Tobias Ruland im Interview
»Nur wenn beide Partner bereit sind, wahre Intimität zu erlernen, können sie eine deutliche Verbesserung Ihrer Liebes- und Sexqualität erreichen«
Wie Paare zu wahrer Intimität finden: Ein Interview mit Tobias Ruland
Mehr Nähe, besserer Sex, intensives Begehren – Tobias Ruland meint, das seien in Partnerschaften keine unerfüllbaren Wünsche, sondern erreichbare Ziele. Anders als viele seiner Kollegen glaubt der Paartherapeut nicht, dass sich Partner nach einigen Beziehungsjahren mit einem bescheidenen Liebesleben zufriedengeben müssen, weil mehr einfach nicht geht. Ruland hält es für möglich, dass zwei Menschen auch nach vielen Jahren noch außerordentliche Leidenschaft innnerhalb ihrer Beziehung erleben können. Das ist aber nicht leicht. Nur wenn beide Partner bereit sind, wahre Intimität zu erlernen, können sie eine deutliche Verbesserung Ihrer Liebes- und Sexqualität erreichen, sagt Ruland. Und erklärt in seinem Buch Die Psychologie der Intimität unter anderem, welche Fähigkeiten beide Partner hierfür entwickeln müssen und was Sex mit Intimität zu tun hat.
Tobias Ruland ist promovierter Ingenieur und damit von Haus aus eher technisch veranlagt. Aber nicht darauf festgelegt, wie der Lebensweg des Autors zeigt, der mittlerweile sehr erfolgreich als Paar- und Sexualtherapeut in seiner Münchner Praxis arbeitet. Zum Experten für intime Zweierbeziehungen wurde er unfreiwillig, eigene Erfahrungen, analytische Neugier und viele Erlebnisse bestärken ihn darin, dem Mysterium der Liebe nachzuspüren. Sein Buch sei ein Zwischenergebnis seines zwanzigjährigen Forschens auf dem Gebiet der Intimität, bekennt der Heilpraktiker Psychotherapie im Vorwort. Grundlegend für ihn waren dabei die Fragen danach, was eine gute Partnerschaft ausmacht, warum bei den meisten Paaren die sexuelle Beziehung zum Erliegen kommt, obwohl Sex doch so immens wichtig ist – und vor allem die Frage danach, wie Paare all diese Herausforderungen meistern können.
Wir haben mit dem Autor darüber gesprochen, was Intimität mit Sex zu tun hat, wie Paare zu wahrer Intimität finden und wann man weiß, dass sich die Investition in die Partnerschaft lohnt.
Interview geführt am 11.05.2015
Die Seitensprung-Fibel: Lieber Herr Dr. Ruland, platzen wir mal gleich mit der Tür ins Haus: Gibt es für Sie Beziehungssituationen, in denen Sie sagen, dass ein Seitensprung einer Partnerschaft auch gut tun kann? Und warum?
Tobias Ruland: Ich habe viele Paare beraten, die wegen einer Affäre zu mir kamen und in den allermeisten Fällen führt die Affäre/der Seitensprung zu einer sehr ernsten Belastung der Beziehung, mit der man erst einmal als Paar zurechtkommen muss. Das Positive an dieser Situation ist, dass die Krise, in der sich die Beziehung oft schon lange befand, nun endlich ein Gesicht bekommt und nicht mehr verleugnet werden kann. Die akute Krisensituation birgt also die Chance auf eine echte Weiterentwicklung der Beziehung, wenn man als Paar in der Lage ist, mit der Krise konstruktiv umzugehen.
Die Seitensprung-Fibel: Sie schreiben, Sex und Intimität seien nicht unbedingt ein- und dieselbe Sache. Wo ist der Unterschied?
Tobias Ruland: Wenn ich Sex instrumentalisiere, um an Drogen oder die nächste Gehaltserhöhung zu kommen, hat das mit Intimität nichts zu tun. Intimität entsteht nach der wissenschaftlichen Definition dann, wenn ein Mensch seine wahren innersten Gedanken und Gefühle offenbart und sich dabei erlebt. Leider nehmen viele Menschen gemeinsames Weinen oder gemeinsames Lachen viel intimer wahr als das, was sie miteinander im Schlafzimmer erleben. Die Minderheit hat sich intime Sexualität erarbeitet.
Die Seitensprung-Fibel: Wie wichtig ist Sex in einer Beziehung?
Tobias Ruland: Das kommt auf die beteiligten Personen an. Sobald für mindestens einen Partner Sex wichtig ist, hat die sexuelle Beziehung für die Beziehung eine Bedeutung.
Die Seitensprung-Fibel: Ist Intimität also auch ohne sexuellen Kontakt möglich?
Tobias Ruland: Ja klar. Wenn man einem Menschen seine innersten Gedanken und Gefühle offenbart oder beichtet (denken Sie an ein Liebesgeständnis), dann entsteht ein Moment der Intimität. Das hat zunächst nichts mit einer sexuellen Interaktion zu tun.
Die Seitensprung-Fibel: Und andersherum gefragt: Kann Sex auch stattfinden, ohne dass zwei Menschen intim werden?
Tobias Ruland: Intimer Sex ist nach meiner subjektiven Einschätzung eher die Ausnahme als die Regel. Die Mehrzahl der sexuellen Begegnungen in deutschen Betten dürfte nicht von Selbstoffenbarung und der authentischen Preisgabe innerster Gefühle geprägt sein. Die meisten Menschen halten sich zurück und verweigern dem Sexualpartner den Blick in den eigene Gedanken- und Gefühlswelt.
