Sexverweigerung in der Beziehung: Wenn einer nicht mehr will
»Ich bin müde, ich muss früh aufstehen, ich hab Kopfweh« – kommt Ihnen das bekannt vor? Könnte durchaus sein, das sind nämlich allgemein bekannte Sexausreden. Nicht nur Frauen greifen auf solche Ausflüchte zurück, wenn sie keine Lust haben. Das ist ja auch legitim. Allerdings kann Sexverweigerung langfristig unschöne Folgen haben. Besser, Sie reden rechtzeitig darüber.
28 Mal bat er seine Frau um Sex, nur 3 Mal sagte sie Ja: Ein Ehemann griff unlängst zu drastischen Maßnahmen, um auf die Sexverweigerung seiner Partnerin aufmerksam zu machen. Der Amerikaner schickte seiner Angetrauten eine Excel-Liste, in der er sieben Wochen lang erfasst hatte, wie oft und mit welchen Begründungen sie ihn nicht ranließ. Die klingen ziemlich fadenscheinig, dennoch fühlte sich die Sexverweigerin offensichtlich im Recht: Sie veröffentlichte die pikante Liste im Internet – und trat damit eine kleine Lawine von Leserreaktionen los. Von Verständnis für den ausgehungerten Gatten über solidarische Wutkommentare zugunsten der Frau bis hin zu Häme für beide ist alles drin – Sexverweigerung scheint ein ziemlich brisantes Thema zu sein.
Prompt konterte eine unbekannte Frau im Internet: Sie zog nach 30 Tagen traurige Bilanz: Neun Vibrator-Einsätze, zwei weitere Male Selbstbefriedigung, ein Blowjob und zwei Mal Sex – die anderen Male redete sich ihr Partner heraus. Live-Sport, Müdigkeit oder Fernsehen mussten hier unter anderem als Sexausreden herhalten. Dem Vernehmen nach hat die Dokumentation der Sexausreden das amerikanische Paar jedenfalls endgültig entzweit. Soweit muss und sollte es aber nicht kommen.
6 gängige Sexausreden: Darum lassen wir unseren Partner nicht ran
Studien zufolge haben 50 Prozent der Deutschen weniger als einmal pro Woche Sex, manche bringen es auf knapp 139 Mal pro Jahr. 17 Prozent der Paare haben weniger als ein Mal monatlich Sex. Wenn ein Paar über kurz oder lang nicht mehr miteinander schlafen will und traute Zweisamkeit etwa vorm Fernseher erotischen Betätigungen vorzieht, ist alles im grünen Bereich.
Zum Problem wird es, wenn einer der beiden unter der ungleichen Lustverteilung leidet. Wenn einer also gerne öfter will, der andere aber eigentlich gar nicht mehr. Die Zahl dieser Paare steigt, wie Psychologen beobachten. Klagten Partner vor zwei Jahrzehnten vor allem über Orgasmus- und Erektionsstörungen, ist es heute der Lustverlust, meint Arnold Retzer. Wir leben in Zeiten der sexuellen Pflichterfüllung, schreibt er in Lob der Vernunftehe, darum werde Lustlosigkeit für viele schnell zum Problem. In punkto Ausreden sind viele da mehr oder weniger kreativ:
- Kopfschmerz ist der Klassiker unter den Ausflüchten – gerade bei Frauen. Manchmal ist das sogar gar kein Vorwand, Frauen leiden tatsächlich häufiger als Männer unter Kopfschmerzen. Und die funktionieren als Abturner – dabei kann Sex Schmerzen aller Art sogar lindern, das ist wissenschaftlich erwiesen.
- Müdigkeit betrifft uns alle – viele Paare sind am Tagesende zu erschöpft, um es krachen zu lassen. Bei Frauen ist Müdigkeit oft das Zünglein an der Waage, denn sie brauchen ein bisschen länger, um in Stimmung zu kommen, was in einem müden Zustand einen erheblichen Aufwand erfordert.
- Keine Zeit ist auch ein beliebter Spruch, dabei weiß doch jeder: Ein schnelles Nümmerchen ist fast immer drin.
- Streit führen viele ins Feld, das Argument zieht aber auch nicht wirklich – Versöhnungssex kann doch eigentlich so schön sein.
- Stress aller Art muss auch oft als Ausrede herhalten, schließlich ist der subjektiv und kaum nachzuweisen.
- Fernsehen ist Gift für die Lust – nicht nur in Langzeitpartnerschaften. Bei Männern ist es Fußball, bei Frauen die Lieblingsserie, die sie nicht wegen des Liebesspiels verpassen wollen.
5 Gründe für Sexverweigerung
Es gibt Menschen mit besonders ausgeprägter Libido, für die Sex wesentlicher Lebensbestandteil ist. Und es gibt Menschen, denen sexuelle Höhepunkte nichts geben. Dazwischen ist alles möglich – die körperlichen Bedürfnisse sind sehr individuell und variieren extrem.
