»Die Liebe fordert keine Opfer und erzeugt kein Leid. Vielmehr ist es unser Umgang mit der Liebe, der Kummer mit sich bringt«
Befreiung aus der Geliebtenfalle: Ein Gespräch mit Julia Kathan
Als Geliebte haben Sie einen schweren Stand: Zwischen Hoffen und Bangen leben Sie ihre Liebe, müssen zurückstecken, vieles tolerieren und manches ertragen. Keiner darf von der Affäre erfahren – auch wenn Ihr Geliebter Schluss macht. Wohin dann mit all der Wut, der Trauer, der Enttäuschung? Mitgefühl und Verständnis von anderen Menschen tun jetzt gut. Aber weiter bringt Sie das nicht unbedingt, das meint auch Julia Kathan. Sie hält es nicht für gewinnbringend, sich in die Opferrolle zu begeben. Denn wer sich als Opfer fühlt, gibt die Verantwortung ab und katapultiert sich in eine machtlose Position – und das kann den Liebeskummer und das Leid verlängern.
Die Autorin von Alles für ein bisschen Liebe? und Du bist ein Juwel kennt die Liebesfallen, in die Frauen oftmals tappen. Sie ist der Meinung, wenn eine Frau einen vergebenen Mann anziehe und darunter leide, dass er sich nicht zu ihr bekennt, liege es in ihrer Verantwortung zu erforschen, warum sie mit dieser leidvollen Herausforderung konfrontiert wird. Wir haben mit Julia Kathan über über verlassene Geliebte gesprochen und wie Frauen mit sich und ihren Gefühlen nach der Trennung umgehen sollten.
Interview geführt am 24.04.2015
Seitensprung-Fibel.de: Liebe Frau Kathan, platzen wir mal gleich mit der Tür ins Haus mit einem Thema, welches uns täglich beschäftigt: Gibt es für Sie Beziehungssituationen, in denen Sie sagen, dass ein Seitensprung einer Partnerschaft auch gut tun kann? Und warum?
Julia Kathan: Nein. Es sei denn, es handelt sich um eine offene Beziehung. Dann würde sich der Begriff »Seitensprung« allerdings erübrigen, weil beide Partner damit einverstanden sind, auch mit anderen Männern und Frauen Sex zu haben. Ein Seitensprung verletzt immer das intime Band einer Verbindung und zerstört Vertrauen. Da wo vorher ein Nest intimer Geborgenheit war, ist jetzt die Angst eingezogen, austauschbar und nicht mehr begehrenswert zu sein. Dieser Vertrauensbruch ist für viele noch schlimmer als die Tatsache, dass der Partner Sex mit einer anderen Person hatte. Das Vertrauen kann zwar schrittweise wiederhergestellt werden, falls es dem jeweiligen Partner möglich ist, den Seitensprung zu vergeben, doch eine Narbe und eine gewisse Verunsicherung werden bleiben.
Auf der anderen Seite sind Verletzungen in Beziehungen auch nicht zu vermeiden. Wir alle haben Schattenseiten, die wir in die Verbindung mit einbringen, ob wir wollen oder nicht. Die große Herausforderung ist, an diesen möglichst zu wachsen. Insofern sind Beziehungen die größten und wohl schwierigsten Wachstumschancen für unsere menschliche Entwicklung. Partner, die mit dem Bewusstsein eine Beziehung eingehen, es mit den eigenen und den Schattenseiten des anderen aufnehmen zu wollen, werden nach einer Krise vielleicht sogar eine Vertiefung ihrer Liebe erleben. So gesehen kann ein Seitensprung ein Gradmesser sein, an dem sich zeigt, wo das Paar steht. Sollte sich zeigen, dass die Verbindung vor dem Ende steht, war das „Fremdgehen“ eventuell nur ein Auslöser dafür, einen längst fälligen Schlussstrich zu ziehen.
Seitensprung-Fibel.de: Kann eine Geliebte eigentlich wirklich verlassen werden?
