Zwischen Ehepartner und Geliebten entscheiden
Viele Beziehungsdramen beginnen mit der selben Frage: »Wieso liebe ich plötzlich zwei Menschen gleichzeitig?« Wer feststellt, für jemanden ebenso stark zu empfinden wie für den langjährigen Partner, wird leider nicht automatisch doppelt so glücklich, sondern reagiert häufig verstört. Was nicht an der Liebe liegt. Sondern daran, dass wir auf die Wucht dieser Erfahrung nicht vorbereitet sind.
Das, was wir für individuelle Werte und Wünsche halten, wird stark durch gesellschaftliche Normen geformt. Eine dieser Normen ist das Liebesmonopol. Das besagt, dass wir zwar gesellige Wesen zu sein haben, aber bitte all unsere Liebe nur unserem Partner zukommen lassen dürfen. Die Realität sieht anders aus. Männer und Frauen sind nun mal bauartbedingt in der Lage, mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben. Das ist weder exotisch noch verurteilenswert, sondern zutiefst menschlich. Und das Thema verschwindet nicht, wenn wir so tun, als sei es nicht da. Konstruktiver ist es, Besitzansprüche oder Schuldfragen außen vor zu lassen und das Gefühlschaos einmal zu sortieren.
Bestandsaufnahme: Was ist überhaupt los?
Auf der einen Seite die Liebe zum Partner. Im Idealfall eine Mischung aus gutem Sex, loyaler Freundschaft, gemeinsam erlebtem Alltag und inniger Verbundenheit, die im Laufe der Zeit vom prickelnden Endorphin-Cocktail in ein harmonisches Wir-Gefühl übergegangen ist. Wie gesagt: im Idealfall!
Auf der anderen Seite ein neues, verbotenes Gefühl, das uns beinahe den Verstand raubt. Verzehrende Sehnsucht nach diesem anderen Menschen, Lust auf fremde Haut,leidenschaftliches zusammen sein wollen. Eine Art Liebe, die nichts mit dem partnerschaftlichen Empfinden zu tun hat, sich komplett anders anfühlt, und die allein deshalb nicht tageslichttauglich scheint.
Warum Verliebtheit keine Liebe ist
Ein populärer Großmutterspruch lautet: »Liebe ist nicht, was du fühlst, sondern was du machst.« Und weil das sehr weise ist, können wir uns daran getrost halten und zwecks Abgrenzung einmal das Verliebtsein definieren. Ja, ein Mensch kann sich jederzeit blitzartig verlieben. In einen Kollegen, eine Unbekannte im Flugzeug, in ein Stück Kuchen. Ohne dass dabei ein Treueversprechen gebrochen wird oder Beziehungsanbahnung stattfindet. Verlieben bedeutet nicht lieben, sondern projizieren, Phantasie spielen lassen, sich gut fühlen.
Wenn es auf Gegenseitigkeit beruht, kann daraus ewige Liebe werden. Kann! Dazu muss die Projektion stückchenweise abgebaut und durch echte Erfahrungen ersetzt werden. Ein vorschnelles »ich liebe dich«, noch dazu heimlich per Mail oder SMS geäußert, ist weder glaubwürdig noch hilfreich. Es nährt lediglich die Projektion und kann sogar Erpressungscharakter bekommen, weil sich einer der Beteiligten überfahren fühlt. Genau diese Vorschnelligkeit unterscheidet Liebe vom Verlieben. Liebe lässt sich Zeit beim Wachsen. Über Nacht herbeiklicken oder -simsen lässt sich zwar ein Ausbruch aus einer Beziehung, aber keine Liebe.
Echte Liebe oder nur Bedürfnis-Erfüllung
Das Thema bewegt viele, was man auch an zahllosen Threads in einschlägigen Foren sehen kann. In Polyamorie-Communities wird das Modell der Mehrfach-Beziehung propagiert und die monogame Zweierbeziehung als überholtes Modell dargestellt. In Frauenforen wettern Ehefrauen gegen Geliebte, Next-Frauen gegen Ex-Frauen, Mütter gegen Kinderlose, Geliebte gegen Ehefrauen, und alle unisono gegen fremdgehende Männer. Im Nachbarstrang elaborieren gebundene Frauen ihre geheimen Schattenlieben, Von denen wiederum der Partner nichts wissen darf. Doppelmoral? Hilflosigkeit? Zeitzeichen? In jedem Fall scheint für Liebende ein großer Kommunikationsbedarf zu bestehen.
