Bindungsunsicherheit: Wenn der Partner nicht weiß, ob er wirklich will
Der Mensch ist ein großer Zweifler. Gerade heute und besonders in der Liebe. Jeder achte Deutsche stellt seine aktuelle Beziehung oft in Frage.Viele wollen sich nicht festlegen, weil es irgendwo einen noch besseren Partner geben könnte. Ist das ein fragwürdiger Trend oder unsere Chance auf das perfekte Glück?
»Früher trennten sich Paare, weil sie unglücklich waren. Heute trennen wir uns, weil wir denken, mit einem anderen Partner könnten wir noch glücklicher sein.«
Thomas Schmidt | Seitensprung-Fibel
Mit Anfang Zwanzig will man sich nicht gleich für den Rest seines Lebens binden, ab Mitte Dreißig hat man höhere Ansprüche an einen Partner, und wenn man die Vierzig überschritten hat, bekommen Beziehungen oft einen anderen Stellenwert. In jeder Lebensphase gibt es gute und weniger gute Argumente, sich nicht auf eine feste Partnerschaft einzulassen. Nicht immer muss es daran liegen, dass die Gefühle nicht stimmen. Dahinter kann auch ein neuzeitliches Phänomen stecken: Bindungsunsicherheit.
Ist er wirklich der Richtige? Zweifel am Partner
»Ich hab die Liebe meines Lebens gefunden!« Wer das von sich behaupten kann, ist zu beneiden. Wie groß die Liebe, wie toll die Beziehung, wie genial der Sex ist, lässt sich oft erst im Nachhinein beurteilen oder im Kontrast zu anderen Erfahrungen.
- Wir vergleichen oft: Wir leben wir in Zeiten der unendlich vielen Vergleichsmöglichkeiten – Medien und Internet machen das möglich. Wer noch nicht gebunden ist, bekommt vorgegaukelt, er könne im Handumdrehen beziehungsweise einfach per Mausklick die große Liebe finden.
- Wir wollen nichts verpassen: Wer in festen Händen ist, dessen Zweifel werden ständig geschürt. Die Angst davor, den besten Sex oder die tollste Beziehung zu verpassen, weil man sich zu voreilig gebunden hat, treibt viele Menschen um. Immer besteht ja die Möglichkeit, dass irgendwo auf dieser Welt ein Partner ist, der noch besser zu einem passt, als der aktuelle.
- Wir haben viele Gelegenheiten: Früher musste man rausgehen, Menschen treffen, Kontakte bekommen. Oft waren diese vom Zufall zugeschanzt, man musste Glück haben, zur rechten Zeit am rechten Ort sein. Heute kommt der Jahrmarkt der Partnerwahl unter Umständen direkt zu uns ins Haus: Via Internet oder per App etwa. Eine bahnbrechende Entwicklung eigentlich, die aber ihre Tücken haben kann. Weil sie uns nämlich oft nicht ruhen lässt, auch wenn wir in einer festen Partnerschaft leben.
- Wir geben uns nicht schnell zufrieden: Getrieben von Zweifeln wollen sich viele Menschen nicht für immer und ewig binden – was per se auch gar nicht mal unklug ist. Menschen ändern sich, Beziehungen auch. Da sollte jeder den Mut haben, sich aus einer unglücklichen Partnerschaft zu befreien. Kritisch wird es, wenn der Partner eigentlich in Ordnung ist, aber eben nicht perfekt. Dann kommen die diversen Verführungen ins Spiel.
- Wir stehen vor vielen Versuchungen:
Die Journalistin Annabel Dillig kommt zu dem Schluss, dass jeden von uns das leicht verfügbare Angebot in irgendeiner Form reizen könne. In »Diesen Partner in den Warenkorb legen« schreibt sie, nicht nur Online-Dater, sondern auch alle, die sich in einer festen Beziehung befinden, wären den Verlockungen ausgesetzt, nach einer noch besseren Version des Partners Ausschau zu halten.
Das große Beziehungszweifeln: Fakten
- 13 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen zweifeln grundsätzlich, ob ihr derzeitiger Partner tatsächlich der Richtige für sie ist, wie eine Studie von ElitePartner ermittelte.