Julia Kathan: Selbstverständlich. Obwohl sie in einer Beziehung ist, lebt sie als Single mit der ständigen Sehnsucht nach mehr Verbindlichkeit. Das eigentliche Leben spielt sich getrennt voneinander ab. Insofern wird sie nach jedem Date aufs Neue verlassen.
Liebende fühlen eine tiefe Verbundenheit, selbst wenn sie als Paar nicht »offiziell« zusammen sind. Innige Sexualität lässt schnell das Gefühl der Bindung und Zugehörigkeit entstehen. Besonders Paare, die sich heimlich lieben, fühlen oft ein tiefes Band der Vertrautheit. Doch dieses Gefühl, beim anderen zu Hause zu sein, findet in der Realität einer Affäre kaum Entsprechung. Im Gegenteil. Die Geliebte muss von vornherein viele Abstriche machen, wenn sie diese Verbindung eingeht. In einer heimlichen Liebesbeziehung, in der es sich hauptsächlich um Sex dreht, bleiben andere Aktivitäten, wie zum Beispiel gemeinsame Rituale oder Unternehmungen, auf der Strecke. Auf kurze Momente sexueller Leidenschaft und inniger Nähe folgt immer ein abruptes Ende. Während ihr Liebster wieder in den Beziehungsalltag mit seiner Lebensgefährtin oder Frau zurückkehrt, bleibt sie allein im Hotel oder sonstwo zurück und empfindet diesen Abschiedsmoment jedes Mal als unerwünschte Trennung. Ihr Lover hingegen fühlt sich bereichert, da er sowohl die Sicherheit seiner Ehe als auch das Abenteuer seiner Liebschaft genießt. Die Rolle der heimlichen Geliebten bringt es mit sich, dass sie sich zunehmend von den Entscheidungen des vergebenen Mannes abhängig macht. Lässt sie sich auf seinen Lebensrhythmus ein, hat sie nur wenig Einfluss darauf, wie lange und unter welchen Umständen sie den Mann ihres Herzens trifft. Auch wenn sie darunter leidet, viel weniger Zeit mit ihm zu verbringen, als sie sich in Wahrheit wünscht. Aus Gründen wie der Angst, den Liebsten zu verlieren, der vorm Alleinsein oder der, im Beziehungsdschungel nie den »Richtigen« zu finden, wird sie es fatalerweise zulassen, dass ihr Lover die Beziehung geheim hält und die Dauer der jeweiligen »Zeitfenster« bestimmt. Ein kleines Stück vom Beziehungsglück scheint ihr lieber zu sein als gänzlich allein sein zu müssen, und so begibt sie sich immer tiefer in eine unglückselige Abhängigkeitsspirale.
Wenn eine Geliebte verlassen wird, dann auf meist drastische Weise, weil ihr Liebster unter Zugzwang steht. Entweder es kommt zur Trennung, weil sie in seinen Augen zu viel Druck ausübt, oder die Beziehung ist aufgeflogen und dem vergebenen Mann wurde von seiner Frau ein Ultimatum gestellt. Wenn die Geliebte der typischen Illusion nachhing, die heimliche Liebesbeziehung sei nur ein »Übergangsstadium«, um dann schlagartig alle Hoffnungen auf ein »End«zerplatzen zu sehen, ist das immer ein sehr schmerzhaftes Erwachen.
Seitensprung-Fibel.de: Tun Ihnen denn verlassene Geliebte leid?
Julia Kathan: Hätte ich kein Mitgefühl für Frauen, die unter unglücklichen Liebesverstrickungen leiden, würde ich weder über die Liebe schreiben, noch Love Coaching oder Seminare anbieten. Ganz gleich, welche Rolle der oder die Betroffene spielt: Wer von einem geliebten Menschen verlassen wird, sieht sich als Opfer und stürzt leicht in ein tiefes emotionales Loch. Das wissen alle, die diese schmerzvolle Erfahrung schon mal machen mussten.
