Übrigens gibt es zur Untreue eine Entsprechung im Tierreich. Der Evolutionspsychologe David Buss fand heraus, dass selbst unter vermeintlich monogam lebenden Arten die Weibchen eine Neigung zu extra-pair copulations, also zu Seitensprüngen zeigen! Die etwas abfällig so bezeichneten »Kuckuckskinder«, von denen es in deutschen Beziehungen etwa 12 Prozent gibt – die vermutete Dunkelziffer liegt etwa doppelt so hoch – findet man also auch in der Tierwelt.
Diese scheinbare Ambivalenz im Sexualverhalten kannte man bisher nur von untreuen Männern als sogenanntes »Madonna-Hure-Syndrom«. Also eine brave, untadelige Madonna für die Rolle der Partnerin und Kindsmutter, und die Hure für den Spaß zwischendurch. Dass es bei Frauen eine ganz ähnlich gelagerte Doppelstrategie gibt, ist relativ neu. Was nicht nur Männer kräftig verwirrt, sondern auch die Frauen selbst. Kein Wunder. Manche »brave« treue Partnerin schüttelt nach überstandenem Hormonflash während der Ovulation über sich selbst den Kopf. Weil bei aller Anziehungskraft natürlich eines nicht übersehen werden darf: Die dominanten, maskulinen Männertypen, auf die Frau während der fruchtbaren Tage so heftig reagiert, sind genau diejenigen, die sie normalerweise nie als Partner in Erwägung ziehen würde, weil sie es mit der Treue alles andere als genau nehmen.
Dominanzhormon Testostero
Entgegen eines weit verbreiteten Irrtums spielt Testosteron nicht nur in der männlichen Körperchemie eine Rolle. Frauen profitieren von einem erhöhten Testosteronspiegel in Form durchsetzungsfähiger, zielstrebiger Verhaltensweisen und einem selbstbewussten Auftreten ohne Angst vor »hohen Tieren«. Testosteron sorgt bei Männern und Frauen für die als maskulin empfundenen Verhaltensweisen wie Aggressivität, Dominanz und Konkurrenzdenken. Doch während es Männer überaus anziehend für Frauen erscheinen lässt, bewirkt es bei Frauen genau das Gegenteil: Männer empfinden Frauen mit einem hohen Testosteronwert als einschüchternd. Der Weibchenfaktor fehlt.Überwindet ein Mann seine Angst vor einer selbstbewussten Frau und gründet mit ihr eine Familie, könnte es sein, dass dabei äußerst selbstbewusster Nachwuchs entsteht, denn hier hat die Natur sich etwas besonders Effektives einfallen lassen und belohnt durchsetzungsfähige, mutige Männlein wie Weiblein dafür, dass sie zusammengefunden haben. Der Testosteronspiegel eines Menschen lässt sich zwar durch allerlei Tricks und (nicht immer legale) Medikamente steigern, sein grundsätzlicher Wert wird aber bereits lange vor der Geburt definiert!
Sozialpsychologe Dr. Sascha Schwarz stellte im Rahmen einer Studie mit 1.000 Männern an der Universität Wuppertal fest: Je mehr Testosteron durch den Blutkreislauf der Mutter schwirrt, umso höher wird der Hormonspiegel bei ihrem Sprössling sein – mit entsprechenden Folgen für’s Sexualleben ihrer Söhne. Männer, deren Mütter einen relativ hohen Testosteronwert im Blut aufwiesen, hatten als Erwachsene deutlich mehr Affären und eine lockerere Einstellung zum Sex als Männer mit biochemisch gesehen weiblicheren Müttern. Einziger Haken: Dominante Väter neigen häufig dazu, ihre Söhne unbewusst als Konkurrenten zu betrachten und zu unterdrücken. Der hohe Testosteronspiegel allein zaubert noch kein Selbstbewusstsein, der Filius muss auch lernen, sich gegen das Dominiertwerden durchzusetzen. Das erwachsene und das jugendliche Alphamännchen tragen, ferngesteuert durch ihre Hormone, einen ganz privaten innerfamiliären Machtkampf aus ...
Also alles nur Chemie?
Hormone, Zyklen, DNS, Fortpflanzung – das klingt sehr medizinisch und unromantisch. Faszinierend dabei ist, dass wir dennoch imstande sind, große Gefühle zu empfinden, die uns die Fernsteuerung durch chemische Prozesse keineswegs als unangenehm erleben lassen. Diese Prozesse laufen auf Autopilot ab, wir können sie weder bewusst steuern noch verhindern. Natürlich können wir uns aussuchen, ob und mit wem wir Sex haben möchten. Doch die scheinbar so unerklärliche Anziehungskraft, die wir manchmal innerhalb der ersten Sekunden bei einer Begegnung spüren, ist nicht zwangsläufig immer ein Zeichen von mystischer, seelischer Verbundenheit. Manchmal ist es einfach die richtige Begegnung zum richtigen Zeitpunkt. Da hilft eigentlich nur: nicht zuviel analysieren, sondern genießen ...
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