Nicht nur das: Libido und Sexverlangen verändern sich auch im Laufe des Lebens: Manch junger Potenzhengst wird mit zunehmender Reife genügsamer, manche Frau entdeckt erst im mittleren Alter die sinnlichen Freuden der körperlichen Lust. Individuelle Unterschiede in einer Partnerschaft extrem ausgeprägt sein – und sich erst nach Abklingen des Verliebtheitsrausches bemerkbar machen.
- Hormone: Dafür, dass es zu Beginn einer Liebe heiß hergeht, sind Hormone verantwortlich. Verlieben setzt einen wahren Hormoncocktail in uns frei – doch leider hält der nur etwa 2 Jahre vor, danach normalisiert sich unser Hormonhaushalt, wodurch die Sexlust schwindet. Auch Männer zeigen heute ein abnehmendes sexuelles Verlangen, hormongeschüttelter sind aber eher Frauen. Die US-Psychologin Laurie B. Mintz etwa sieht Sex-Müdigkeit tendenziell als weibliches Problem. Ihrer Erfahrung nach ergreifen rund 60 Prozent der Männer häufiger die Initiative zum Sex. Männer seien zwar nicht weniger müde als Frauen, aber sie verfügen über Unmengen der natürlichen Lust-Droge Testosteron, dem Hormon-Kraftstoff für unseren Sexantrieb. Auch im weiblichen Körper wird es gebildet, allerdings in zehnfach geringerer Menge. Sobald wir müde oder gestresst sind, sinkt dieser ohnehin niedrige Pegel dann weiter. Mögliches Resultat: anhaltende Lustlosigkeit.
- Alltagsstress: Früher war mehr Sex – laut dem amerikanischen Kinsey-Institut ist diese Aussage wahr. Deren Untersuchungen belegen, dass die Sexaktivtät der Menschen zurückgeht. Heute kann jeder seine Lust ausleben, egal, ob er verheiratet ist oder nicht. Früher gab es die ein oder andere Hürde zu überwinden, bevor man Sex haben konnte. Heute ist dieser frei verfügbar – und muss sich dem Alltag unterordnen. Psychologen beobachten, dass sich die Alltagslast negativ auf die Fähigkeit von Paaren auswirkt, Sex zu genießen. Außerdem steht Sex im Wettbewerb mit anderen Freizeitaktivitäten, was der Lust nicht gerade zuträglich ist.
- Alter: Dem Kinsey-Report zufolge hängt die Sex-Häufigkeit tatsächlich mit dem Alter zusammen. Unter 30-Jährige tun es durchschnittlich 3,3 Mal die Woche, 40-Jährige circa 2,4 Mal. Und die 50-Jährigen kommen auf 1,7 Mal wöchentlich. Mit zunehmendem Alter scheint Qualität mehr zu zählen als Quantität, aber auch eine gewisse Lockerheit verloren zu gehen. Vor allem Frauen zwischen 35 und 50, die die Doppelbelastung Kinder und Beruf stemmen, haben mit Sex oftmals wenig am Hut – Studien belegen, dass etwa jede zweite Frau in diesem Alter Probleme mit der Lust hat. Auch das Beziehungsalter spielt eine Rolle: Zu Beginn ist Sex wichtiges Bindungselement, ist die Partnerschaft gefestigt, muss man sich der Liebe nicht ständig körperlich vergewissern.
- Mangelndes Begehren: Die meisten Langzeitpaare beklagen weniger den Mangel an Gelegenheit zu sexuellen Aktivitäten, als vielmehr überhaupt das fehlende Begehren. Michael Mary, Autor von Mythos Liebe, sieht den Lustverlust als Folgeerscheinung von Beziehungen. Harmonie koste Leidenschaft, je länger und enger ein Paar zusammen sei, umso mehr gehe die Fremdheit verloren und damit eine Basis für wilden Sex. Leidenschaft braucht Spannung und Spannung braucht Distanz – in langen Partnerschaften fehlt es oft daran: Mit den Jahren schwindet das Begehren automatisch, der Gewöhnungseffekt tut ein Übriges.
- Fehlende Attraktivität: Je länger ein Paar zusammen ist, umso vertrauter wird es sich. Für manche heißt das: Jeans aus, Jogginghose an. Für eine dauerhafte Partnerschaft zählen aber auch Äußerlichkeiten resümiert Werner Bartens in Was Paare zusammenhält. Wer denkt, er habe mit Ehe oder Langzeitbeziehung die Katze im Sack und müsse sich nicht mehr um den anderen bemühen, geschweige denn, sich aufhübschen, der killt den letzten Erotikfunken. Bei vielen ist Lustlosigkeit einfach darauf zurückzuführen, dass sie ihren Partner nicht mehr attraktiv finden – mit etlichen Mehrkilos auf den Hüften, nachlässiger Kleidung und ungeputzten Zähnen.