Die Geliebte hat das Image einer abgebrühten Zerstörerin, gilt sie doch als Bedrohung für eine Lebensgemeinschaft oder Ehe. Sie selbst fühlt sich eher als Opfer dieser Verbindung und erwartet von ihrem Liebsten, dass er sie aus ihrer undankbaren Rolle erlöst. Doch nicht nur die Geliebte steckt in der Klemme. Dreiecksbeziehungen bringen immer viel Leid für alle Beteiligten mit sich. Fatalerweise sieht jeder dabei nur das eigene Dilemma: Die Geliebte leidet, wenn sie verlassen wird, blendet dabei jedoch meist das Leid der betrogenen Ehefrau aus. Erfährt die Ehefrau irgendwann von der Existenz der Geliebten, wird sie verständlicherweise auch alles andere als Verständnis für diese aufbringen. Und der Mann, der zwischen zwei Stühlen steht, wird ebenfalls kein Mitgefühl ernten, verhält er sich doch egoistisch und spielt in dieser Konstellation die Rolle des Täters. Sein unklares und vor allem unaufrichtiges Verhalten erzeugt zunehmend Kummer und Wut. Er steht durch die Schuldgefühle, die er beiden Frauen gegenüber hegt, zunehmend unter Druck – selbst wenn er diese in der Regel verdrängt. Hinzu kommen das Lügengebäude, in das er sich immer weiter verstrickt und die Gewissheit, sich irgendwann zwischen seiner Ehefrau und der Geliebten entscheiden zu müssen. Außerdem läuft er Gefahr, selbst verlassen zu werden, sollte seine Frau hinter die Affäre kommen. Ganz zu schweigen vom drohenden Leid seiner Kinder, sollte er sich gegen die Fortsetzung seiner Ehe entscheiden. Ganz gleich also, welche Rolle man darin spielt: Wer sich auf eine Drecksbeziehung einlässt, muss früher oder später mit erheblichem Kummer rechnen. Es sei denn, er oder sie hat ein Herz aus Stein.
Seitensprung-Fibel.de: Ketzerische Frage – haben Geliebte eigentlich das Recht zu trauern?
Julia Kathan: Hinter dieser Frage versteckt sich für mein Empfinden die Anklage: »Sie soll sich bloß nicht so anstellen; schließlich sie ist ja selbst schuld!« Es steht niemandem zu, darüber zu urteilen, ob jemand das Recht hat zu trauern. Es mangelt in unserer Gesellschaft verbreitet an Mitgefühl und wir neigen zu klassischen Opfer-Täter-Sichtweisen. Besonders im Internet werden Menschen vorschnell und unsanft verurteilt, selbst wenn die näheren Umstände und Hintergründe nicht bekannt sind. Eine Geliebte, die von einem vergebenen Mann erwartet, er würde seine Frau verlassen, tut dies meistens, weil er seine Ehe als unerfüllt dargestellt hat und Andeutungen macht, sich dieser entziehen zu wollen. Filme wie Woody Allens »Matchball« zeigen dies in dramatischer Weise. Die Hoffnung auf eine verbindliche Beziehung wird oft von vielversprechenden Aussagen genährt wie:
- »Ich liebe nur dich. Bei dir fühle ich mich zu Hause.«
- »Meine Beziehung ist schon lange am Ende. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich mich von meiner Frau trenne.«
- »Ich wusste schon in der Hochzeitsnacht, dass ich die falsche Frau geheiratet habe. Wäre ich dir doch nur früher begegnet.«
Ob wahr oder nicht, Geliebte werden mit solchen Beteuerungen hingehalten, weil der Lover es meist vorzieht, zweigleisig zu fahren, anstatt sich den Problemen seiner Ehe zu stellen und eine klare Entscheidung zu fällen. Bequemlichkeit, Verlustängste, Bindungsängste, die Sucht nach dem erotischen Kick und die Angst, die Familie zu verletzen sind seine Motivation dafür, nicht mit der Wahrheit herauszurücken. Genau genommen betrügt er drei Menschen: Seine Frau, seine Geliebte und vor allem sich selbst.
