Auf den Ernstfall vorbereiten: Wann es sinnvoll ist, vor dem Seitensprung über den Seitensprung zu sprechen
Haben Sie schon mal mit Ihrem Partner über Untreue gesprochen? Nein? Dann gehören Sie zur Mehrheit der Paare, die dieses heikle Thema am liebsten gar nicht erst anschneiden. Dabei kann das durchaus sinnvoll sein, etwa um Missverständnisse und Kummer zu vermeiden. Denn dadurch können eventuell vorhandene Interessen oder Ängste in diesem Bereich besprochen werden, bevor es zu Missverständnissen oder sogar zur Trennung kommt. Schließlich sind Seitensprünge mittlerweile sehr verbreitet, und das keineswegs nur in zerrüttenen Beziehungen. Wäre es also nicht gut, mit dem Partner darüber zu reden? Und zwar bevor man fremdgeht?
Machen wir uns doch nichts vor: Seitensprünge kommen in den besten Beziehungen vor. Niemand kann mit Fug und Recht von sich behaupten, dass er niemals fremdgehen würde. Dagegen spricht allein schon die Statistik, die uns vor Augen hält, dass Untreue fast jeden von uns einmal betreffen kann – als Seitenspringer oder als Betrogener.
Denn Partnerschaften verändern sich im Laufe der Zeit. Leidenschaftliche Gefühle nutzen sich ab, sexuelle Höhepunkte werden seltener. Darauf haben wir manchmal wenig Einfluss. Schon nach etwa eineinhalb Jahren pendelt sich der Hormonhaushalt bei den meisten Paaren auf ein niedriges Level ein. Denn dann, so erklärt die Journalistin Annabell Dillig in Diesen Partner in den Warenkorb legen wird die Ausschüttung des Liebeshormons Dopamin gedrosselt.
Dann kehrt der Liebesalltag ein. Und mit ihm normalerweise die Gewöhnung, die bekanntlich kontraproduktiv für ein aufregendes Sexleben ist. Was aber nicht unbedingt der Tod der Liebe sein muss. Sondern nur ein anderer Aggregatzustand der Beziehung, in der dann oft das Thema Fremdgehen aufkommt. Die Frage ist dabei weniger, wie wir das Bedürfnis nach fremder Haut beseitigen können. Sondern vielmehr, wie wir damit umgehen.
Reden tabu?!
Wir postulieren allgemein einen toleranten Umgang mit Beziehungen und Liebe. Nie zuvor wurde so ausführlich über Fallstricke der Lust und individuelle Erotikbedürfnisse geplaudert. Schließlich leben wir in einer hedonistischen Zeit, viele Menschen haben den Anspruch, sich sexuell und emotional auszuleben – wollen dafür aber nicht auf eine feste Partnerschaft verzichten. Darüber im Vorfeld zu sprechen, fällt jedoch schwer.
Noch immer sei das ein Tabuthema, meint Oliver Schott. Der Philosoph erläutert in Lob der offenen Beziehung, wie gesteuert wir von erlernten Beziehungsmodellen sind. Wir alle würden Monogamie zwangsläufig als den Königsweg ansehen. Wenige trauen sich, althergebrachte Treueauffassungen wirklich zu hinterfragen. Dabei favorisieren wir doch offensichtlich ein recht heuchlerisches Beziehungsprogramm: nämlich die serielle Monogamie. Okay ist es, wenn Sie im Laufe Ihres Liebeslebens mehrere Beziehungen hintereinander haben. Zeitgleiche Partnerschaften – womöglich noch mit Sex – sind verpönt. Und auch das Gespräch darüber ist kritisch.
Warum wir lieber schweigen, bevor wir fremdgehen
Dass es uns irgendwann einmal passieren kann, dass wir auch einen anderen Menschen attraktiv finden, darüber sprechen wir normalerweise gar nicht oder nur verhalten. Zugegeben – so eine Unterhaltung ist brisant. Denn immer sind Gefühle involviert. Die meisten Menschen sind gekränkt, wenn der Partner ihnen sagt, dass er nicht garantieren kann, immer und ewig die gleichen leidenschaftlichen Gefühlen für einen zu haben. Zurückweisung in der Liebe ist sowieso eine der härtesten Kränkungen, die uns widerfahren können, schreibt Bärbel Wardetzki in Ohrfeige für die Seele. Unser Selbstwertgefühl wird verletzt, wir fühlen uns zurückgesetzt und zweifeln an uns. Hinzu kommen dann noch die Verlustängste: Wer schon ankündigt, er kann einen Seitensprung nicht völlig ausschließen, der wird es doch auch irgendwann einmal tun, als Liebesbetrug mit Ansage sozusagen.
Keiner mag außerdem hören, dass die geliebte Person in Erwägung zieht, auch einmal mit einem anderen Menschen Sex zu haben. Die meisten von uns reagieren darauf mit Eifersucht. Und die, meint Wolfgang Krüger, sei die kleine Schwester der Treue. In Aus Eifersucht kann Liebe werden, schreibt er, wir leben in unsicheren Zeiten, in denen der Partner als fester Anker immer bedeutender wird und Treue somit an Wert gewinnt. Eifersucht als ein Gefühl der Verunsicherung in der Beziehung kennt eigentlich jeder.
