Schluss mit Märchen: 6 Irrtümer über weibliche Lust
Männern merkt man ihre Erregung an, bei Frauen läuft vieles unsichtbar ab. Da liegt der Gedanke nahe, Frauen hätten eben von Natur aus nicht so viel Lust auf Sex. Das stimmt aber nicht: Frauen begehren nur anders – und gehen anders mit ihrer Lust um.
Die Erektion, der Samenguss nach dem Orgasmus – all das sind ganz offensichtliche Beweise für männliche Lust. Die eher verdeckten weiblichen Geschlechtsorgane übermitteln ihre Botschaften weniger klar und sind auch leichter falsch zu verstehen. Nicht nur für andere, sondern auch für Frauen selbst. Deren Lust agiert eher im Verborgenen, wie der amerikanische Journalist Daniel Bergner in Die versteckte Lust der Frauen erläutert. Frauen, schreibt er in seinem Forschungsbericht, seien durch Erziehung und Gesellschaft darauf getrimmt, den errogenen Botschaften ihres Körpers weniger Aufmerksamkeit zu schenken, als es Männer tun. Sie sind Meisterinnen darin, ihr eigenes Verlangen zu verkennen und ihre Lust zu verleugnen. In vielen Gesprächen erfuhr Bergner, wie Frauen ihre Sexualität begreifen – oder eben auch nicht begreifen. Frauen müssen verliebt sein, um Sex zu haben, Frauen sind treuer als Männer, Frauen suchen den Partner fürs Leben – fallen Ihnen weitere Allgemeinplätze ein? Sicherlich können Sie das ein oder andere hinzufügen und damit die Liste der Falschaussagen über weibliche Lust beliebig fortsetzen.
Es gibt nämlich viele Annahmen über weibliche Sexualität, die mehr auf gesellschaftlicher Übereinkunft basieren, als dass sie wirklich Hand und Fuß hätten. Das ist schön einfach und scheint manches zu erklären: Männer brauchen eben mehr Sex, Frauen dagegen haben es weniger nötig. Die Andersartigkeit der Geschlechter mag attraktiver Faktor bei der Balz sein, im Partnerschaftsverlauf wird aber gerade das zu einer ziemlich großen Herausforderung.
Die sechs größten Sex-Irrtümer über die weibliche Lust
Grund genug, mit einigen falschen Vorstellungen aufzuräumen – denn Erkenntnisse über die wahren Begierden von Frauen sind vielleicht ein erster Schritt zu mehr sexueller Zufriedenheit auf beiden Seiten.
Irrtum Nummer 1: Frauen wollen immer Liebe
Erst die Liebe, dann der Sex. Ohne tiefere Gefühle kommt keine weibliche Lust auf.
Womöglich ist das eine der am weitesten verbreiteten Annahmen. Wer eine Frau erobern möchte, muss dies über ihre Emotionen tun, nur Sex ohne Gefühlsschnickschnack liegt Frauen weniger. Wirklich? Geht man danach, was Frauen nachweislich erregt, sieht das etwas anders aus. Daniel Bergner etwa erwähnt in seinem Buch eine Untersuchung zur weiblichen Lust, bei der auf ganz einfachen Niveau ermittelt wurde, was Frauen wirklich erregt. Mittels eines sogenannten Plethysmographen, einem Apparat, der direkt in der Vagina die Durchblutung misst, wurde beobachtet, was sich körperlich bei den Frauen beim Betrachten pornografischer Bilder tatsächlich regt.
Die Ergebnisse sind verblüffend: Demnach ist nämlich die weibliche Libido eine unersättliche Allesfresserin. Denn auch wenn die Probandinnen angaben, manche Porno-Clips nicht besonders aufregend zu finden, gab ihre Vagina andere Signale. Die reagierte nämlich auf so ziemlich alles mit verstärkter Durchblutung: hetero- und homosexuelle Szenen, kopulierende Zwegschimpansen, Oralverkehr – all diese Sexdarstellungen erregten die Frauen. Und das, ob sie wollten oder nicht. Auch wenn Frauen sich vielleicht grundsätzlich Liebe wünschen, kann man also nicht pauschal behaupten, dass sie Lustgefühle bei völligem Fehlen von emotionaler Nähe verschmähen.
Irrtum Nummer 2: Frauenlust ist anders
Frauen reden weniger darüber, was sie scharf macht und sie taxieren potenzielle Sexpartner zurückhaltender.
Während Männergespräche oftmals ganz unverblümt Lust zum Thema haben, sprechen Frauen über so ziemlich alles, aber ihre Lustvorlieben behalten sie lieber schön für sich. Ist das Beweis dafür, dass Frauenverlangen grundsätzlich anders geartet ist als Männerlust? Offenbar nicht. Denn weibliche Lust ist der männlichen durchaus sehr ähnlich, wie ein von Bergner zitiertes Experiment bewies: 200 heterosexuelle Probanden sollten sich vorstellen, Angelina Jolie bzw. Brad Pitt würde auf sie zukommen und fragen »Würdest du heute abend mit mir ins Bett gehen?«
Dabei kam heraus, dass Männlein und Weiblein genauso vorhersehbar reagierten: Beide Geschlechter waren ebenso begierig darauf, mit den amerikanischen Filmstars Sex zu haben. Weibliche Zurückhaltung? Fehlanzeige! Die Frauen waren gleich lüstern, impulsiv und triebgesteuert – auch wenn sie das womöglich niemals zugeben würden.