- 15 Prozent der unverheirateten Liierten fragen sich öfter, ob ihr Partner wirklich zu ihnen passt. Nach der Eheschließung stellen noch 12 Prozent ihre Beziehung in Frage.
- 16 Prozent derjenigen, die kürzer als ein Jahr mit ihrem Partner zusammen sind, zweifeln oft an ihrer Liebe.
- 26 Prozent der Gebundenen würden ihre Beziehung aufgeben, wenn sie ihren Traumpartner treffen würden, ergab eine Umfrage von seitensprung-fibel.de.
Wenn Liebende sich nicht richtig binden können: Unser kleines FAQ Bindungsunsicherheit
Was ist das überhaupt, Bindungsunsicherheit?
Salopp gesagt ist es so etwas wie die Angst vor einer langen und festen Bindung: Der Begriff kursiert als Bezeichnung für die Scheu davor, eine auf Dauer angelegte, verbindliche Beziehung einzugehen. »Habe ich den Richtigen schon gefunden, ist da liebestechnisch noch mehr für mich drin, passen wir überhaupt zusammen?« – diese und andere Fragen stellen sich viele Menschen. Da Antworten darauf so schwierig zu finden sind, zögern manche, verbindliche Beziehungen einzugehen. Psychologen sprechen von Liebesphobikern, wenn Menschen immer wieder Beziehungen eingehen, aus denen sie dann aber schnell wieder aussteigen, sobald es richtig ernst werden könnte. Dabei wünschen sich Liebesphobiker eigentlich nichts sehnlicher als Nähe – fürchten diese jedoch auch. In dieser Ambivalenz sind sie gefangen. Darum sagen sie oft nicht wirklich ja, aber auch nicht wirklich nein zum anderen. Beziehungen gehen sie aber trotzdem ein, halten sich aber gerne ein Hintertürchen offen.
Was bewirkt es, wenn ein Partner nicht sicher ist, ob er diese Beziehung überhaupt will?
Das kann zu einem emotional sehr belasteten Wechselbad der Gefühle führen. Denn grundsätzlich ist der bindungsunsichere Part der Beziehung nicht grundätzlich abgeneigt, sich zu binden. Nur vielleicht nicht: sofort, jetzt, unter diesen Umständen, so fix. Klassisches Beispiel für Folgen einer Bindungsunsicherheit ist die On-Off-Beziehung: Heute heiß verliebt, morgen vorübergehend getrennt. In Jedem Fall ist es eine Gefühlstortur für den Partner, der die Beziehung voll und ganz will. Denn der kaum weiß, woran er ist, muss entweder die Sache beenden, ein Ultimatum für eine endgültge Entscheidung setzen oder das »Ich-weiß-noch-nicht«-Spielchen mitmachen. Andererseits gibt es ja auch Menschen, die trotz langer Beziehung unsicher sind – Zweifel daran, ob der aktuelle Partner der Richtige ist, können sich auch nach einiger Zeit einschleichen. Auch das kann Auswirkungen haben: Zu wenig Gemeinsamkeiten, keine Zukunftsplanung und ein mangelndes Bekenntnis zueinander können Folgen sein. Seitensprünge sind dann auch nicht auszuschließen – als amouröses Hintertürchen.
Woher kommt Bindungsunsicherheit?
Wir sehnen uns nach einem Partner, wollen uns aber nicht auf eine Person festlegen. Diese Bindungsscheu sei bemerkenswert, meint der Psychologe Dirk Revenstorf. In seinem Buch »Liebe und Sex in Zeiten der Untreue« schreibt er, es gebe eine zunehmende Bindungsangst. Vielen Menschen gehe es nicht mehr darum, einen Partner zu finden, mit dem sie ein glückliches Leben führen können, sondern darum, die eigenen Glückschancen zu optimieren. Darum hätten viele Menschen eine regelrechte Wunschliste für einen Partner. Die Anforderungen an den oder die Richtige/n steigen, das vermeintliche Überangebot an Partnern suggeriert, man müsse sich nicht mit einem »guten« Partner abfinden, sondern habe das Anrecht, nach etwas Besseren zu suchen und damit die Chance auf den »perfekten« Partner. Hat man sich früher vom Partner getrennt, weil man in der Beziehung unglücklich war, neigen heute viele dazu, sich zu trennen, weil sie meinen, mit einem anderen Partner noch glücklicher werden zu können. Kommen dann noch einige weitere Faktoren hinzu, kann daraus eine Bindungsscheu werden, die längere Beziehungen schwierig macht. Das kann etwa an diesen Gründen liegen:
Wenig Selbstwertgefühl
So einer hat es besonders nötig, könnte man meinen. Aber nein, psychologisch betrachtet sind es gerade Menschen mit geringem Selbstbewusstsein, die sich vor einer festen Beziehung fürchten. Denn so absurd es auch scheint, wird diese als Bedrohung empfunden: Wenn man gefühlsmäßig alles auf einen Menschen setzt, macht man sich über die Maßen verletztlich – genau das wollen selbstunsichere Menschen verhindern.