Das Web 2.0 kultiviert hierzu eine Standarderklärung, die wie ein Mantra in den Foren rauf- und runtergebetet wird: Grund für die aushäusigen Amouren sei nicht etwa Liebe, sondern ein Riesenberg unerkannter Defizite in der Partnerschaft. Die potenzielle Affäre habe nichts damit zu tun, die vermeintliche Liebe sei reine Kompensation. Und überhaupt müsse ja mit der Basisbeziehung etwas faul sein, andernfalls könne man sich nicht fremdverlieben. Mit Verlaub, aber das ist bornierte Küchentischpsychologie. Vor allem der letzte Satz.
Natürlich gibt es Fälle, in denen Midlife-Crisis, erkaltetes Sexleben oder genereller Beziehungsfrust mit Fremdverlieben kompensiert werden, keine Frage. Aber daraus eine Formel zu stricken und im Umkehrschluss zu behaupten, die Ursache für mehrere tief empfundene Lieben sei eine defizitäre Basisbeziehung, ist eine Denkfalle. Sie verleitet dazu, die Außenliebe als Ausrutscher abzutun und zur Tagesordnung überzugehen. Was unfair und unnötig ist. Was, wenn es tatsächlich ewige Liebe ist? Muss sie dann einer Standarderklärung geopfert und derart abgewertet werden? Betrachten wir uns lieber den Kern der »Defizit-Theorie« etwas genauer.
Wenn nicht sein kann, was nicht sein darf
Wenn man einen Menschen trifft und Liebe empfindet, gibt das noch keinerlei Aufschluss über die Qualität der Basisbeziehung. Wohl aber über die eigenen Wünsche und Sehnsüchte. Die moralische Keule zu schwingen und voreilige Kopfentscheidungen zu treffen, wäre daher grundverkehrt.
Es ist aber leider auch bequem, weshalb viele es bereitwillig tun. Kommt dann noch ein Ultimatum des Partners à la »sie oder ich, entscheide dich«, wird es eng ums Herz, und der Kopf gewinnt. Nur um nach einer Weile festzustellen, dass Liebe so nicht funktioniert. Die Affäre ist beendet oder läuft heimlich mit Schuldgefühlen weiter, die Partnerschaft scheint oberflächlich gekittet, doch in der Tiefe schwelt es. Der Liebende fühlt sich unverstanden und zweifelt. Was also tun?
Um den großen Oscar Wilde zu zitieren: »Sich selbst zu lieben, ist der Beginn einer lebenslangen Romanze.« Genau hier befindet sich ein Knick in unserem kollektiven Wertesystem. Eigenliebe gilt als eitel, die aufopfernde Hingabe an einen anderen Menschen dagegen wird goutiert. Das Problem: Wer sich nicht gestattet, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse wichtig zu nehmen, delegiert diesen Job unbewusst an den Partner. Wodurch ein ungeheurer Erwartungsdruck entsteht. »Ich liebe dich, also hast du gefälligst die Pflicht, mich glücklich zu machen, und zwar nur mich!«
Wohin das führt, ist klar: Aus der Liebesbeziehung wird eine Bedürfnis-Erfüllungs-GmbH, in der die Luft zum Atmen fehlt. Und die hat mit Liebesglück nun gar nichts zu tun, sondern bewirkt genau das Gegenteil: Sie verlangt geradezu nach einem Seitensprung, mit der die versachlichten Sehnsüchte ausgelebt werden können. Hier greift die Defizit-Theorie also. Allerdings markiert sie kein Beziehungsdefizit, sondern ein persönliches. Wenn das der Fall ist, lassen sich Kopf und Herz unmöglich in Einklang bringen. Da hilft nur die Reise nach innen. Ohne Mitspracherecht von Beziehungspartner, Außenpartner oder wohlmeinenden Freunden. Ja, das ist egoistisch, aber notwendig. Falls es wirklich Liebe ist, die da lodert und strahlt und nicht nur ein wilder Tanz der Hormone, dann will sie einen Weg finden, gelebt zu werden. Vorausgesetzt, sie ist stark genug dazu.
