Ich habe den falschen Mann geheiratet – und jetzt?
Wir leben in einer Umtauschgesellschaft. Ob Digitalkamera, Abendkleid oder Kühlschrank, Fehlkäufe sind praktisch unmöglich geworden. Alles kann in Ruhe ausprobiert, verglichen und bei Nichtgefallen umgetauscht werden. Eine Mentalität, die sich inzwischen auch auf zwischenmenschliche Beziehungen ausdehnt.
Beispiel: Partnersuche im Internet. Per Mausklick können wir in Singlebörsen potenzielle Partner vergleichen und auswählen, bei einem Date »testen« und anschließend entscheiden, ob wir den Kontakt vertiefen oder lieber wieder einschlafen lassen, wenn's nicht recht passen will. Doch was tun, wenn es dafür zu spät ist? Wenn die Verbindung bereits seit vielen Jahren per Heiratsurkunde, Familie und Hausbau besiegelt ist und ein gemeinsames Leben errichtet wurde?
Jede dritte Frau wusste, sie heiratet den FALSCHEN
Umfrage der US-Paartherapeutin Jennifer Gauvain
Es ist alles perfekt, was willst du denn?
Diesen Satz hört Charlotte, 38, seit einiger Zeit öfter. Sie hat alles, was eine Frau sich laut Konventionen zu wünschen hat: ihren attraktiven, beruflich erfolgreichen Mann Christian, zwei bezaubernde Kinder, ein schickes Haus im Grüngürtel, Freunde und eine gute Beziehung zu den Schwiegereltern. Das Bild ist perfekt. Trotzdem erträgt Charlotte es nicht mehr.
Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt.
Arthur Schopenhauer (1788-1860), deutscher Philosoph
»Ich habe das Gefühl, einem Phantom hinterher zu jagen«, sagt sie. »Mein Leben mit Christian ist harmonisch und geregelt wie ein Uhrwerk, wir streiten kaum, der Sex ist auch okay. Nicht berauschend, was ja irgendwie normal ist nach ein paar Jahren, aber ganz okay.«Schon sind wir beim wunden Punkt, über den rund 90 Prozent aller verheirateten Frauen insgeheim klagen, aber nur selten offen sprechen: lauwarmes Sexleben im Ehebett. Dazu, und wie sich das gemeinsam verbessern lässt, an anderer Stelle mehr. Bleiben wir beim Thema. Es sind merkwürdige Unstimmigkeiten, die ihr erst im Laufe der Zeit bewusst wurden, und die sie nun an Christian zweifeln lassen. Zum Beispiel seine Einstellung zu berufstätigen Frauen.
»Während unserer Kennenlernphase arbeitete ich als Physiklehrerin am Gymnasium und war Gastdozentin an der Uni. Mein Traum war es, vor meinem 40. Geburtstag noch zu promovieren. Christian sagte immer, dass er das gut findet und mich nach der Babypause dabei unterstützen wolle. Doch das ist Jahre her. Seit wir Eltern sind, höre ich immer öfter spitzfindige Anspielungen, dass Mütter sich voll und ganz ihren Kindern zu widmen hätten. Einmal betonte er im Beisein unserer Nachbarn, wie glücklich er sei, dass seine Frau es nicht nötig habe zu arbeiten. Nötig, hallo? Habe ich wirklich so einen antifeministischen Mann geheiratet? Nimmt er meine Ambitionen überhaupt ernst?« Das Thema Berufstätigkeit ist nicht die einzige Dissonanz, die Charlotte zu schaffen macht. »Christian ist eifersüchtig. Am Anfang fand ich das süß. Seit ein paar Jahren wird es zunehmend zum Problem. Ich habe zwei männliche Freunde, die ich seit der Schulzeit kenne, und mit denen mich eine vertrauensvolle Beziehung verbindet. Einer ist schwul, der andere verheiratet. Es gab niemals amouröse Ambitionen zwischen uns. Christian kennt beide. Nach einer Weile fand ich zufällig raus, dass er ab und zu Anrufe der beiden auf unserer Mailbox löscht und sich außerdem in meinem E-Mail-Account eingeloggt hat.« Ein massiver Vertrauensbruch? Nicht für Christian. »Als ich ihn zur Rede stellte, hat er nur gelächelt und meinte, ich könne ja auch seine Mails lesen, wenn ich wollte, er hätte nichts zu verbergen.« Was den Einbruch in Charlottes Privatsphäre weder relativiert noch entschuldigt. Schließlich bricht es aus ihr heraus: »Ich kann neben ihm nicht mehr atmen! Ich habe das Gefühl, nicht mehr ich selbst zu sein, sondern eine Rolle spielen zu müssen!«
Trennen oder Kompromisse leben?