Auch dass man nicht darübersteht, wenn der andere ein Gespräch über mögliche Seitensprünge in naher oder ferner Zukunft anregt, ist nachvollziehbar. Allerdings lohnt es sich, die Botschaft dahinter zu erkennen.
Warum wir besser reden sollten, bevor wir fremdgehen
Oftmals gibt es nämlich stichhaltige Argumente dafür, warum Sie trotz großer Liebe über Fremdgehen reden sollten:
- Sie stellen im Vorfeld klar, dass Fremdgehen nichts mit der Beziehungsqualität oder der Liebe zu Ihrem Partner zu tun haben muss, sondern auch Ausruck erotischer Bedürfnisse sein kann, die in Langzeitbeziehungen häufig zu kurz kommen.
- Sie loten Grenzen aus, treffen vielleicht Vereinbarungen und stellen Regeln für den Umgang mit Seitensprüngen auf.
- Auch wenn es komisch klingt: Sie können sich und Ihren Partner auf den Ernstfall vorbereiten. Denn für die meisten ist der Seitensprung des Partners ein Schock, weil sie mit sowas niemals gerechnet hätten. Als umso tragischer wird der Vorfall dann empfunden, denn er kommt als unkalkulierbares Ereignis. Ein Gespräch zur rechten Zeit darüber kann zwar vielleicht Kummer nicht total verhindern, aber zu einer besseren, konstruktiveren Bewältigung des Fremdgehens beitragen.
- Sie thematisieren sexuelle Wünsche und regen Gespräche auch über die Erotik innerhalb Ihrer Partnerschaft an – laut Theratalk-Studie ein wichtiger Beitrag zu einem befriedigenden Sexleben.
Alternative offene Beziehungen
Wie ein anderer Umgang mit dem Thema Seitensprung aussehen kann, zeigen offene Beziehungen. Sie sind ein Versuch, konsequent aufrichtiger zu sein. Laut Theratalk-Studie ist wesentliches Kennzeichen offener Beziehungen, dass die Partner einverstanden sind, dass der andere auch weitere Sexkontakte hat. Und dieses Einverständnis wird explizit ausgesprochen – wobei wir beim Thema wären. Offene Beziehungen funktionieren, wenn vor dem Seitensprung darüber gesprochen wird. Toleranz und Akzeptanz der sexuellen Bedürfnisse wird dabei vorab vereinbart, und nicht Verzeihen nach dem Seitensprung eingefordert.
Das Göttinger Theratalk-Projekt kam zu dem Ergebnis, dass offene Partnerschaften weder glücklicher noch unglücklicher sind als treue Partnerschaften. Allerdings nur dann, wenn sich zwei Partner zusammenfinden, denen sexuelle Treue nicht so wichtig ist, was bei etwa 1 Prozent der Fall ist.
Mit 3 Prozent deutlich häufiger kommen Partnerschaften vor, bei denen sich einer der Partner sexuelle Freiheiten herausnimmt. Diese »pseudo-offenen« Beziehungen, in denen einer erotischen Freiraum ohne das ausgesprochene Einverständnis des anderen beansprucht, sind Theratalk zufolge eine Notlösung. Etwa, wenn einer der Partner über längere Zeit sexuell frustriert ist und Sex mit anderen haben möchte, ohne sich gleich zu trennen. Oder aber, wenn ein Partner unter einem niedrigen Selbstwertgefühl leidet, das er durch besonders viel sexuelle Aufmerksamkeit von außen verbessern will. Die Studiendaten zeigen, dass Partner in diesen pseudo-offenen Konstellationen deutlich weniger glücklich sind als andere.
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3 Tipps für ein offenes Gespräch über den Seitensprung
Darum stellt sich doch die Frage, ob es nicht ratsam ist, schon in den Hochzeiten partnerschaftlicher Leidenschaft das Thema Seitensprung anzusprechen. Und schon vorab Position zu beziehen und Regeln zu vereinbaren, mit denen beide Partner einverstanden sind. Natürlich setzt das gewissermaßen einen Konsens in der Treueauffassung voraus. Aber auch der lässt sich doch nur durch Kommunikation ermitteln. Ein Gespräch über Seitensprünge und das gemeinsame Abstecken der Treuegrenzen erfordert Einfühlungsvermögen und Ehrlichkeit. Was Sie dabei beherzigen sollten, lesen Sie hier:
1. Gehen Sie behutsam vor!
»Schatz, in etwa 2 Jahren werde ich Dich betrügen.« – wenn Sie diese Holzhammermethode anwenden, können Sie vermutlich gleich Ihre Koffer packen. Leiten Sie das Gespräch über Seitensprünge sanft ein. Stellen Sie Ihrem Partner Fragen, versuchen Sie herauszufinden, was er sich wünscht – sofern Sie das nicht ohnehin schon wissen. Geben Sie Ich-Botschaften, bringen Sie zur Sprache, was Sie in erotischer Hinsicht begehren und wie Sie sich das innerhalb der Beziehung vorstellen. Denken Sie daran, dass wir alle sehr verletzlich sind und in starren Denkschemata feststecken, was Beziehungen anbetrifft.