Schlechte Beziehungserfahrungen
Da hat man sein Herz schon mal weggeschenkt und gleich wurde es brutal zerbrochen. So etwas will keiner ein zweites Mal erleben. Also bloß vorsichtig sein bei der nächsten Liebschaft. Wer negative Vorerfahrung mit verbindlichen Beziehungen hat, überlegt es sich doppelt und dreifach, ob eine erneute feste Bindung sein muss.
Entscheidungshemmungen
Nehme ich die oder die oder doch besser die? Manch einer hat auch Schwierigkeiten, sich überhaupt für etwas zu entscheiden. Es könnte ja immer noch etwas viel Besseres vorbeikommen, da vermeidet man lieber, etwas festzuklopfen. Man könnte es ja bereuen. Gerade heute bei den vielen Dating-Möglichkeiten online und auch offline meinen viele, eine endgültige Entscheidung immer noch ein bisschen aufschieben zu können.
Woran erkenne ich, dass ich einen bindungsunsicheren Partner habe?
Ein ewiges Hin- und Her ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass Ihr Partner nicht sicher ist, ob er mit Ihnen eine feste Partnerschaft eingehen will. Im Rausch der Verliebtheit kann es aber sein, dass Sie offensichtliche Signale anders interpretieren und nicht der Bindungsunsicherheit Ihres Partners zuschreiben. Vielleicht deuten Sie seine Unentschlossenheit als Typfrage, machen sich selbst mit Ihrem Drängen verantwortlich für die mangelnde Bekenntnisbereitschaft des anderen oder glauben daran, mit der Zeit werde er sich schon für Sie entscheiden. Das mag alles zutreffen. Es gibt aber Anzeichen, die unverkennbar daraufhin deuten, dass Ihr Partner bindungsunsicher ist. Etwa diese:
Ihr Partner bevorzugt den »warmen Wechsel«
Wenn Ihr aktueller Partner in den letzten Jahren einige Beziehungen hatte, die immer wieder schnell zu Ende gingen, und auf die stets in geringem zeitlichen Abstand die nächste folgte, kann das Indiz dafür sein, dass er oder sie nicht bereit ist für etwas Festes. Auch wenn Ihr Partner für die Dauer Ihrer Beziehung treu ist, bedeutet das nicht, dass er sich ganz darauf einlässt. Wer immer wieder aus einer verbindlichen Beziehung abspringt und sich sofort in die nächste stürzt, hat zwar eine weiße Weste, was Fremdgehen anbelangt, hintergeht Sie aber dennoch heimlich.
Ihr Partner hat kein Interesse an gemeinsamen Zukunftsplänen
Will Ihr Partner lieber nichts so richtig planen und lieber mit Ihnen in den Tag hineinleben? Das könnte ein Zeichen für Bindungsscheu sein. Ist das Thema Zukunft in Ihrer Beziehung ausgeklammert und langfristige Perspektiven für einen gemeinsamen Lebensweg sind vom Kurzurlaub bis zum Zusammenziehen ein Tabu, dann haben Sie es womöglich mit einem bindungsunsicheren Partner zu tun.