Seitensprung-Fibel.de: »Ich habe mich halt verliebt«– wozu taugt dieses Statement?
Julia Kathan: Jeder, der sich schon mal heftig verliebt hat weiß: Schießt Amor seinen Pfeil ab, setzt der Verstand aus. Allein schon durch den Hormoncocktail, den die Verliebtheit chemisch in Gang setzt, sind wir in dieser Phase völlig von der Rolle. Die durch den Liebesrausch verzerrte Wahrnehmung wird uns auf das Objekt unserer Begierde fixieren. Verliebte Frauen schlittern meist durch eine gewisse Naivität in die Rolle der Geliebten und wissen erst hinterher, was dies wirklich bedeutet. Genauso wenig, wie man sich auf Knopfdruck verlieben kann, ist man in der Lage sich ohne weiteres zu entlieben, wenn man feststellt, dass diese Liebe große Verwicklungen, Illusionen und Hindernisse mit sich bringt. Von daher ist dieses Statement völlig verständlich.
Die Frage ist jedoch, ob man es sich auf Dauer so einfach machen möchte zu sagen: »Weil dieser Mann aufgetaucht ist, bin ich in diese Situation geraten. Es ist alles seine Schuld.« Mit dieser Haltung bringt sich die Geliebte in eine Opferrolle, denn sie weist jegliche innere Beteiligung von sich, nach dem Motto: »Ich kann einfach nicht anders. Ich bin ihm völlig ausgeliefert und eigentlich habe ich mit all dem nichts zu tun.« Über kurz oder lang wird die Geliebte sich ihrer Verantwortung stellen müssen. Es ist hier wie auch sonst im Leben so, dass wir für alles, was wir erleben, selbst die Ursachen setzen und dafür positive oder negative Wirkungen kassieren.
Seitensprung-Fibel.de: Es kann ja passieren: Ich lerne jemanden kennen, es knistert gewaltig, es entwickelt sich eine Liebesgeschichte und dann sagt mir der Geliebte, dass er (noch) verheiratet ist. Was soll ich denn tun, es sind ja Gefühle im Spiel?
Julia Kathan: Wer sich auf eine Liebesaffäre mit einem verheirateten Mann einlässt, segelt schwierigen Zeiten entgegen. Die meisten Frauen ahnen nicht, wie sehr sie sich in einer Liebeskummerschleife verfangen werden und unterschätzen oft, auf welche Herausforderung sie sich einlassen. Gefühle sind eine wunderbare Sache, doch die Frage stellt sich, worauf man sein Glück im Leben baut. Ohne innere Basis kommt man im Leben schnell ins Schwanken und fliegt womöglich bei emotionalen Turbulenzen aus der Kurve. Frauen, die sich schnell hingeben, fällt es ungeheuer schwer bei sich zu bleiben, sobald sie sich verlieben. Sie nehmen selbst widrigste Umstände in Kauf, Hauptsache, der Mann ihres Herzens bleibt ihnen erhalten. Solange er ihr immer wieder den Stoff liefert, nach dem sie sich verzehrt – ein liebes Wort, ein Lichtblick, ein Kompliment, eine kleine Anerkennung, eine durchliebte Nacht – wird sie an der Verbindung festhalten. Auf diese Weise wird das Feuer der Leidenschaft weiter geschürt und die große Sehnsucht in klitzekleinen Dosen erfüllt, aber niemals wirklich. Dass es überhaupt so weit kommt liegt meist daran, dass sie ihr persönliches Zentrum entweder vernachlässigt oder noch gar nicht entdeckt hat. Ohne das Gefühl innerer Festigkeit und tiefer Selbstliebe ist großes Leid vorprogrammiert.