Auch Drohungen wie »Wenn bei uns nichts mehr läuft« oder »Wenn du dich gehenlässt« sind fehl am Platze. Denn es geht um gleichberechtigtes Ausloten gemeinsamer Liebesfreiheit – nicht um potenzielle Reaktionen auf unbefriedigende Beziehungssituationen. Und vermeiden Sie unbedingt Andeutungen, die Ihrem Partner suggerieren, das da schon etwas im Busch sein könnte. Außerdem sollten Sie klarstellen, dass ein derartiges Gespräch keineswegs Zeichen für einen untergehenden Verliebtheitsstern ist.
2. Akzeptieren Sie Toleranzgrenzen!
»Ich würde gerne mal mit einem anderen Mann schlafen, warum bist Du nicht scharf auf eine andere Frau?« – was für Sie in Frage kommt, muss nicht unbedingt im Sinne Ihres Partners sein. Oder eine Rolle in dessen Sexfantasien spielen. Seien Sie sich darüber im Klaren, dass Sie nicht totale Übereinstimmung all Ihrer Erotikwünsche erwarten können.
Denn ebenso wie Sie hat Ihr Partner Grenzen. Vielleicht an anderen Stellen, vermutlich werden Ihre Vorstellungen von einer toleranten Handhabung pikanter Untreuewünsche nicht deckungsgleich sein. Versuchen Sie nicht, dem anderen Ihre Bedürfnisse aufzuzwingen, sondern sprechen Sie darüber, was aus Ihrer jetzigen Sicht tolerierbar wäre. Und respektieren Sie, wenn Ihr Partner da nicht mitzieht.
3. Seien Sie sich bewusst über die Folgen!
»Lass uns über Fremdgehen sprechen!« – auch wenn Sie das Gesprächsthema auf den Tisch bringen, sind Sie nicht vor Überraschungen sicher. Vielleicht hat sich Ihr Partner selbst schon Gedanken über Seitensprünge gemacht? Vielleicht hat er auch konkrete Vorstellungen, wie er sich Sexwünsche außerhalb Ihrer Beziehung erfüllen kann?
Seien Sie gefasst darauf, dass das Gespräch spannend verläuft, aber vielleicht nicht ganz nach Plan. Ebenso wenig sollten Sie sich darauf verlassen, dass eintrifft, was Sie vorab absprechen. Ein Seitensprung kann erhebliche Konsequenzen haben und trotz vereinbarter Toleranz unkalkulierbare Gefühle hervorbringen. Und Sie als Stichwortgeber müssen damit rechnen, dass Sie Ihren Partner durch ein offenes Gespräch erst auf Fremdgeh-Gedanken bringen. Die Folgen eines ehrlichen Dialoges müssen Sie tragen. Darum empfiehlt es sich, schon vor dem Gespräch darüber nachzudenken, was Sie eigentlich wollen – und was Sie im Gegenzug zu tolerieren bereit sind.
Fazit: Stellen Sie keine Fragen, deren Antworten Sie nicht ertragen können!
Auch wenn es wohl keiner im Rausch der Verliebtheit hören möchte, Tatsache ist: Nur wer wirklich ein Liebesleben lang treu bleibt, kann von sich behaupten, Seitensprünge kämen für ihn nicht in Frage. Hier würden wir uns total überschätzen, glaubt Franz Josef Wetz. Der Autor von Lob der Untreue schreibt, viele von uns hielten sich genau so lange für treu, bis sie eben untreu werden. Und das kann wirklich jedem passieren, egal ob er oder sie sich in einer guten oder weniger glücklichen Beziehung befindet.
Ob ein Gespräch über Untreue Sinn macht, ist Ansichtssache. Ohnehin sollten Sie abwägen, was Sie Ihrem Partner offenbaren und was Sie lieber für sich behalten. Wolfgang Krüger zum Beispiel plädiert in Freiraum für die Liebe für eine respektvolle Gesprächskultur, die auch Auslassungen akzeptiert. Nicht jedes Geheimnis müsse man dem anderen anvertrauen. Inwieweit dazu Seitensprungfantasien gehören, bleibt jedem selbst überlassen.
Auch der Paartherapeut Ulrich Clement rät in Wenn Liebe fremdgeht für den richtigen Umgang mit Affären – was ihm zufolge auch einschließt, dass man den Wert der Offenheit gegen den Wert des Schutzes abwägt. Er empfiehlt kluges Verhalten nach einem Seitensprung. Gleiches gilt auch für Gespräche vor einem möglichen Seitensprung. Respektieren Sie bei aller liebevollen Aufrichtigkeit die Offenheitsgrenzen des anderen. Und denken Sie immer daran: Stellen Sie keine Fragen, deren Antworten Sie nicht ertragen können!