Natürlich können diese Schein-Beziehungen niemals in die Wirklichkeit überführt werden. Die Möglichkeit, das virtuelle Liebesspiel in einem Hotelzimmer oder Swingerclub auszuleben, existiert nicht und wird auch bewusst nie in Erwägung gezogen. Weil bereits bei der ersten Begegnung der beiden Hauptakteure die Illusion zusammenbrechen würde.
Eine Illusion mit eingebautem Verfallsdatum
Das Bild, das sich beide voneinander gezaubert haben, hat nichts mit der Realität zu tun. Wer würde schon bei einem virtuellen Liebesdialog zugeben, dass das Profilbild zehn Jahre alt ist oder kräftig retuschiert wurde? Und dass die im Chat so detailliert beschriebenen, prallen Brüste eventuell längst hängen und keine C-Körbchen mehr füllen? Nein, beim virtuellen Sex sind beide Beteiligte perfekt. Niemand hat Cellulite, die Schwiegermutter zu Besuch, Schulden oder Mundgeruch.Emotionaler Betrug ist also nicht nur ein Betrug am Partner, sondern auch an den Beteiligten selbst. Leider hilft dieses Wissen einem auf diese Weise hintergangenen Partner nicht weiter.
Ein »Ich liebe dich«, das vielleicht aus dem Beziehungsalltag längst verschwunden ist, aber nun inflationär an einen fremden, virtuellen Sexpartner verschleudert wird, tut weh. Es symbolisiert Verrat, Hochverrat sogar. Beim Emotional Cheating kommt der betrogene Partner meist gar nicht gut weg. Männer stellen sich in solchen Dialogen gerne als einsame Wölfe und sensible Seelen dar, die sich zum ersten Mal so richtig verstanden fühlen. Deuten an, dass sie in einer unglücklichen Ehe leben, seit Jahren keinen Sex mehr mit ihrer Partnerin haben usw. Ob das tatsächlich stimmt, ist unwichtig. Es gehört zum Drehbuch.
Frauen tun etwas Ähnliches. Stellen sich als sexuell unausgelastet dar, ihre Beziehung als erkaltet, und wachsen beim virtuellen Dialog über sich hinaus. Manche Frau, die ein eher konservatives Leben führt, artikuliert sich ihrem virtuellen Lover gegenüber in einer pornografischen Eloquenz, die sie bei ihrem Mann niemals an den Tag legen würde. Immer mit dabei: sehnsuchtsvolle Liebesbekundungen. Beide erschaffen also ein Alter Ego von sich und schicken es ins virtuelle Liebesspiel. Dass dabei die Würde der jeweiligen Partner mit Füßen getreten wird, scheint keine Rolle zu spielen.
Keine Überraschung: Männer können verzeihen, Frauen nicht
David Buss hat auch dieses Thema recherchiert und bestätigt, was alle Klischees bereits vermuten lassen: 60 Prozent aller befragten Männer (international repräsentativ) erklärten, dass ein vollzogener sexueller Betrug sie mehr verletzen würde als emotionaler Betrug. Bei Frauen ist es umgekehrt: 83 Prozent würden sich durch emotionalen Betrug mehr hintergangen fühlen als durch einen körperlichen Seitensprung. Um sicherzugehen, schloss Buss die Befragten sogar an einen Lügendetektor an, weil er selbst kaum glauben konnte, dass sich die gängigen Rollenklischees so deutlich bestätigen würden.Ein Mann, der sich auf eine emotionale Affaire einlässt, muss wissen, dass er damit eher seine Beziehung riskiert als bei einem Seitensprung! Und sollte eventuell abwägen, ob das romantische Kopfkino wirklich eine handfeste Ehekrise wert ist. Vor allem, wenn man den angerichteten Schaden mit dem bei einem »harmlosen« Seitensprung vergleicht. Dieser sorgt – bei entsprechend erwachsenem Umgang – nur selten für Drama.
Die Frage lautet also: Warum sehne ich mich so nach dem emotionalen Kick? Was fehlt mir in meinem Leben, dass ich mich in eine Phantasieliebe hineinsteigere, die mich im schlimmsten Falle meine Beziehung kosten könnte?
Dieser Artikel hat 2 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Emotional Cheating: die heimliche Affaire im Kopf
Seite 2: Warum fühlt sich emotionaler Betrug so gut an?