Man kann kein Glück auf Unglück bauen. Und solange Heimlichtuereien die Beziehung prägen, ist die Aussicht auf eine glückliche Zukunft verbaut. Der Reiz der Geliebtenrolle mag sein, dass das Feuer der Leidenschaft umso stärker brennt, je mehr sich ein Partner rar macht und sich dadurch nicht das Gefühl der Geborgenheit und der Sicherheit einer festen Beziehung etablieren kann. Der Preis für die Geliebte ist sehr hoch: Nämlich, als drittes Rad am Wagen auf Godot zu warten, zum Teil über viele Jahre hinweg. Es erfordert den Mut zur Aufrichtigkeit, wenn man eine reelle Chance mit einem vergebenen Partner bekommen möchte. Ehrlichkeit zu sich selbst, was auch bedeutet, sich einzugestehen, dass es innere Ursachen gibt, die diese Herausforderung angezogen haben. Ehrlichkeit mit dem Partner, indem man nicht vorgibt, stärker und unabhängiger zu sein als man ist. Wenn eine Frau mit dieser Situation unglücklich ist, nützt es nichts, etwas anderes vorzugaukeln. Es mag zwar sein, dass der Lover interessiert bleibt und die Affäre weitergeht, doch verhilft diese Form von weiblichem Selbstbetrug zu keiner konstruktiven Auflösung der Heimlichkeiten. Es erfordert absolute Ehrlichkeit mit der Situation. Wer möchte schon eine heimliche Geliebte sein und bleiben? Erstens ist dieser Status moralisch bedenklich, zweitens bekommt sie in ihrer Rolle keine Gelegenheit, wirkliche Nähe und Zweisamkeit zu erleben. Und – last but not least – macht sie sich und andere unglücklich.
Spätestens nach der ersten Verliebtheitsphase ist es durchaus möglich, sich aus einer Dreiecksbeziehung zu lösen, die keine Aussicht auf Erfolg hat. Doch dieser Schritt erfordert den Geist der Eigenverantwortung für die eigene Lage und die Bereitschaft, ein Bewusstsein für die innere Beteiligung an dieser Partnerwahl zu entwickeln. Vielen ist jedoch nicht bewusst, dass sie ihre Prägungen selbst erkennen und überschreiben können. Wer also mehr erleben möchte als nur am Rockzipfel eines verheirateten Mannes zu hängen, sollte den Mut aufbringen, authentisch zu sein. Wenn ein Mann beteuert, seine Ehe nicht fortsetzen zu wollen, ist es ratsam ihm von Anfang an zu sagen: »Okay, wenn du dich in mich verliebt hast und eine Beziehung mit mir willst, dann sag das auch deiner Frau.« Ist der Lover nicht bereit dazu, dann weiß er offensichtlich nicht, was er will und versucht, es sich in seiner Unklarheit bequem einzurichten. Fehlt ihm der Mut zur Offenheit und radikalen Ehrlichkeit, wird er mit ziemlicher Sicherheit auch in Zukunft nicht den Absprung finden. Wie ernst ist ein Mann zu nehmen, der zwar von Liebe redet, sich aber nicht eindeutig zu seiner Liebsten, bzw. zu seiner Ehefrau bekennt? Authentizität, Entschlossenheit und Klarheit sind gefragt, wenn man sich nicht auf ein Spiel ohne Zukunft einlassen will.
Seitensprung-Fibel.de: Die Ehefrau ist oft das Opfer, mit ihr hat man gerne Mitleid, sie steht ja auf der moralisch rechten Seite. Aber ist die Geliebte nicht auch irgendwie Opfer, zumindest eines der Liebe?