Außenbeziehung – Entscheidung in aller Heimlichkeit?
Es gibt eine spezielle Art Außenliebe, die nicht beziehungs- und alltagstauglich ist. Mit ihr machen wir die schmerzhaftesten, leidenschaftlichsten Erfahrungen. Charakteristisch ist, dass sie im Zeitraffer abläuft. Extrem schnelle Annäherung unter Umgehung sämtlicher »normaler« Kennenlernphasen, Empfinden von Seelenverwandtschaft, sehr früh »ich liebe dich«, sehr früh rauschhafte Erotik, Dramen, Missverständnisse, Tränen.
So aufwühlend die Gefühle sind, so zermürbend fühlen sich auch die Dissonanzen an. Nach wenigen Monaten sind beide Beteiligten emotional wund bis auf die Knochen, die Liebe kann in Aggression und Schmerz umschlagen, die eben noch in Liebesschwüren vereinten »Königskinder« zerfleischen sich verbal, ein friedliches Ende scheint ebenso unmöglich wie freundschaftliche Koexistenz. Kommt Ihnen das Szenario bekannt vor? Dann befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Genau diese Art emotionale Achterbahn erleben tausende von Männern und Frauen in diesem Augenblick. Virtuelle Kommunikation fördert solche Verbindungen enorm.
Daraus entsteht in fast allen Fällen keine Beziehung, sondern eine exzessive Selbsterfahrung, die man – bewusst oder unbewusst – dem Partner nicht zumuten will und deshalb in aller Heimlichkeit die Außenbeziehung auslebt. Hier greift ebenfalls die Defizit-Theorie: Es wird eine Lücke geschlossen. Wir lernen etwas über uns selbst. Natürlich bleibt einem liebenden Partner so eine Entwicklung nicht verborgen. Und es würde in vielen Fällen den Verlauf entschärfen, rechtzeitig die Karten auf den Tisch zu legen, statt alles bis zum bitteren Ende im Alleingang durchzustehen und den Partner anzulügen. Damit ist nicht gemeint, dass Sie sich zuhause über die Außenbeziehung ausheulen sollten, das wäre respektlos. Aber sich Ihrem Lebenspartner behutsam zu vermitteln und ihn daran teilhaben zu lassen, was in Ihnen vorgeht, kann den Dialog und die Tiefe der Beziehung bereichern. Vielleicht hat Ihr Partner ja etwas Ähnliches erlebt?
Neben diesen extremen Selbsterfahrungs-Lieben gibt es natürlich auch die »echte« Liebe. Wer sie gefunden hat, sollte ihr mit klaren Entscheidungen und Konsequenzen beim Wachsen helfen.
Heimliche Außenbeziehungen
Falls Sie glauben, diese Entscheidung in aller Heimlichkeit treffen zu können: falsch gedacht. Heimliche Lieben können jahrelang bestehen, aber sie fressen ungeheuer viel Energie und zerstören nicht nur die Basisbeziehung, sondern sabotieren aufgrund der ständigen Lügen auch Ihr soziales Netz. Wenn Sie für sich beanspruchen, keinen heimlichen Seitensprung zu führen, sondern tatsächlich überzeugt sind, zu lieben, dann erweisen Sie diesem großen Begriff die nötige Ehre: raus aus der Heimlichkeit!
Den Satz »ich will meinen Partner nicht verletzen und schütze ihn lieber vor der Wahrheit« formulieren Sie bitte nicht mal im Traum. Diese scheinbar hehre Aussage wurde dank der Omnipräsenz des Themas bereits so eindeutig als feige Ausrede enttarnt, dass Sie sich damit bestenfalls als Weichei outen würden. Legen Sie die Karten auf den Tisch. Erst dann sind faire Entscheidungen möglich.