Irrtum Nummer 3: Frauen mögen keine Pornos
Untersuchungen zum Pornokonsum gibt es viele, bisweilen gehen die Zahlen hier auseinander. Fakt ist: Viele Männer konsumieren Pornomaterial, Frauen eher weniger. Finden Frauen Pornos also eher abstoßend und stehen nicht auf visuelle Scharfmacher?
Dagegen spricht, dass sich immer mehr Frauen für erotische Darstellungen interessieren. Das Konsumforschungsunternehmen Nielsen stellte so auch laut Daniel Bergner fest, dass einer von drei Menschen, die sich online Pornos anschauen, mittlerweile eine Frau ist. Und bei Beratungsstellen für Pornosüchtige würde die Anzahl der weiblichen Hilfesuchenden ansteigen. Stehen Frauen insgeheim also doch auf Pornos?
Schauen wir mal: Der Kopf kann vielleicht verleugnen, dass heiße Sexdarstellungen scharf machen, der Körper allerdings spricht eine eindeutigere Sprache. Das zeigte ein Experiment: Frauen bekamen Bilder von männlichen Penissen gezeigt. Und siehe da: Vollkommen eindeutig überzeugte der erigierte Penis in Einzeldarstellung. Nur der isolierte, harte Phallus brachte die vaginalen Blutgefäße so richtig zum Schwellen – für die Forscher ein weiteres Signal dafür, dass weibliche Lust allen Annahmen zum Trotz ziemlich animalisch ist.
Was übrigens auch ansatzweise die These von der nicht primär visuellen Orientierung der Frauen widerlegt: Männern sagt man nach, sie reagierten ziemlich standardmäßig auf visuelle Reize, wohingegen Frauen die scharfen Bilder erstmal mit ihrer Gefühlswelt in Einklang bringen müssen. Stimmt wohl nicht so ganz, Untersuchungen und der steigende Pornokonsum von Frauen zeigen, dass weibliche Lust durch anregende Bilder wohl doch geschürt werden kann.
Irrtum Nummer 4: Frauen suchen den Partner fürs Leben
Hat frau einen Mann, will sie ihn natürlich behalten – möglichst für immer.
Das ist auch so ein Irrglaube. In Wirklichkeit belegen nämlich nicht nur die statistischen Fakten – so reichen z. B. wesentlich mehr Frauen die Scheidung ein –, dass nicht alle Frauen auf der Suche nach dem Partner fürs Leben sind, sondern auch Untersuchungen über weibliche Lust.
Dass die besonders gut gedeiht durch emotionale Nähe, gewachsene Intimität und ein Gefühl von Sicherheit ist womöglich ein Ammenmärchen. Oder wie sollte man es sonst deuten, dass alle Frauen von Sexszenen mit unbekannten Männern und Frauen am meisten erregt werden? Langzeitgeliebte wurden in einer kanadischen Untersuchung von Unbekannten ausgestochen, selbst wenn der Partner als perfekt geschildert wurde. Überhaupt löste Sex mit Fremden die heftigsten Erregungswallungen aus.
In Bezug auf weibliche Sexlust kann man klar sagen: Der vertraute Langzeitfreund ist offensichtlich ungeiler als ein Fremder oder sogar eine Fremde. Also scheint es mit der Behauptung, dass die Vertrautheit einer Langzeitpartnerschaft für Frauen idealer Nährboden für guten Sex ist, nicht allzu weit her zu sein.
Irrtum Nummer 5: Frauen sind von Natur aus monogam
Männer verfügen über eine unendliche Menge an Spermien, die sie großzügig an die Damenwelt verschleudern können. Frauen dagegen haben nur eine begrenzte Anzahl an Eizellen, die sie nicht hirnlos verprassen dürfen. Also strebt die Frau nach sorgsamer Partnerwahl und will den einen möglichst fest an sich binden, wohingegen Männer gerne nach weiteren Vermehrungspartnerinnen Ausschau halten.
Kommt Ihnen diese Theorie bekannt vor? Immerhin ist sie Kern vieler Erklärungsmodelle zu den Geschlechterunterschieden. Die laufen oft darauf hinaus, dass Frauen genetisch oder sonstwie bedingt treuer sind und eher zu monogamen Beziehungen neigen. Ansonsten würden sie ja zu viel aufs Spiel setzen, beziehungsweise, um es mal evolutionsbiologisch auszudrücken: ihr Überleben und das ihrer Nachkommen gefährden.
Sollte tatsächlich die evolutionsbiologische Prägung Frauen derartig im Griff haben, dass sie heute noch wie in Urzeiten funktionieren? Womöglich lauern in uns ja evolutionsbiologische Reste, die sollten aber eher eine untergeordnete Rolle spielen. So ist es auch: Frauen sind sehr geprägt von gesellschaftlichen Normen – aber nicht von Natur aus, sondern weil sie darauf programmiert sind. Monogamie liegt Frauen ebenso sehr oder so wenig wie Männern. Gäbe es nicht gesellschaftliche Restriktionen, die für Frauen einen engeren Moralkodex vorsehen, wären viele Ladys vielleicht wesentlich promisker, als Männern lieb ist.
