Die provinziellen Vorurteile Außenstehender sind so abenteuerlich wie albern und reichen von ständigem Partnertausch über krankhaft eitlen Körperkult bis hin zum Klischee vom allzeit bereiten Mann, der im Umkleideraum des Sportstudios alles bespringt, was nicht bei drei auf dem Baum ist... Was für ein Unsinn. Aber er erfreut sich größter Popularität, leider.
Zwei Männer, die sich vor einem Standesbeamten das Jawort zu einer sogenannten »eingetragenen Lebensgemeinschaft« geben, genießen auch zehn Jahre nach Einführung der »Hamburger Ehe« noch einen Exotenstatus. Und ein schwules Paar, das es gar wagt, eine Familie zu gründen, sei es per Adoption oder mit Hilfe einer befreundeten Leihmutter, muss damit rechnen, in der Boulevardpresse Erwähnung zu finden. In derselben Presse übrigens, die regelmäßig darüber berichtet, dass im Iran oder in Saudi-Arabien wieder ein homosexueller Mann öffentlich erhängt wurde, weil in islamischen Ländern männliche Homosexualität bis heute verboten ist.
Warum ist eine schwule Beziehung für viele konservative Heteros ein so großes Mysterium? Entspringt die Spekulationsfreudigkeit über chronisch untreue Schwule einer latenten Homophobie? Können oder wollen sich Außenstehende nicht vorstellen, dass schwule Paare ein ebenso hingebungsvolles und vor allem individuelles Verständnis von Liebe und Treue leben wie Heteros?
Statistisch kaum Unterschiede zu Hetero-Paaren
Die erste und gründlichste Studie zum Thema Treue in schwulen Beziehungen fand 2003 statt. Sie dient heute noch als Referenzgröße. Der Berliner Forscher Michael Bochow von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellte fest: Jeder zweite liierte homosexuelle Mann in Deutschland geht fremd, ob mit Billigung des Partners oder heimlich. Damit liegen homosexuelle Beziehungen entgegen aller Vorurteile gleichauf mit Hetero-Beziehungen!Buchautor Eric Hegmann, der u.a. die Schwulen-Kolumnen-Sammlung »Jungs in Beziehungskisten« schrieb, meint dazu: »Auf jeden Schwulen, der sich Monogamie nicht vorstellen kann, kommt einer, dessen schlimmster Alptraum ein untreuer Freund wäre.«
Wieso hält sich dann der Mythos vom untreuen Schwulen so hartnäckig? Hegmann: »Die polygamen Schwulen sind einfach lauter und auffälliger! Außerdem haben wir in der schwulen Subkultur mit Saunen, Sex-Kinos und Gayromeo die schnelle Verfügbarkeit garantiert und damit die Hemmschwelle herabgesetzt.«
Dennoch scheint Monogamie zumindest theoretisch für schwule Männer ein erstrebenswerter Idealzustand zu sein. Das Partnervermittlungs-Institut Gay Parship mit über 312.500 registrierten Mitgliedern bestätigt: »Mehr als 45 Prozent der 16- bis 29jährigen geben an, den Mann fürs Leben zu suchen, dem sie dann treu bleiben wollen.«
Die Online-Community Gayromeo unterhält neben diversen Kennenlern-Foren für Gelegenheits-Sex auch einen eigenen Club namens »Treue Jungs«, in dem sich homosexuelle Männer kennenlernen können, die ausschließlich an einer monogamen Partnerschaft interessiert sind.
Das hehre Ideal scheint allerdings auf lange Sicht ebenso wenig lebbar zu sein wie in Hetero-Beziehungen. Eine aktuelle Umfrage des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialwissenschaften ergab, dass 29 Prozent der Schwulen in Deutschland in monogamen Beziehungen leben, 24 Prozent in offenen Beziehungen , und 47 Prozent sind Single.
Der Unterschied zur Hetero-Statistik ist, dass es mehr »offiziell offene« homosexuelle Beziehungen gibt als heimliche Seitensprünge. Schwule setzen sich mit dem Thema Treue offenbar bewusster auseinander, als dies Heteros tun, und einigen sich auf klar formulierte Monogamie- oder Polygamie-Varianten, mit denen beide Partner leben können.
Im Ausland geht der Trend noch stärker zu offenen Beziehungen: Eine Untersuchung der Universität von Windsor in Kanada ergab, dass 75 Prozent aller homosexuellen Männer grundsätzlich neben ihrer Partnerschaft Sex mit Außenpartnern haben bzw. wollen. Der für die Studie verantwortliche Professor Barry Adams, selbst homosexuell, fand ganz nebenbei noch etwas anderes heraus: Lateinamerikanische und asiatische schwule Paare leben überwiegend monogam! »Hier spielt die Idee von Romantik offenbar eine größere Rolle«, vermutet Adams.
Dieser Artikel hat 2 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Treue in homosexuellen Partnerschaften
Seite 2: Schwule Beziehungen: monogam, polygam oder polyamor?