Falls Sie sich statt dessen entscheiden, die Außenbeziehung zu beenden, fragen Sie sich genau, warum Sie das tun. Aus Schuldgefühlen, um die Basisbeziehung zu retten? Oder weil Ihnen zwei Lieben einfach nicht geheuer sind? Weil die Liebe zum Außenpartner doch nicht soooo groß ist, dass sie den Sprung aus der Heimlichkeit überstehen würde? Oder weil Sie Ihren Partner so sehr lieben, dass Sie in eine exklusive Beziehung zurück möchten?
Ehrlichkeit als Liebesbeweis macht frei
Noch einmal zur Erinnerung: Mehrere Menschen zu lieben ist kein Verbrechen! Sie müssen sich dafür nicht rechtfertigen, nicht entschuldigen, nicht schämen. Wenn Sie lieben, dann lieben Sie. Punkt. Aber stehen Sie bitte auch dazu.
Ein bewährtes Modell ist das offene Gespräch auf neutralem Boden. Sie, Ihr Lebenspartner, Ihr Außenpartner und ggf. dessen Partner setzen sich zusammen. Ohne potenzielles Wurfgeschirr und zuknallbare Türen, dafür vielleicht mit einem Vorrat an Taschentüchern und Rotwein. Vor diesem Ortstermin sollten Sie Ihren Partner fairerweise vollumfänglich ins Bild setzen, damit alle am Tisch auf dem gleichen Informationsstand sind.
Dann heißt es zu dritt oder zu viert reden, ohne Zensur. Ausnahme: Das Thema Beziehungsdefizite. Es gehört nicht in diese Runde, sondern geht nur Sie und Ihren Partner etwas an. Derjenige, der sich fremdverliebt hat, muss klar äußern dürfen, was er möchte: eine, beide oder gar keine der Liebesbeziehungen weiterführen? Aus welchen Gründen? Auch Ihr Lebenspartner muss sich frei äußern dürfen, ohne dass Sie mit Ihrem Außenpartner eine Front bilden. Und der Außenpartner sollte Farbe bekennen: Wünscht er oder sie eine exklusive Beziehung? Eine Affäre? Oder ist die Liebe nicht so stark, und es geht nur um geordneten Rückzug?
Auch wenn schnell wirtschaftliche Themen ins Spiel kommen (»willst du etwa alles wegwerfen, was wir uns aufgebaut haben?«), konzentrieren Sie sich bitte auf Bauchgefühl und Herzenswunsch. Die Rahmenhandlung sollte nicht an oberster Stelle stehen.
Was ein wenig nach Außendienstmeeting klingt, ist eine hochemotionale Sache. Wenn man es richtig macht. Denn hier werden alle Beteiligten mit ihren ureigenen Ängsten und Wünschen konfrontiert, die sie bisher vielleicht nicht so bewusst wahrgenommen haben. Ihr Partner lernt Sie von einer neuen Seite kennen und vielleicht lieben. Sie wiederum erkennen, dass Ihre Liebe nicht auf eine Person beschränkt ist und setzen sich damit auseinander, was das bedeutet.
Happy End für die Liebe
Falls Sie jetzt kalte Füße bekommen beim Gedanken an eine solche Konfrontation, sollten Sie den Begriff Liebe nochmal überdenken. Ist es eventuell doch nur eine kleine Nebenher-Verliebtheit, die im Verborgenen gelebt werden sollte? Kein Problem, aber dann strapazieren Sie nicht das Wort Liebe.
Wenn es aber tatsächlich Liebe ist, die Sie mit Ihrem Lebenspartner und Ihrer Affäre verbindet: Leben Sie sie! Kneifen Sie nicht, sondern teilen Sie sich so authentisch wie möglich mit. Wenn Sie wollen, dass man Sie respektiert und ernst nimmt, dann stehen Sie zu Ihren Gefühlen und Wünschen. Auch das ist Liebe. Um es ganz kitschig zu sagen: Die Liebe ist es wert.
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