Dafür sprechen auch Untersuchungen dazu, wie gut Ehe und Monogamie der weiblichen Libido tun. Eine deutsche Studie zu festen Beziehungen etwa habe ergeben, dass das Verlangen der Frauen in der Partnerschaft sogar noch schneller schwinde als das der Männer, schreibt Bergner. Folglich ist der Langzeiteffekt von Monogamie nicht gerade förderlich für die weibliche Lust. Die Erkenntnis, dass bei Frauen die sexuellen Gelüste in Bezug auf denselben Partner umso massiver schwinden, je länger sie mit diesem zusammen sind, spricht nicht gerade für die weibliche Treueeignung.
Außerdem entspreche Monogamie keineswegs der weiblichen Sexualität, meinen die Forscher. Eine Erklärung ist ihnen zufolge das narzisstische Bedürfnis: Treue geht zu Lasten von Leidenschaft. Beibt die aus, verlieren die Partner das sexuelle Interesse aneinander. Und bei Frauen, fasst Bergner zusammen, würde das den Eindruck erwecken, ihr Partner säße in einer Falle und würde sich nicht mehr aus impulsiver Lust für sie entscheiden. Und das ist ziemlich abtörnend für Frauen.
Irrtum Nummer 6: Frauenlust ist hormongesteuert
Und damit kommen wir zu einer weit verbreiteten Klage, nämlich der, dass die Leidenschaft mit den Jahren vergeht und das Sexleben bei Langzeitpaaren einschläft.
Da die triebgesteuerten Männer ja irgendwie immer wollen, wird oft die Ursache bei den Frauen gesehen. Im Besonderen bei deren schwachem oder fehlendem Verlangen. Oder besser gesagt: in einer hormonell beeinflussten und insgesamt weniger ausgeprägten weiblichen Lust. Aber die soll sich gerade dann optimal entwickeln, wenn eine starke, lange und sichere Bindung zum Partner da ist. Das zumindest behaupten laut Bergner renommierte Fachleute, darunter auch die kanadische Psychiatrie- und Gynäkologieprofessorin Rosemary Basson. Für sie sehe der Naturzustand weiblicher Sexualität so aus, dass nicht-sexuelle Belohnungen und Nähe mehr zählten als das Körperliche oder gar der Orgasmus, schreibt Bergner.
So ganz kann das aber auch nicht stimmen. Denn Nähe kann ein effektiver Lustkiller sein.
Frauen mögen zwar mehr durch Hormone, Zyklusschwankungen und körperliche Empfindungen beeinflusst sein, allerdings spielt die Länge der Beziehung und der damit verbundene Gewöhnungseffekt eine bedeutendere Rolle.
Eine australische Studie belegt das. Untersucht wurden Frauen in der Menopause – und siehe da: Hormone waren weniger problematisch für weibliche Lust als die Länge der Zeit, die die Frau mit demselben Partner verbracht hatte. Begannen die Frauen just in der Zeit der Wechseljahre eine neue Beziehung, konnten die sexuellen Lustgefühle die hormonellen Faktoren erstaunlich mühelos ausschalten.
Fazit: Abschied von den Lustklischees
Weibliche Lust ist eine komplexe Angelegenheit und sehr individuell. Aber noch immer grassieren Unwahrheiten darüber, was Frauen wirklich erregt und wie sie mit ihrer Lust umgehen.
Tatsache ist: Auch Frauen lieben neue erotische Reize und sexuelle Abwechslung. Auch sie reagieren mit gesteigertem Verlangen auf erotische Darstellungen, auch sie genießen hemmungslosen Sex. Erotisches Verlangen, schreibt Bergner, liegt dem zugrunde, was uns als menschliche Wesen ausmacht. Drum sollten wir das auch offen und ehrlich erforschen und uns von althergebrachten Vermutungen und unbewiesenen Theorien verabschieden. Denn womöglich sind sich Männer und Frauen in Bezug auf Lust gar nicht so unähnlich.
Ein interessantes Experiment belegt, dass Frauen genauso reagieren wie Männer, wenn die Umstände entsprechend sind: Bei einem Speed-Dating zeigte sich, dass Wahrnehmung, Entscheidungen und Lustempfinden davon beeinflusst werden, wer die Initiative ergreift. Waren nämlich die Männer diejenigen, die im 4-Minuten-Takt zur nächsten Kandidatin weiterzogen, zeigten sie sich deutlich lustbetonter und spontaner. Konnten die Frauen aktiv von Mann zu Mann weiterziehen, waren ihre Bewertungen in Hinsicht auf Verlangen genauso lustbestimmt wie die der Männer. Der Rollentausch von passiv zu aktiv bewirkte eine erkennbare Lustaktivierung unabhängig vom Geschlecht – und dieser Effekt lässt sich sicherlich auch ins wahre Leben übertragen.