Hamburger Paartherapeut und Buchautor Michael Mary im Interview
»Liebe ist keine Technik und kann nicht als solche vermittelt werden«
Ein Interview mit Michael Mary
Liebe kann man nicht machen. Man muss sie leben: Michael Marys Liebesphilosophie ist so simpel wie genial. Denn sie entlastet uns von der Machbarkeitsbürde in Beziehungen und geht weg vom »Wenn du nur hart genug an dir und deiner Partnerschaft arbeitest, dann klappt das auch mit der Liebe.«
Warum gerade das eigentlich in den meisten Fällen zum Scheitern verurteilt ist, legt Michael Mary, der seit mehr als 30 Jahren als Paarberater tätig ist, in »Mythos Liebe« auseinander. Arbeit an der Liebe ist ein Widerspruch in sich, denn die Liebe kommt ungerufen und geht auch wieder ohne zu fragen – sie entzieht sich schlicht und ergreifend unserer Kontrolle.
Anders verhält es sich da mit Beziehungen. In ihnen kann Liebe laut Michael Mary ausgelöst werden, man könne aber keineswegs auf Liebe durchgreifen, sie in die gewünschte Form zwingen und nach eigenen Vorstellungen zurechtpressen. Frauen und Männer, so schreibt Michael Mary etwa in seinem Buch »Wie Männer und Frauen die Liebe erleben«, würden das Beziehungsgeschehen dabei ziemlich unterschiedlich wahrnehmen. So seien Männer eher auf Erdulden gepoolt und litten unter einem Engegefühl, während Frauen auf Bemühen geeicht wären und ein Gefühl des Mangels mit sich herumtragen – und genau diese unterschiedliche Wahrnehmung der Liebe birgt für Michael Mary das größte Konfliktpotenzial in Partnerschaften.
Wie man auch in langjährigen, womöglich blockierten Beziehungen die Liebe wieder auslösen kann, erläutert Michael Mary in seinem Seminar »Lieben – was das ist und wie es geht«, das an Menschen gerichtet ist, die ihre Beziehung verbessern bzw. intensivieren wollen, oder deren Beziehung gefährdet erscheint und erhalten werden soll. Mehr dazu und zur Person Michael Mary, Autor von 27 Sachbüchern, die fast alle auch als E-Book erhältlich sind, finden Sie unter www.michaelmary.de.
Wir haben mit dem bekannten Sachbuchautor über Liebesarbeit und Beziehungsmühen gesprochen.
Seitensprung-Fibel.de: Liebe ist nicht lernbar, sagen Sie. Ist Liebe also eine Gabe, die manche besitzen, andere dagegen nicht?
Michael Mary: Damit ist gemeint, dass man Liebe nicht außerhalb von Beziehungen, als Erwachsener nicht außerhalb von Liebesbeziehungen, lernen kann. Liebe ist keine Technik und kann nicht als solche vermittelt werden. Sie vermittelt sich durch die Art und Weise des Umgangs miteinander.
Seitensprung-Fibel.de: Woher weiß ich, dass ich überhaupt lieben kann?
Michael Mary: Es gibt nicht die eine Art zu lieben. Jeder hat eigene Wege, seine Liebesgefühle auszudrücken, und ob es Liebe ist oder nicht, entscheidet das Paar, sonst niemand.
Seitensprung-Fibel.de: Klingt irgendwie fatalistisch: Wir lieben nicht bewusst, wir wollen unsere Partner nicht bewusst, Beziehungen lassen sich nicht bewusst gestalten. Muss ich mich also der Liebe mit all ihren Beziehungskonsequenzen schicksalsergeben überantworten?
Michael Mary: In der Tat steht Liebe dem Willen nicht zur Verfügung, sonst wäre sie keine Liebe. Liebe unterwirft das Ego, sie kann nicht von ihm gelenkt werden. Und was zwischen zwei Menschen möglich ist, das entscheidet die Beziehung und nicht die beiden. In der Liebe, wie wir sie heute verstehen, geht es um tiefe Gefühle, um die gegenseitige Bestätigung des Innersten eines Menschen. Wie lange und in welchem Ausmaß das möglich ist, davon kann man sich im Laufe der Zeit überraschen lassen.
Seitensprung-Fibel.de: Arbeit an der Beziehung bringt nichts, schreiben Sie. Heißt das, ich kann am Ist-Zustand meiner Partnerschaft kaum etwas positiv verändern?
Michael Mary: Unter Arbeit verstehe ich eine zielgerichtete Intervention in eine Beziehung, und die ist nicht möglich. Sie können experimentieren und dann herausfinden, was einer Beziehung gut tut und ob Sie in der Lage sind, sich entsprechend zu verhalten.
Seitensprung-Fibel.de: Schlechte Kommunikation, unbefriedigender Sex, keine gemeinsamen Hobbys – sind das immer Zeichen für eine kaputte Beziehung?
Michael Mary: Ob die Beziehung ganz oder kaputt erlebt wird, auch darüber entscheiden die Partner und nicht irgendwelche scheinobjektiven Kriterien. Beziehungen sind heute individualisiert, es gibt sie in unzähligen Formen, viel mehr, als in Tabellen und Statistiken reinpassen.
Seitensprung-Fibel.de: »Lebt die Beziehung, die Ihr habt«, lautet einer Ihrer Ratschläge für Paare. Wann weiß ich, dass ich die Beziehung, die ich habe, gar nicht leben kann, auch wenn ich mir noch so viel Mühe gebe?
Michael Mary: Wenn die Bereitschaft weg ist, die aufgetretenen Schwierigkeiten zu bewältigen, dann ist es vorbei. Wenn einer nicht mehr mitspielt, hört die Beziehung auf.
Seitensprung-Fibel.de: Das meiste entwickelt sich in einer Beziehung lange bevor wir es überhaupt wahrnehmen, schreiben Sie in »Mythos Liebe«. Wir müssen mit den Folgen leben. Woher weiß ich, dass ich mit den Folgen leben kann?
Michael Mary: Richtiger ist: wir müssen mit den Folgen umgehen. Wenn etwas bewusst wird, ist es schon geschehen und kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Da bleibt nur, sich damit auseinander zu setzten. Wohin das führt, ob das Partner näher oder auseinander bringt, das wird sich zeigen.
Seitensprung-Fibel.de: Können uns Beziehungen überhaupt glücklich machen?
Michael Mary: Zeitweise sicherlich, das geht mal hoch und mal runter. Sie können jedenfalls zu einem Leben beitragen, das jemand als glücklich bezeichnet.
Seitensprung-Fibel.de: Sie empfehlen, Paare sollten ihre Beziehung als eigenständiges Wesen ansehen und unabhängig von den Wünschen der Partner dessen Eigenarten, Schwächen und auch Stärken realisieren. Führt so viel derber Realismus nicht zu einer völligen Desillusionierung, die letztlich Liebe verhindert?
Michael Mary: Wohin führt ein Idealismus, der nicht desillusioniert wird? Zur Überforderung der Beziehung, die unter der Last der Ansprüche irgendwann in die Knie geht. Am AMEFI-Anspruch* – alles mit einem für immer – scheitern viele Beziehungen.
Lieber Herr Michael Mary, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!