Liebe will gelebt werden, nicht unterdrückt oder wegzensiert
Ob episch in »Vom Winde verweht« oder häppchenweise in TV-Serien: Das Motiv der verbotenen Liebe, die alle Beteiligten unglücklich macht, wird in unzähligen Geschichten abgefeiert. Weil es so menschlich ist: Man stellt fest, dass man trotz bestehender Beziehung einen zweiten oder drittten Menschen ebenso innig liebt und begehrt wie den Partner. Diese Erkenntnis kann schockieren, verunsichern. Und nun? Flucht in die Heimlichkeit? Gefühle unterdrücken? Oder mit dem Partner reden und riskieren, dass er sich verletzt zurückzieht?»Im 21. Jahrhundert muss keine Frau an gebrochenem Herzen sterben«, sagt Tilda Swinton, begnadete Schauspielerin und Lebenskünstlerin. Die 47jährige weiß, wovon sie redet. Mit John Byrne, 68, zieht sie ihre Zwillinge groß und führt ein Familienleben. Mit dem 29jährigen Sandro Kopp führt sie eine zweite Beziehung, bereist die Welt, feiert Parties. Byrne wiederum liebt neben Swinton auch die 42jährige Beleuchterin Jeanine Davis. Die wiederum versteht sich glänzend mit allen dreien und ist für die Zwillinge eine weitere, wichtige Bezugsperson.
Ich bin ein Poly: Reizthema Eifersucht und andere Fallstricke
Saskia, 39, lebte nach ihrer Scheidung fast drei Jahre in einem polyamoren Netzwerk mit zwei festen Partnern und einer kürzeren Nebenbeziehung. Gefunden hatte Saskia die Gruppe im Internet. »Als ich die Basistexte über Polyamorie las, war ich geschockt, und zwar vor Erleichterung! Ich dachte immer, ich sei irgendwie gestört, weil ich mehrere Männer zur selben Zeit liebte, und müsste mich ändern. Was da stand, spiegelte meine tiefsten Empfindungen wider, und genau die Gründe, warum meine Ehe in die Brüche ging. Der Rest ist schnell erzählt: Ich ging zu einem Treffen. Lernte einen bisexuellen Mann kennen und lieben. Verliebte mich gleichzeitig in dessen Lebensgefährten. Der wiederum hatte auch eine Freundin. Einen Monat später zogen wir in eine 4er WG, später zog ein befreundetes Pärchen dazu, das sich dem polyamoren Lebensstil öffnen wollte.«
Was so unkompliziert klingt, war ein Hindernislauf gegen Vorurteile und Behörden. Denn das Zusammenleben sollte in geregelten Bahnen ablaufen, also in eheähnlichen Lebensgemeinschaften. Mehrfachehen sind in Deutschland verboten. Wer seinen Partnern besondere Privilegien einräumen will, z.B. Krankenhaus-Vollmachten, Kontovollmachten, Sorgerecht für gemeinsame Kinder, Wohnrecht, erbrechtliche Verfügungen etc., kommt ohne Notar nicht aus. Gegen Vorverurteilungen durch Nachbarn und Kollegen hilft der leider nicht.
Ein andere Herausforderung ist die Eifersucht. Anhänger der aus USA stammenden Polyamory-Bewegung bezeichnen Eifersucht als veraltetes Besitzdenken. Es gälte, die Eifersucht zu überwinden. Dies sei die größte Herausforderung und Kernthema der Polyamoren Lebensform.
Saskia sagt dazu: »Blödsinn! Das sagt nur jemand, der provozieren will. Eifersucht gehört zum menschlichen Gefühlspektrum und lässt sich nicht überwinden wie ein Schnupfen. Entweder empfindet man sie, oder man empfindet sie nicht. Zu behaupten, Eifersucht sei etwas Störendes, Krankes, das man irgendwie eliminieren muss, ist diskriminierend. Eifersucht kann sogar eine wertvolle Schutzfunktion sein, die darauf hinweist, hallo, hier tut etwas weh, befass dich damit!«
Beziehungspsychologen geben Saskia recht. Wer Intimität, Vertrauen und Liebe nur in einer Zweierbeziehung ausleben kann und will, diesen Wunsch aber verdrängt und die Beziehung öffnet, weil er kein Spielverderber sein will, der zerbricht an Eifersucht und Schmerz.
Saskia hat sich aktuell wieder auf eine Zweierbeziehung eingelassen und ist aus der WG ausgezogen. Grund war aber nicht das Thema Eifersucht. »Die Poly-Beziehungen waren schön, erfüllend, intensiv und befreiend. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Doch der ständige Diskutierbedarf hat mich wahnsinnig gemacht. Unser Zusammensein glich zeitweise einer Therapiegruppe, in der wir Therapeuten und Patienten gleichzeitig waren. Die Beziehungen konnten sich nicht entwickeln, kreisten um Definitionsfragen, es entstand keine echte, entspannte Intimität. Es war eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen intensiver Nähe und Spannungen.«
Und wie äußerte sich das im Alltag? Saskia: »Typisches Beispiel. Einer meiner Partner hat ein Ferienappartment auf Ibiza. Wir wollten dort alleine Urlaub machen. Wir saßen zu sechst beim Frühstück, machten Pläne, und am Ende verstrickten wir uns in Grundsatzdebatten über Privatsphäre, Egoismus und Besitzanspruch. Solche Vorfälle gab es öfter. Viele alltägliche Dinge wurden problematisiert. Was sich sogar negativ auf den Sex auswirkte.«
Stichwort Sex! Ein Klischee behauptet, dass es in Poly-Netzwerken vor allem darum ginge. Stimmt das? Saskia: "Bei uns ging es in puncto Sex recht brav zu. Sex wurde offen gelebt, aber nicht offensiv. Manchal kamen Gäste, die unsere WG mit einem Swingerclub oder einem Tantra-Workshop verwechselten. Ich fand das respektlos. Nur weil ich mit mehreren festen Partnern eine intime Liebesbeziehung lebe, lasse mich noch lange nicht von jedem anfassen!«
Dieser Artikel hat 4 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Polyamorie: Wenn das Herz für mehrere große Lieben schlägt
Seite 2: Polyamorie vs. Monogamie