Ihr Partner ist Ihnen gegenüber ziemlich unzuverlässig
Ob Verabredungen, Abmachungen oder wichtige gemeinsame Termine: Ihr Partner hält alles erst mal unverbindlich. Kommt ihm was anderes dazwischen, hat er kein Problem, Sie zu versetzen. Regelmäßigkeiten wie liebevolle SMS oder kleine Aufmerksamkeiten sind auch rar? Dann sollten Sie hellhörig werden.
Ihr Partner schottet seinen Freundeskreis ab
Dass Sie beide Ihre eigenen Freunde haben und mit ihnen Zeit verbringen, ist gut. Nicht so gut ist es, wenn Ihr Partner das Umfeld strikt in Meins und Deins unterteilt. Zumindest kennen sollten Sie die engeren Freunde Ihres Partners. Ein schlechtes Zeichen ist, wenn er oder sie den Freunden noch nicht einmal sagt, dass Sie überhaupt zusammen sind.
Ihr Partner sagt, dass er sich nicht für eine feste Beziehung bereit fühlt
Offenheit ist eine schöne Sache. Wenn Ihr Partner aber immer wieder explizit betont, er fühle sich noch nicht bereit für eine gemeinsame Zukunft, kann das an mangelnden Gefühlen liegen. Oder daran, dass er oder sie grundsätzlich eine feste Partnerschaft scheut.
Fazit: Wie gehe ich mit einem bindungsunsicheren Partner um?
Das Leben ist zu kurz, um seine Zeit an einen unentschlossenen Partner zu verschwenden. Wer sich nicht zu einer Person bekennt und bereit ist, eine feste Beziehung mit all ihren Konsequenzen zu leben, ist kein Partner fürs Leben, so viel steht so oder so fest.
Wenn Sie bei Ihrem aktuellen Partner verschiedene Hinweise auf Bindungsunsicherheit feststellen, sollten Sie sich überlegen, wo Sie stehen und was Sie wollen. Machen Sie sich klar, dass Ihr Partner Ihnen in gewisser Weise Liebeszeit stiehlt, denn er hält Sie in dem Glauben, dass Ihre Beziehung okay ist, wartet insgeheim aber bewusst auf eine vermeintlich bessere Option. Oder aber Sie hängen fest in der Leidensschleife, weil Sie denken, Sie müssten sich anstrengen, um den anderen doch noch von Ihrer Beziehung zu überzeugen. Dann sollten Sie sich überlegen, welche dieser Optionen für Sie in Frage kommt:
Trennung: Das haben Sie nicht nötig!
Vermutlich können Sie sich ins Zeug legen, wie Sie wollen. Ihren bindungsscheuen Partner ändern Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nur sehr schwer. Was Sie aber tun können, ist: sich selbst ändern. Falls Ihr Partner Sie immer wieder hinhält, Sie quält mit Rückzugstaktiken, um dann wieder anzutanzen, sollten Sie sich überlegen, ob Sie überhaupt diese Beziehung wollen. Manchmal stimmt wirklich, dass ein Ende mit Schrecken besser ist, als ein Schrecken ohne Ende.
Ultimatum setzen: Bis hierhin und nicht weiter!
Je weniger Sie sich im Zuge der Bindungsunsicherheit instrumentalisieren lassen, umso besser für Sie. Lassen Sie nicht alles mit sich machen, sprechen Sie mit Ihrem Partner über seine Bindungsängste, soweit dies möglich ist. Aber achten Sie auf sich selbst und lassen Sie nicht zu, dass die Bindungsscheu Ihres Partners zu Ihrem größten dauerhaften Kummer wird. Machen Sie klare Ansagen, setzen Sie ein Ultimatum: Wenn er oder sie sich nicht bis dann entschieden hat, sollten Sie Konsequenzen ziehen.
Ertragen: Weil Du es mir wert bist!
Kann sein, Ihre Liebe ist groß genug, um auch die Hürde Bindungsunsicherheit zu nehmen. Dann sei es so: Beständigkeit kann mitunter einen bindungsscheuen Menschen zu einem zuverlässigen Partner machen. Eine Garantie haben Sie dafür aber nicht. Darum sollten Sie den Tatsachen ins Auge sehen und ehrlich zu sich selbst sein. Sie sollten genau abwägen, wie viel Sie in diese unsicher Beziehung investieren wollen – auf die Gefahr hin, dass es keine feste Partnerschaft werden wird.