft, die wenig tolerant ist und auf Repressalien und Druck setzt, herrschen auch in der Sexualität eher Ängstlichkeit und Hemmung vor. Dies spiegelt sich oft auch in den Dogmen der vorherrschenden Religionen wider – zumindest dann, wenn eine Gesellschaft noch deutlich von religiöser Tradition geprägt ist. Mangelndes Interesse an Sex oder gewissen Sexphantasien ist demzufolge nicht nur ein biologisches, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen und hängt von der Sozialisation und Erziehung des Einzelnen ab. Ein nachlassendes oder generell geringes sexuelles Verlangen muss also nicht unbedingt etwas mit schwindender Liebe, Hormonmangel oder der genetischen Veranlagung zu tun haben.
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