Stress, Fremdgehen, Trennung – Sexentzug mit Folgen
Manche Paare kommen sehr gut klar ohne oder mit wenig Sexualität. Ihnen reicht die emotionale Bindung, die im Laufe der Jahre entsteht und gemeinsame Projekte wie Kinderaufzucht, Hausbau und das soziale Leben. Das gilt jedoch nur, wenn Sie mit Ihrem Partner hinsichtlich der sexuellen Bedürfnisse voll auf einer Wellenlänge liegen. Ein unbefriedigendes oder gar nicht stattfindendes Liebesleben kann Ursache für allerhand Beziehungsprobleme sein. Denn fehlt Intimität in einer Partnerschaft völlig, ist es schwer auch in anderen Bereichen eine tragfähige Nähe herzustellen. Die Folgen können heftig sein:
- Stress: 36 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen, die nur einmal in der Woche Sex haben, stürzen sich in die Arbeit, um ihren Sexfrust zu kompensieren, ermittelte Theratalk. Bisweilen führt erzwungene Abstinenz auch zu Aggressivität. Denn der Mangel an Zärtlichkeiten und Geschlechtsverkehr erzeugt Stress, fanden Forscher heraus. Manch einer kompensiert den Sexentzug, indem er sich Anerkennung woanders holt, etwa in Vereinen. Das kostet Zeit, die wiederum der Beziehung fehlt – mitunter ein Teufelskreis der Sexlosigkeit. Denn Stress wirkt sich negativ auf das Sexleben aus, der Mangel an Sex wiederum erhöht den Stresspegel. Aus dieser Abwärtsspirale finden viele Paare nur schwer wieder heraus.
- Fremdgehen: Wenn einer will, der andere gar nicht, führt das zu einem Ungleichgewicht – und unter Umständen zur Untreue. Nicht umsonst machen 76 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen, die fremdgegangen sind, sexuelle Defizite in der Partnerschaft als Haupgrund für den Seitensprung verantwortlich, so die Theratalk-Studie. Derzufolge ist sexuelle Unzufriedenheit auch der häufigste Grund für einen Seitensprung. Sexentzug ist eine große Belastung für eine Beziehung, stirbt die Lust ganz, wirken Reize außerhalb der eigenen vier Wände umso verführerischer. Das schreibt Annette Dillig in Diesen Partner in den Warenkorb legen. Pornografie, Seitensprünge oder andere sexuelle Aktivitäten seien dann verführerische Optionen.
- Trennung: 56 Prozent der Deutschen würden sich trennen, wenn der Sex schlecht wäre – und der Partner nicht bereit, etwas zu ändern. Denn Sex gilt als Grundpfeiler einer Beziehung. Natürlich kann häufiger Geschlechtsverkehr wohl kaum eine Partnerschaft vor dem Scheitern bewahren – aber ein intaktes Liebesleben reduziert Paarstress und wirkt als Beziehungskitt. Wer dagegen dauerhaft unter Sexfrust leidet, gibt eine Beziehung eher auf, vor allem wenn er attraktive Alternativen hat.
Fazit: Erst reden – dann handeln
Längere Flauten im Bett sind durchaus normal – sofern es andere Formen der Intimität gibt, meint Wolfgang Krüger. Der Paartherapeut schreibt in Freiraum für die Liebe, Nähe sei nicht in erster Linie ein körperlicher Prozess, man könne sie auch durch Gespräche, gemeinsame Unternehmungen oder Lebensziele herstellen. Allerdings müsse ein Mindestmaß an wirklichen Berührungen gegeben sein, damit Sexmangel nicht zum Distanzfaktor wird.
Dauerfrust wegen Sexmangels, insbesondere Sexverweigegerung wirkt sich immer auf die Beziehung aus – wichtig ist, dass Sie darüber reden, also keine Ausreden vorschieben. Das scheint vielen von uns ziemlich schwer zu fallen, fand die Theratalk-Studie heraus: 54 Prozent der Männer und 57 Prozent der Frauen, die vor allem wegen ihrer sexuellen Unzufriedenheit fremdgingen, sprachen mit ihrem Partner über ihre Unzufriedenheit vor dem Seitensprung entweder gar nicht oder nur andeutungsweise.
Dabei leiden die meisten lange: 76 Prozent der Männer und 66 Prozent der Frauen waren vor dem Seitensprung schon über ein Jahr lang mit dem Beziehungssex unzufrieden, die meisten sogar länger als zwei Jahre. Nur wenige schaffen es, dem Partner den Sexfrust ausdrücklich mitzuteilen. Genau dies ist aber wichtig, damit Dringlichkeit und Handlungsbedarf beim Partner ankommen.
Vor allem, wenn Sex zum Druckmittel wird oder zu einer Pflichtübung verkommt, der man sich um des lieben Beziehungsfriedens willen ab und an mal unterziehen muss, ist es wichtig, darüber zu sprechen. Ehrlichkeit ist hier oberstes Gebot – am besten, bevor Sie auf Abwege geraten und etwa fremdgehen.