Doch die prächtige Kurstadt ist, pardon, ziemlich eingeschlafen. Es gibt kein Nachtleben, keine Kreativenszene und abgesehen von den Kurhaus-Konzerten kaum Musik. Weshalb sich mancher Wiesbadener, darauf angesprochen, zuweilen ein wenig fremdschämt und auf Mainz oder Frankfurt verweist. Was tun, wenn man hier einen romantischen Liebesausflug mit seiner Affaire planen möchte? Ganz einfach: in den Glamour längst vergessener Zeiten abtauchen!
Residieren wie Könige und Fürsten
Original wilhelminisches Luxusambiente hat seinen Preis. Wer sich den Ausflug in die Blütezeit der Romantik etwas kosten lassen möchte, ist im Nassauer Hof richtig. Es ist eines der wenigen Grandhotels in Europa. Hier wohnten schon Könige, Herzöge und Filmlegenden. Ein Fünf-Sterne-Hotel mit Wellness-Bereich, Restaurant und erstklassigem Service. Das Doppelzimmer kostet ab 320 Euro, doch für Paare gibt's Wochenend-Raten ab 258 Euro.Günstiger, kuscheliger und ebenso zentral wohnen Sie im Hotel Alexander an der Rheinstraße. Der Prachtbau wurde innen und außen gründlich saniert, und aus dem angestaubten ehemaligen Hansa-Hotel wurde ein schönes, inhabergeführtes Stadthotel, das modernes, stilsicheres Design mit historischem Ambiente verbindet. Das Doppelzimmer gibt's ab 79 Euro inklusive Frühstück, dessen Zutaten hier direkt vom Biobauern kommen.
Zum Auftakt: ausziehen und verwöhnen lassen...
Nein, nicht was Sie denken. Die Rede ist von den Kaiser-Friedrich-Thermen, einem architektonischen Juwel im Jugendstil, das sich am Ende der Fußgängerzone (Langgasse Ecke Webergasse) befindet.Wiesbaden besitzt einige heiße Quellen, die schon von den Römern für Schwitzbäder genutzt wurden. Um 1910 eröffnete das Hotel Adler in seinen Kellerräumen ein Thermalbad für Hotelgäste. Eine weitläufige, unterirdische Bäderlandschaft, surreal beleuchtet, geheimnisvoll wie eine orientalische Schatzhöhle mit Mosaiken, Fresken, Fantasiefiguren, viel Gold und Glas, antiken Kacheln und verschnörkelten Armaturen. Natürlich ist der Bau inzwischen modernisiert, doch die prachtvolle Bäder-Architektur wurde glücklicherweise originalgetreu restauriert. Sie betreten die Therme, geben ihre Kleidung ab, bekommen einen weißen Bademantel und lassen sich verwöhnen. Mit Schwitz- und Saunavarianten, Lichtbädern, einem Sandbad, tropischem Eisregen und verschiedenen Massagen.
Genießen in »Klein Paris«: Romantisch wird's in den Nebenstraßen!
Wichtig: Die klassischen Wiesbadener In-Locations in der Innenstadt wie Sherry & Port, »Hemingway«, Lumen oder »Spital« sind allesamt sehr schick und meistens überfüllt. Sehen und gesehen werden ist wichtig, ein intimes entspanntes Date daher nicht wirklich möglich. Das gleiche gilt für die berühmte »Rue«, die Wilhelmstraße. Mit Kurhaus, Casino und Designer-Boutiquen bietet sie zwar einen eleganten Anblick, man erspäht viele Prominente und Millionäre in »artgerechter Umgebung«. Doch Romantikfaktor bietet die Rue nicht, dazu ist sie zu teuer, und das Personal in den Cafés zu arrogant.Daher unser Tipp: die kleinen, verschwiegenen Lokale und Weinstuben in den Souterrains der Altbau-Wohnhäuser! Die größte Lokaldichte finden Sie im Rheingauviertel, dem Dichterviertel und der Taunusstraße samt Nebenstraßen.
Wenn Sie also nach dem Besuch im Kaiser-Friedrich-Bad entspannt, frisch massiert und hungrig nur wenige Schritte über den Kranzplatz flanieren, landen Sie direkt in der Taunusstraße. Hier fühlt man sich wie im Paris der 20er Jahre. Die Taunusstraße ist eine von Wiesbadens »echten« Prachtstraßen mit schlossähnlichen Wohnhäusern. Auch sie blieben in beiden Kriegen unzerstört. Während in den oberen Etagen Wohnungen und Büros liegen, locken in den Erdgeschossen, Kellern und Hochparterres zauberhafte Restaurants, Bars, Galerien und Geschäfte.
Wer vor dem Essen ein wenig bummeln möchte, sollte bis ans Ende der Taunusstraße weitergehen, wo der Hausberg Wiesbadens beginnt, der Neroberg. Hier befindet sich die Talstation der Nerobergbahn. Angetrieben allein durch Wasserkraft und deshalb sehr leise, transportiert sie Gäste den abenteuerlich steilen Berg hinauf. Die Fahrt dauert fünf Minuten - und oben wird man mit dem schönsten Westblick über Hessen und Rheinland-Pfalz belohnt, der vom Boden aus möglich ist. Das gilt auch für den Sonnenuntergang.
Für den gepflegten Drink ist das Brown Sugar in der Taunusstraße (schräg gegenüber »Grand Asia«) eine feine Adresse. Eine elegante Bar mit thailändischem Restaurant, hervorragenden Cocktails und plüschig-karibischem Ambiente. Noch flippiger präsentiert sich die Haltbar in der Neugasse. Ein weiteres Beispiel für Wiesbadens Kneipenkultur, die finstere Souterrainwohnungen in Szenekneipen verwandelt.
Multikulturell und kreativ: Szenekneipen in den Wohngebieten
Weiter nördlich im Dichterviertel verwöhnt das Winzerstübchen (Arndtstraße 2) mit Rheingau-Spezialitäten. Für mutige Romantiker empfiehlt sich ein Abstecher ins Westend, auch »Klein Istanbul« genannt. Hier befinden sich auf engstem Raum über 30 kleine Restaurants, die meisten türkisch oder arabisch. Vom Wiesbadener Chic ist hier nichts zu spüren, das Westend ist linksalternativ, multikulturell und sehr bunt. Alkoholausschank ist in den muslimischen Restaurants verboten, dafür gibt es unglaublich leckere Grillspezialitäten, Sitzkissen statt Stühle, orientalische Musik und zum Nachtisch Baklava und eine Wasserpfeife.Und weil der Rhein zu Wiesbaden gehört wie die Wasserpfeife zum arabischen Dinner, sollten Sie bei schönem Wetter zwischendurch mal nach Biebrich ans Rheinufer fahren. Das weltberühmte Biebricher Schloss bestaunen, den über zweihundert wilden Papageien zuschauen, die hier im Schlosspark wohnen, vielleicht an Bord eines der Ausflugsschiffe den Rhein hinauf bis zur Loreley fahren und den Alltag einfach ausblenden.
Fazit: Ja, Wiesbaden ist spießig, traditionsverbunden und teuer. Aber wenn man sich die richtigen Plätze rauspickt, zeigt sich die geschichtsträchtige Kaiserstadt von einer jungen, unkonventionellen Seite!