Julia Kathan: Auch, wenn es anders scheinen mag: Die Liebe fordert keine Opfer und erzeugt kein Leid. Vielmehr ist es unser Umgang mit der Liebe, der Kummer mit sich bringt. Nicht die Liebe, sondern die Suche nach Liebe bei anderen, etwa als Flucht vor dem Gefühl innerer Leere ist es, was eine unglücklich Verliebte zum vermeintlichen Opfer macht. Das freiwillige Abgeben der Eigenverantwortung macht die Beziehung zum Irrgarten. Die Illusion, von einem anderen Menschen gänzlich abzuhängen, ist das Problem. Die Liebe ist eine wundervolle Kraft, doch so lange wir keinen Zugang zu dieser Kraft in uns selbst haben, suchen wir sie im Außen und erwarten dann von anderen Menschen, dass sie uns mit Liebe versorgen.
Meiner Überzeugung nach ist das Leben eine Bühne. Es ist nicht immer einfach, doch sehr befreiend, die innere Beteiligung an bestimmten Lernaufgaben im Leben zu erkennen. Erkennt man sie nicht, wird sich immer wieder das gleiche Drama abspielen. Wer sein Leben nicht als eine Aneinanderreihung von »Zufällen« sieht, sondern den roten Faden der inneren Zusammenhänge erkennen will, wird bestimmte Verhaltensmuster und Prägungen in sich finden, die bestimmte Herausforderung ursächlich und unbewusst angezogen haben. Wir spulen unbewusst Prägungen aus der Vergangenheit ab, seien es positive oder negative. Auf die Liebe zu einem vergebenen Mann bezogen bedeutet das: In der Regel gab es schon in der Herkunftsfamilie einen Mangel an Zuneigung, sprich der Vater war möglicherweise entweder emotional zugeknöpft, zu wenig oder gar nicht anwesend. Diese und andere Verletzungen aus der Kindheit gehören nicht etwa der Vergangenheit an, sondern nehmen einen entscheidenden Einfluss auf unser Leben. Sie lassen uns so lange nicht los, bis wir sie ans Licht holen. Die Geschichten, die unser Leben schrieb, sind in uns als lebendige Gefühle im Unterbewusstsein abgespeichert und haben großen Einfluss auf unsere Gedanken und Entscheidungen. Sie werden als Erfahrungsmuster abgespeichert und unbewusst auf den jeweiligen Partner projiziert. So dient der Partner, sei es nun der Lover oder auch der Ehemann, als unbewusste Projektionsfläche, um das immer noch ausgeprägte kindliche Bedürfnis nach Liebe, Nähe und Aufmerksamkeit abzuspielen. Immer verbunden mit der Hoffnung auf Erlösung. Doch der Partner ist weder ein Erlöser noch ein Heilsbringer oder ein Therapeut. Daher kann und wird er seine Partnerin auch nicht aus ihrer Opferrolle befreien. Das ihr ihre Aufgabe – sich selbst zu erkennen und von alten Glaubensmustern lösen. Einzig wirklichen Leidtragenden sind die betroffenen Kinder, denn sie dürfen nicht mitreden, werden von den Verhaltensweisen ihrer Eltern überfahren und erleiden dabei oftmals Wunden, die ihr gesamtes Leben prägen werden.
Seitensprung-Fibel.de: Manchmal tut es ja verdammt gut, Opfer sein zu können – das gibt einem das Recht, sich verletzt und schlecht zu fühlen. Geliebte haben ja nun selten diesen Opferbonus, ist das gut oder schlecht?
