Viele Jahrhunderte später - wir befinden uns im Zeitalter des 21. Jahrhunderts - hat sich nicht viel verändert. Obwohl die Geliebte in der Regel nicht mehr als Statussymbol gesehen wird, wird das Thema zwar von der Gesellschaft tabuisiert, und doch findet es täglich im Geheimen statt. Was früher meist nur Fürsten gestatten war, ist heutzutage gang und gäbe in jeder Gesellschaftsschicht. Eine Studie der Gesellschaft für erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung (GeWiS) zählt drei Millionen Geliebte in Deutschland. Vielleicht sind es mehr – vielleicht auch weniger. Sicher ist, dass es noch nie so einfach war, eine Geliebte oder einen Geliebten zu finden.
Man muss nur eine der vielen Internetseiten wie z.B. Lovepoint, First Affair oder C-Date anklicken. Diese speziellen Portale – im Fachjargon Seitensprung-Agenturen genannt – haben sich auf die Vermittlung »Seitensprungwilliger« spezialisiert, und bieten Ihren Kunden eine große Auswahl an Gleichgesinnten. Man erstellt im Handumdrehen ein Profil, gibt seine Wünsche ein sowie seine sexuellen Neigungen, und in kürzester Zeit erhält man ein reichliches Angebot an Partnern.
Die Geliebte in unserer heutigen Gesellschaft
Vor allem berufstätige und erfolgreiche Frauen werden öfter zur Geliebten. Es scheint fast, als ob die selbstbewusste Frau prädestiniert wäre für die Rolle. Sie kommt gut ohne Mann zurecht und pickt sich nur das Beste aus einer Beziehung heraus. Noch nie gab es so viele Frauen, die mit Anfang 30 eine Ehe oder längerfristige Beziehung hinter sich haben und sich entweder nicht gleich neu binden wollen, oder generell keinen Mann in ihrem Alter finden, und sich stattdessen einen vergebenen Mann angeln.Für den Münchner Paartherapeut Wolfgang Schmidtbauer ist die Geliebte ein neuer Typus, den unsere Zeit hervorgebracht hat. Wenige kennen das Phänomen Geliebte so gut wie er. Seine Erfahrungen hat er in seinem Buch »Die heimliche Liebe, Ausrutscher, Seitensprung und Doppelleben« verfasst. »Oft wählten ja gerade Frauen die Geliebtenrolle, die Angst hatten, ihre Autonomie zu verlieren. Die Geliebte ist eine moderne Existenz, man könnte auch sagen, sie ist ein Produkt der Individualisierung. Sie ist selbstbewusst genug, sich im Beruf zu behaupten, hat aber nicht das Gefühl, sie könnte einem Mann erlauben, sie zu versorgen«.
Ein Leben als zweite Geige
Aber auch diese glänzende Medaille hat eine Kehrseite, meint Barbara Unterberger, die das Internetforum www.diegeliebte.de betreibt. Täglich kann sie an vielen Beiträgen ablesen, dass die heimliche Liebe in bestimmten Phasen abläuft. Am Anfang der Dreiecksbeziehung ist es das Verliebtsein, die rosarote Brille, die vieles verschleiert. Nach und nach löst sich der Schleier und es kommt oft zu einem Punkt, an dem es kippt. Die selbstbewusste Geliebte kommt mit der Heimlichkeit nicht mehr zurecht, es beginnt eine neue Phase: die Zeit des Wartens und der Hoffnung als zweite Geige. Vor allem das »Warten«, sagt Barbara Unterberger aus eigener Erfahrung, ist eine schwierige Zeit.Das Warten auf seine Anrufe, seine Emails und insbesondere seine Entscheidung. Und die Hoffnung stirbt zu guter Letzt. Und so ist es auch nicht erstaunlich, dass gerade mal jede zehnte Geliebte die offizielle Frau an der Seite des Mannes wird. 90% der Männer bleiben angeblich bei Ihren Ehefrauen.
Die neuen Geliebten
Doch mittlerweile stehen immer mehr Frauen selbstbewusst zu ihrem unkonventionellen Liebesleben. Die neuen Geliebten sind nicht mehr passive Menschen, die darauf warten, den Platz der Ehefrau einzunehmen. Manche von ihnen scheinen sich mit den zeitlich und emotional begrenzten Beziehungen zu arrangieren und versuchen, eigenständig über ihr Liebesleben zu bestimmen.»Heute halten solche Dreiecksbeziehungen in der Regel nicht mehr so lange wie früher«, meint der Paartherapeut Hans Jellouschek, Autor des Buchs »Die Rolle der Geliebten in der Dreiecksbeziehung: »Solange sich die Geliebte einen Nutzen aus der Dreiecksbeziehung verspricht, wird sie sich so lange darauf einlassen, wenn Sie aber anfängt zu leiden, beendet Sie das Verhältnis schneller als in der Vergangenheit. Vorbei sind die Zeiten, als die Geliebte die Sekretärin war und jahrelang gelitten hat. Die Geliebte von heute, die ein halbes Leben auf den Mann wartet und am Ende durch ein jüngeres Modell ausgetauscht wird, gehört der Vergangenheit an.«
Und glücklicherweise bezahlt die Geliebte von heute Ihren Ausbruch nicht mehr mit Ihrem Leben – wie in den bekannten Romanen Effi Briest oder Anna Karena.