Tschüss Liebe – hallo Krise: wie emotionale Entfremdung zum Beziehungscrash führen kann
»Du bist mir total fremd geworden!« Wenn solche Sätze in Ihrer Partnerschaft fallen, sollten Sie die Ohren spitzen. Wer nämlich die emotionale Nähe zum anderen verliert, steuert vielleicht auf eine massive Beziehungskrise zu. Immerhin gehen Experten zufolge rund 60 Prozent aller Trennungen auf das Konto der emotionalen Entfremdung. Erfahren Sie in diesem Artikel, wie emotionale Entfremdung entsteht und welche verschiedene Stufen sie durchläuft, wie Sie einer emotionalen Entfremdung von Ihrem Partner vorbeugen und sich gleichzeitig vor Beziehungskrisen schützen können.
Verliebt, Verlobt, entfremdet
Manche Paare verlieren im Laufe der Zeit den emotionalen Draht zueinander. Durchschnittlich etwa 14 Jahre halten es viele deutsche Ehepaare miteinander aus, bevor sie den Kampf um ihre Liebe aufgeben. Doch oft kommt lange vor der Krise die emotionale Entfremdung – die sich unbemerkt einschleicht. Kein Sex mehr, getrennte Schlafzimmer und unterschiedliche Freizeitgestaltung – neben diesen offensichtlichen Krisenanzeichen gibt es auch die eher unterschwelligen.
Emotionale Entfremdung sei eine häufige Scheidungsursache gerade bei Paaren, die 20 Jahre und länger verheiratet sind, meint etwa Guy Bodenmann, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Zürich. Ihm zufolge ist Zeit die Grundlage für jede tiefere emotionale Begegnung. Zeitdruck führe zu problem- und lösungsorientierter Kommunikation, die kaum tragbare Nähe herstellen könne – schließlich stehe sie ja unter dem Effizienzgebot.
Woran Beziehungen scheitern, mag von Fall zu Fall verschieden sein, die Online-Partnervermittlung ElitePartner hat in einer Studie die häufigsten Trennungsgründe ermittelt:
- Am 1. Platz steht Untreue: 72 Prozent der Befragten würden sich trennen, wenn ihr Partner mehrmals fremdgeht
- Auf dem 2. Platz sind Lügen und Heimlichkeiten zu finden: Für 71 Prozent ist es ein Liebes-No-Go, wenn der Partner unehrlich ist, etwas verheimlicht oder lügt
- Den 3. Platz belegen mit 51 Prozent Beziehungsroutine und emotionale Verarmung – Gut die Hälfte aller Befragten würde dann einen Schlussstrich ziehen.
Beziehungsroutine und emotionale Verarmung also – aha. Was doch im Kern nichts anderes meint, als gefühlsmäßiges Auseinanderdriften. »Wir sind uns fremd geworden«, das ist ein typischer Kommentar, wenn Beziehungen auseinandergehen. Gemeint ist damit eigentlich emotionale Entfremdung.
Emotionale Entfremdung – theoretisch betrachtet
Als emotionale Entfremdung wird ein Zustand bezeichnet, bei dem wir starke unerfüllte Bedürfnisse oder emotionalen Schmerz mit Ersatzgefühlen überlagern. Dies geschieht aus einer Art Selbstschutz heraus: Frust und Hilflosigkeit übertünchen wir, um uns vor negativen Empfindungen zu bewahren. Die Ersatzgefühle können sich mit der Zeit verselbstständigen und Teil unseres üblichen Verhaltensrepertoires werden.
Dann reagieren wir standardmäßig auf empfundenes emotionales Leid mit unechten Gefühlen, denn die eigentlichen Empfindungen sind zu unangenehm, als dass wir sie an uns heranlassen wollen. Das führt aber dazu, dass wir uns selbst und damit auch dem Partner fremd werden, keine Verbindung mehr zu unserer Gefühlswelt haben und Probleme hinter einer Wand aus Stellvertreteremotionen verbergen – was eine vernünftige Auseinandersetzung quasi unmöglich macht.
Zu kompliziert? Dann machen wir's einfacher: Wenn Sie in Ihrer Beziehung immer seltener wirklich miteinander reden, keinen Körperkontakt mehr haben, nichts mehr gemeinsam unternehmen und kaum noch etwas für den anderen empfinden, befinden Sie sich vielleicht mitten drin, in einem emotionalen Entfremdungsprozess, der Sie gen Trennung manövrieren kann. Schließlich ist dann offensichtlich Nähe verlorengegangen und damit ein wesentliches Fundament der Partnerschaft, wie Wolfgang Krüger meint. Fehlt dieses, könne auch Untreue eine Folge sein, schreibt er in Das Geheimnis der Treue. Im Allgmeinen sei der Seitensprung Ausdruck dafür, dass längst eine Entfremdung in der Partnerschaft eingetreten sei, dass die Liebesbeziehung seit Jahren vor sich hin dümpele.