Julia Kathan: Es mag gut tun, von anderen Mitgefühl und Verständnis zu bekommen, doch ich bin nicht der Meinung, dass es gewinnbringend ist, ein Opfer zu sein. Mit dieser Einstellung macht sich die Betroffene klein und gibt ihren freien Willen ab. Vielmehr geht es darum, Mitgefühl und Verständnis für sich selbst aufzubringen und die Partnerwahl besser zu verstehen. Ich glaube nicht an Opfer und Täter als getrennte Funktionen, sondern daran, dass wir immer beides sind. Wir haben immer einen – wenn auch verborgenen – Anteil an dem, was in unserem Leben geschieht. Zieht eine Frau einen vergebenen Mann an und leidet darunter, dass er sich nicht zu ihr bekennt, liegt es in ihrer Verantwortung zu erforschen, warum sie mit dieser leidvollen Herausforderung konfrontiert wird. Sehr heilsam ist es, sich den Wunden des »Kindes« zu widmen und Wege der Heilung zu praktizieren. Die Bereitschaft zur Widmung nach Innen ist wesentlich, um der Botschaft des eigenen Inneren Kindes zu lauschen. Denn traumatische Erlebnisse in der Kindheit und dadurch entstandene Verhaltensmuster sind die inneren Ursachen dafür, dass die Geliebte überhaupt in ihre leidvolle Lage gekommen ist. Sie wird feststellen, dass ihre Selbstliebe nicht ausreicht um sie zu lösen, obwohl ihr Leid oft unerträglich scheint. Die aktive Würdigung und das Loslassen schmerzvoller Kindheitserfahrungen, verbunden mit dem Fokus auf Selbstliebe, birgt die große Chance wirklicher Heilung und Ganzwerdung.
Seitensprung-Fibel.de: Bitter ist ja, wenn eine heimliche Liebschaft, auf deren Legalisierung man ewig lange gewartet hat, dann doch aus und vorbei ist. Noch bitterer ist ja, wenn frau dann ihren Kummer nicht lauthals hinausschreien kann. Wie kann eine verlassene Geliebte trauern?
Julia Kathan: Genau wie für alle anderen Menschen gibt es keinen Grund sich zu schämen oder sich zu verstecken, selbst wenn moralisch gesehen die Geliebte einen schweren Stand hat. Gibt es eine vertrauenswürdige Freundin, sollte die Betroffene nicht zögern diese einzuweihen und ihr Herz auszuschütten. Sie braucht in dieser Situation liebevollen Trost, Verständnis und Annahme. Unterdrückter Liebeskummer wird in der Regel schlimmer. Findet sie im Freundes- oder Familienkreis keinen Halt, kann sie notfalls die Telefon-Seelsorge anrufen oder Selbsthilfegruppen aufsuchen. Ich finde es allerdings in diesem verletzbaren Zustand nicht ratsam, den Kummer in Internetforen zu veröffentlichen, denn es ist riskant, fremden Menschen die eigenen Schwächen anzuvertrauen. Nur zu oft werden Geliebte für ihre missliche Lage heftig in die Pfanne gehauen und gemeinschaftlich an den Pranger gestellt.
Wenn sich die emotionalen Wellen etwas beruhigt haben, ist der Zeitpunkt gekommen, Wege zu finden, wie frau das Geschehene verarbeiten kann. Immerwährende Klagen beseitigen das Leid nämlich nicht – sie verlängern es nur. So furchtbar Liebeskummer auch ist, er bietet auch immer die große Chance inneren Wachstums und einer Bewusstseinserweiterung. Ein hilfreiches Mittel zur Reflektion kann sein, sich die Trauer von der Seele zu schreiben und alle Emotionen auf ein Blatt fallen lassen, um sie zu reflektieren. Dabei kann man sich ermutigende Überschriften setzen, wie: »Ich werde diesen Kummer überwinden und mein Leben geht weiter!« Für manche wird eine Psychotherapie hilfreich sein, andere aktivieren vielleicht ihre Spiritualität über Meditation, Meditations-CDs, Hypno-Therapie oder Familienaufstellungen. So viele Frauen sind sich leider gar nicht bewusst, welch kostbare und liebenswerte »Gesamtkunstwerke« sie sind. Solange das Gefühl der Selbstliebe fehlt, verkaufen sich unter ihrem Wert. Schon das Wort »Selbstliebe« kommt vielen Frauen schwer über die Lippen. Es erscheint so ungewohnt und abstrakt wie eine schwer erlernbare Fremdsprache. Dabei ist die Liebe zum eigenen Leben eine elementare Voraussetzung für eine harmonische Liebesbeziehung. Bevor frau sich also Hals über Kopf an die Kiste der Beziehung macht, tut sie sich selbst den größten Gefallen, den Fokus darauf zu legen, eine liebevolle Beziehung mit sich selbst einzugehen.