Die Seitensprung-Fibel: Beide Partner müssen sich ehrlich offenbaren, im gleichen Moment und in der gleichen Intensität – das ist ja ganz schön viel verlangt. Ist das nicht eine Überforderung von Partnerschaft, dieser Anspruch auf Intimität?
Tobias Ruland: Intimität ist zunächst einmal ein einseitiger und subjektiver Prozess und muss nicht gleichzeitig stattfinden. Wenn das Teenager-Mädchen seinem Schwarm seine Liebe gesteht, kann das für das Mädchen ein intimer Moment der Selbstoffenbarung sein und für den Angehimmelten eher so unangenehm oder beängstigend, dass er mit Zurückhaltung reagiert. Wenn alle an einer Interaktion Beteiligten es hinbekommen, sich zu offenbaren, dann entsteht das, was man als »Moment der intimen Begegnung« bezeichnen könnte, aber das ist noch einen Schritt weiter als eine einseitige Selbstoffenbarung.
Die Seitensprung-Fibel: Durchhalten, auch wenn's schwer wird – eine Ihrer Botschaften lautet ja, dass man vor allem in schlechten Zeiten an der Beziehung arbeiten kann und soll. Wie können sich Paare dazu motivieren?
Tobias Ruland: Indem man sich gemeinsam klar macht, weshalb man denn aus den über 7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten ausgerechnet mit DIESEM einen eine glückliche Beziehung führen soll und möchte. Die meisten Menschen sind erst bereit, sich wirklich für die Beziehung anzustrengen, wenn sie sich klar gemacht haben, warum sich der ganze Aufwand lohnt.
Die Seitensprung-Fibel: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Beziehung, die einem nicht mehr so viel Freude beschert wie zu Beginn, ist mühsam und unangenehm. Lohnt es sich denn bei jeder längeren Partnerschaft, in die Feinarbeit zu gehen?
Tobias Ruland: Nein, natürlich nicht. Es gibt Partner, die sind einfach bösartig. Es gibt Menschen, die sehen eine Beziehung als Geschäft und wollen möglichst wenig geben, dafür aber alles bekommen. Es gibt Ehen, die sind von Hass, Neid und Missgunst geprägt. Da in die Feinarbeit zu gehen, ist für mindestens einen der Beteiligten in den allermeisten Fällen vollkommen unattraktiv.
Die Seitensprung-Fibel: Und woher weiß ich, dass es meine Beziehung wert ist, die Mühen auf mich zu nehmen?
Tobias Ruland: Nehmen Sie nicht die Beziehung als Maßstab, sondern den Menschen. Die Frage lautet dann: »Ist dieser Mensch bzw. diese Seele es wert, dass ich mich für die Beziehung zu diesem Menschen wirklich anstrenge?« Eltern können diese Frage oft leicht beantworten, wenn sie an ihre eigenen Kinder denken. Bei ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin sind sie hingegen nicht immer so sicher.
Die Seitensprung-Fibel: Eine wichtige Voraussetzung dafür, Intimität erleben zu können, sei die Differenzierungsfähigkeit, schreiben Sie. Was genau bedeutet das?
Tobias Ruland: Hinter der Differenzierung steckt im Kern eine einfache Frage: Schaffe ich es, auch in schwierigen Situationen, die bei mir Angst, Hass, Wut, Ekel (und andere negative Gefühle) auslösen, trotzdem konstruktiv und in der Beziehung zu bleiben? Sobald ich beginne, das zu bekämpfen, was mich beunruhigt oder davor wegzulaufen, gehe ich aus der Beziehung heraus. Je besser die Differenzierungsfähigkeit meines Gehirns ausgeprägt ist, umso eher werde ich auch schwierige Situationen aushalten und meistern können. Ich behalte sozusagen einen klaren Kopf, während andere Menschen schon komplett durchdrehen.
Die Seitensprung-Fibel: Woher weiß ich, dass ich diese Fähigkeit beherrsche?
Tobias Ruland: Sie können z.B. den wissenschaftlichen Test machen, den Sie auf meiner Website finden.
Die Seitensprung-Fibel: Und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die von Ihnen oftmals ins Feld geführte Selbstberuhigung?
Tobias Ruland: Selbstberuhigung ist die wichtigste Eigenschaft, um die eigenen negativen Emotionen unter Kontrolle zu bekommen. Sobald mich mein Gehirn mit negativen oder destruktiven Emotionen beglückt, muss ich mich erst einmal beruhigen, um wieder einen klaren Gedanken fassen und anschließend das Richtige und Wichtige tun zu können. Jeder Mensch kennt die Situation, in der er etwas gesagt oder getan hat, was ihm hinterher leidtat. Hätte man sich besser beruhigen können, hätte man besser agiert. Wer sich von seinen negativen Gefühlen leiten lässt, wird jede Menge Flurschaden anrichten, weil er im echten Leben kaum eine angemessene Reaktion zustande bringt.
Die Seitensprung-Fibel: Wenn Sie Paaren zu Beginn ihrer Partnerschaft drei wertvolle Ratschläge für ihren Beziehungsweg mitgeben könnten, um einen Seitensprung zu verhindern, welche wären das und warum?
Tobias Ruland:
- Seid immer offen und ehrlich miteinander und spielt niemals ein falsches Spiel.
- Begegnet Euch wie beste Freunde immer auf Augenhöhe, geht konstruktiv mit Euren berechtigten Anliegen um und verzichtet auf Vorwürfe, Nörgeleien, Abblocken und Erniedrigungen.
- Pflegt Eure körperliche und sexuelle Beziehung und lasst sie nicht über die Jahre verlottern.
Lieber Herr Tobias Ruland, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!