Phasen der emotionalen Entfremdung in Partnerschaften
Keine Zeit, keine Lust, keinen Nerv – es gibt Phasen in fast jeder Beziehung, in der wenig Paarnähe vorhanden ist. Einfach, weil es der Alltag oder die Umstände nicht erlauben. Wenn aber ein Paar kaum Momente intimen Austausches teilt, sich nie Zeit nimmt, um dem anderen zuzuhören und sich in ihn hineinzuversetzen, kann ein schleichender Prozess der emotionalen Entfremdung einsetzen – mit dem Resultat, dass der Partner einem gleichgültig wird, man ihn nicht mehr versteht, sich von ihm entfernt. Das geht allmählich vonstatten:
- Ärger: Warum bist Du immer so! Jeder ärgert sich mal über den anderen, oft sind es Kleinigkeiten, die großen Zoff auslösen. Wenn Ihr Partner aber immer wieder über Ihre Bedürfnisse oder Gefühle hinweggeht, ist eine mögliche Reaktion Ihrerseits Ärger. Wie oft haben Sie schon gesagt, dass Sie mehr Zeit mit ihrem Partner verbringen wollen? Wie häufig haben Sie ihn schon darauf hingewiesen, dass Ihnen Sex wichtig ist? Ignoriert Ihre bessere Hälfte diese Bedürfnisse beharrlich, provoziert das Wutgefühle auf Ihrer Seite. Mitunter sind kleine alltägliche Beziehungstretminen der erste Schritt zu einer emotionalen Entfremdung.
- Trauer: Wegen Dir geht’s mir schlecht! Anhaltender Beziehungsärger verpufft nicht so einfach, auf Dauer verhärtet er die Fronten. Eventuell gehen Sie dann einen emotionalen Schritt weiter. Wenn Ihre Wut nichts auszurichten vermag, sprich: Ihr Partner auch auf vehementere Ansagen nicht reagiert, verschanzen Sie sich vielleicht hinter dem Gefühl, im Recht zu sein mit Ihren verletzten Emotionen. Zur Schau gestellte Traurigkeit ist ein deutlicher Appell an das Gewissen des anderen: »Guck mal, wie schlecht es mir wegen Dir geht!«, soll rüberkommen, damit der Partner endlich wahrnimmt, was bei Ihnen abgeht. Leider werden Sie damit aber vielleicht auf Gegenwehr treffen – und Ihre »mir-geht's-nicht-gut-weil-Du-so-bist-Haltung« lässt den gefühlsmäßigen Abstand weiterwachsen.
- Resignation: Bringt doch eh nichts! Es läuft ganz und gar nicht gut, aber Ihr Partner scheint das nicht zu bemerken. Oder ist es ihm vielleicht egal? Sie fühlen sich vielleicht ziemlich machtlos, reagieren trotzig und ziehen sich zurück. Innerlich kündigen Sie Ihrem Partner, stellen auf Durchzug und lassen vieles an sich abprallen – aus Selbstschutz. Ihre Erwartungen und Ansprüche schrauben Sie herunter, denn: »Es bringt ja eh nichts«, Ihrer Meinung nach haben Sie alles ausgereizt. Anstatt sich mit Ihrem Partner möglichst konstruktiv auseinanderzusetzen, gehen Sie auf Distanz und investieren Energie womöglich in andere Aktivitäten wie Hobbys, Freunde oder Vereinsarbeit.
- Rückzug: Dann eben nicht! Das vorläufige Ende vom Lied ist dann häufig eben die emotionale Entfremdung – der Abstand zum Partner wird zunehmend größer, Sie verstehen sich nicht mehr, Sie können sich nicht mehr in die Gefühle des anderen hineinversetzen und wollen es vor allem auch nicht mehr. Dann schalten Sie auf stur, was zur Folge haben kann, dass Konflikte rar werden und Beziehungsgespräche einen eher pragmatischen Charakter bekommen.
Frau nörgelt, Mann blockt: ernste Anzeichen für eine Beziehungskrise
Woran können Sie erkennen, ob Sie sich auf dem Weg der Entfremdung befinden? Schwer zu sagen, allerdings gibt es ein paar Warnzeichen – die sich aber bei den Geschlechtern unterscheiden. Werner Bartens erläutert das in Was Paare zusammenhält so: Frauen mäkeln, Männer stellen auf Durchzug. Während sie an allem rumnörgelt und kritsiert, ganz gleich, worum es geht, geht er lieber in den Keller oder früher zur Arbeit, um dem Streit auszuweichen
Männer, das zeigen laut Bartens Untersuchungen, legen mit Vorliebe ein Rückzugsverhalten an den Tag, wenn das innerpartnerschaftliche Konfliktaufkommen allzu groß wird. Und Frauen pisaken Ihren Liebsten gerne mit mantramäßigen Nörgeleien, wenn ihre Unzufriedenheit das normale Maß überschreitet.