Seitensprung-Fibel.de: Wenn Sie Paaren zu Beginn ihrer Partnerschaft drei wertvolle Ratschläge für ihren Beziehungsweg mitgeben könnten, um einen Seitensprung zu verhindern, welche wären das und warum?
Julia Kathan: In Ihrer Frage schwingt schon die Angst mit, betrogen zu werden. Die Angst, der Partner könnte fremdgehen, hat oft mit einem mangelndem Selbstwertgefühl zu tun und das ist schon der wichtigste Aspekt: Selbstwertschätzung. Je mehr Selbstwert beide Partner jeweils empfinden, desto stärker spiegelt sich dieser auch im respektvollen Verhalten eines Paares wider. Leider fehlt – besonders Frauen – immer noch einige gehörige Portion an Selbstliebe. Sie lehnen ihren Körper ab, vergleichen sich und lieben sich nicht. Stattdessen lauern sie ängstlich auf vermeintliche Nebenbuhlerinnen, die ihnen ihren Liebsten streitig machen könnten. Dadurch ist die Beziehung von der Angst geprägt, den Partner zu verlieren. Besonders Frauen neigen zum angstvollen Klammern, Kletten und Kontrollieren. Es gibt nichts Tödlicheres für Beziehungen als das Gefühl, an der Leine des Partners gefangen zu sein. Wer erleben muss, von Eifersucht und Erwartungshaltungen gefesselt zu sein, wird sich auf die eine oder andere Weise davon befreien wollen. So gesehen, kann ein Seitensprung auch unbewusster Ausdruck eines trotzigen Befreiungsschlags sein, um sich nicht weiter gängeln zu lassen. Kein geeignetes Mittel um die Enge der Partnerschaft zu erweitern, aber ein sehr gängiges.
- Um einen Seitensprung zu vermeiden ist es essentiell, dass beide Partner die Basis ihres Lebens in sich selbst suchen, statt dem anderen diese Verantwortung aufzubürden. So unbequem diese Erkenntnis auch sein mag, so wirkungsvoll ist sie auch: Der Schlüssel zur positiven Veränderung von Beziehungen liegt in unserem eigenen Verhalten. Eine Partnerschaft kann sich nur in einer entspannten, freien Atmosphäre entfalten. Diese entsteht aus der Fähigkeit zu Eigenständigkeit und der daraus resultierenden Freiheit für den Partner.
- Eine andere Qualität, die man einsetzen kann, ist echte Hingabe an den Partner und an die Beziehung zu leben statt einfach Routine ablaufen zu lassen. In der Phase der Verliebtheit läuft die Sexualität meist fantastisch. Ebbt die Verliebtheit langsam ab, werden auch die besonderen Momente der Partnerschaft immer seltener und Routine schleicht sich ein. Absichtsvolle Widmung kann den Zauber und die Frische der Beziehung wieder auferstehen lassen. Die Verliebtheitsphase lässt sich zwar nicht wiederholen, doch ihr kann wahre Verbundenheit und eine immer tiefer werdende Liebe folgen.
- Und last but not least. Aufrichtigkeit und Authentizität. Ein Grund fürs Fremdgehen kann die Unfähigkeit sein, offen über sexuelle Vorlieben zu kommunizieren. Es lohnt sich die Scheu davor zu überwinden, weil echtes Interesse an dem „So-Sein“ und den Neigungen des anderen einer erfüllenden Sexualität den Weg ebnet. Sollte einer der Partner das Gefühl haben, seine sexuelle Wünsche mit dem anderen dauerhaft nicht verwirklichen zu können, ist es mit Sicherheit respektvoller offen die Konsequenzen zu ziehen, als dem Partner ein heimliches Doppelleben zuzumuten.
Liebe Frau Julia Kathan, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!