Streit ist nicht schön – fehlen Auseinandersetzungen in der Beziehung allerdings ganz, ist das ein schlechtes Zeichen. Besonders unglückliche Paare vermeiden Konflikte häufig völlig – dabei ist die Unterdrückung wichtiger Streitthemen ungesund für die Beziehung. Seltener Beziehungszoff ist oft weniger ein Zeichen für Harmonie, sondern ein Signal für emotionale Entfremdung. Wer nämlich nicht mehr bereit ist, mit dem anderen zu streiten, der hat womöglich bereits das letzte bisschen Interesse verloren.
Ganz weit weg von Dir – wenn Partner zu Feinden werden
Entscheidend ist die Art, wie Sie streiten, das weiß keiner besser als John Gottmann, der amerikanische Psychologe, der das Streitverhalten von Paaren unter die Lupe nahm und herausfand, dass bestimmte Verhaltensweisen und Reaktionen in partnerschaftlichen Diskussionen sehr schädlich sein können. Kritik, Verteidigung, Verachtung, Rückzug und Machtdemonstration – diese fünf Verhaltensweisen sind wahre Zerstörer in Beziehungen. John Gottmann hat sie darum auch apokalyptische Reiter genannt. Wenn sie angaloppieren, haben sie meist nichts Gutes in der Satteltasche.
Gottmann analysierte das Streitverhalten von Tausenden Paaren. Dabei stellte sich heraus, dass anhand des Auftauchens dieser sogenannten apokalyptischen Reiter eine Vorhersage darüber möglich war, ob sich Paare scheiden lassen würden: Je mehr Kritik, Verachtung und Rückzug in Gesprächen vorherrscht, umso wahrscheinlicher ist demnach eine Trennung. In Die Vermessung der Liebe fasst Gottman seine Erkenntnisse zusammen – und kommt zum Schluss, dass eine feste Beziehung ein Vertrag sei, der auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt, Schutz und Rückhalt basiere. Alles, was diesen Vertrag gefährde, könne eine Form der Untreue sein. Neben dem Fremdgehen gebe es noch mindestens 10 weitere Arten, seinen Partner zu betrügen.
Eine mögliche Betrugsform ist laut Gottman emotionale Abwesenheit, eine Variante von emotionaler Entfremdung. Wenn der Partner nie da ist, wenn Sie das Gefühl haben, ihn zu brauchen, wenn er sich immer mehr entzieht, Ihnen ausweicht, dann klafft ein Distanzloch zwischen Ihnen – was nach Gottmans Interpretation eine Gefahr für die Beziehung ist. Denn die dann einsetzende Entfremdung öffnet nicht nur den apokalyptischen Reitern Tür und Tor, sondern kann auch Untreue und sonstigen Liebesbetrug begünstigen.
Fazit: Bleiben Sie nah dran!
Ohne Nähe keine Liebe – wissen wir. Aber Nähe ist nicht etwas, das man einmal aufbaut und dann für immer hat. Besonders in Langzeitbeziehungen muss man für den Näheerhalt etwas tun. Denn schnell driftet man im Liebesalltag weg vom anderen.
Nähe ist einer der entscheidenden Faktoren für den Liebeserfolg, so formuliert es Wolfgang Krüger. Der Paartherapeut erklärt in Freiraum für die Liebe, dass es vor allem in Langzeitpartnerschaften ausschlaggebend ist, Nähe und Distanz harmonisch auszubalancieren. Die Liebe sei eigentlich unser Lohn dafür, dass wir eine sehr schwierige Lebensaufgabe lösen: Denn körperliche und auch geistige Nähe machen die Liebe erst möglich, Distanz und damit Autonomie seien aber nötig für die erotische Anziehungskraft. Eine stabile Nähe aufzubauen, in der beide Partner ihre Distanzwünsche ausleben können, ist laut Krüger das Geheimnis einer guten Ehe.
Andrea Bräu hält Kommunikation für entscheidend. Offenheit, keine Vorwürfe, keine Unterstellungen und ehrliche Statements seien wichtig, schreibt sie in Es war doch nur Sex. Paare bräuchten gegenseitige Wertschätzung, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Man solle sich Beachtung schenken und sich öfter wirklich in den anderen hineinversetzen.
Also: Bleiben Sie dran an Ihrem Partner, setzen Sie sich mit ihm auseinander, weichen Sie Konflikten nicht generell aus und vor allem: Verbringen Sie viel Zeit mit Ihrer besseren Hälfte. Damit beugen Sie emotionaler Entfremdung vor und haben mitunter einen guten Schutz vor Beziehungskrisen – und damit letztlich vor einer Trennung.