Natürlich spricht Charlotte mit ihrer besten Freundin darüber. Die versteht überhaupt nicht, wo das Problem liegt und ist der Meinung, Charlotte würde nur nach Haaren in der Suppe suchen, wisse ihr Glück nicht zu schätzen und solle sich nicht so anstellen. Die gleiche Einstellung, mit der auch Christian jeder Klärung aus dem Weg geht. Seine Eifersucht und der Wunsch, Charlotte möge Vollzeitmutter bleiben, finden sogar den Beifall der Freundin. »Sie sagt, ich solle dankbar dafür sein, dass sich mein Mann so um mich sorge. Und dass man Mails gegenseitig lesen würde, sei normal in einer Ehe.«
Charlotte nimmt diese Aussagen sehr ernst. »Ich frage mich: Bin ich undankbar oder vielleicht zu anspruchsvoll? Sollte ich mich ändern? Ist diese Sehnsucht, die da in mir lodert, nur ein Hirngespinst, und es wird Zeit, dass ich vernünftig werde, wie man so schön sagt? Bin ich schuld daran, dass es nicht richtig passt?« Diese bohrenden Fragen quälen sie umso mehr, als dass sie sehr früh lernen musste, wie sich eine Scheidung anfühlt. »Ich bin Scheidungskind, meine Eltern trennten sich, als ich vier war. Es war ein Alptraum, weil die Scheidung als wahre Schlammschlacht vor mir und meinem älteren Bruder ausgetragen wurde.«
Als sie Christian kennenlernte, hatte sie bereits zwei längere Beziehungen hinter sich, in denen sie mehrmals betrogen worden war. Mit Christian sollte alles anders werden. Er war kein Hallodri, sondern konservativ, bodenständig und zielstrebig. Seine Ziele lauteten: Karriere, Heirat, Hausbau, Familiengründung, kurz gesagt, er wollte sesshaft werden. Von ausgefallenen Hobbys oder Umzügen in andere Städte war er wenig begeistert.
Sexuelle Spielereien, ausgeflippte Partys, spontane Urlaube oder Überraschungen? Fehlanzeige. Was für manche schrecklich spießig klingt, verkörperte für Charlotte damals Stabilität und Geborgenheit. Kein Zweifel, Christian war der Mann, bei dem sie sich sicher fühlte. Ein Seelenverwandter? »Eher mein perfektes Gegenstück«, sagt sie. Ein gefährlicher Irrtum, denn ihre eigenen Träume und Sehnsüchte rückten immer weiter in den Hintergrund und ordneten sich stillschweigend Christians »aufgeräumtem« Lebenskonzept unter.
Warum es so schwer ist, eine Entscheidung zu treffen
Frauen wie Charlotte stecken mächtig in der Klemme. Die vielen Ungereimtheiten lassen sich nur schwer eindeutig benennen. Nicht immer drückt sich das Unglücklichsein in so konkreten Themen wie Eifersucht oder Berufstätigkeit aus. Viel schlimmer sind unterschwellige, scheinbar grundlose Aggressionen, Ungeduld, Genervtsein bei jeder Kleinigkeit, das Gefühl, nicht richtig wahrgenommen zu werden, lähmende Oberflächlichkeit in Gesprächen und immer öfter Schweigen. Dass sich in diesem Klima keine partnerschaftliche Erotik aufbauen kann, versteht sich von selbst.
Wer heute nichts tut, lebt morgen wie gestern!
Verfasser unbekannt
Natürlich versucht frau zunächst, mit ihrem Ehemann zu sprechen. Mit viel Glück hat sie es mit einem Partner zu tun, der ebenso frustriert wie sie ist und daher bereit, das Ruder gemeinsam herumzureißen. Doch in Fällen wie bei Charlotte scheint Hopfen und Malz verloren. Christian betrachtet ihre Vorstöße als Affront, als persönliche Kritik und Kränkung, er blockt jedes Beziehungsgespräch ab. Motto: Uns geht's doch prima, wenn dir etwas fehlt, ist das dein Problem.
Dem Drang, etwas an der Situation ändern zu wollen, stehen zahlreiche Ängste entgegen. Allen voran die Angst vor dem Alleinsein. Will ich ohne den vertrauten Alltag leben? Finde ich noch einmal einen neuen Partner? Schaffe ich es finanziell allein? Was wird mit dem Haus? Wie erkläre ich das dem Rest der Familie? Ich hab es doch gut, es könnte viel schlimmer sein. Und die Kinder! Ist es wirklich nötig, ihr vertrautes Umfeld zu zerstören, aus reinem Egoismus? Wenn ich mich ein wenig mehr zusammenreiße ...
Mit solchen Durchhalteparolen überreden sich Frauen dazu, die Konfrontation mit ihrem Mann ebenso konsequent zu verdrängen wie den Trennungsgedanken und flüchten sich in heimliche Affären. Was zwar kurzzeitige Linderung bringt und die Libido wieder weckt, aber das Problem nicht löst.
Drei Möglichkeiten, das Dilemma aufzulösen
- ausharren, nichts tun und in eine Depression nebst psychosomatischen Krankheiten abrutschen
- den Partner in die Pflicht nehmen und klare Aussprachen einfordern, ggf. mit Hilfe eines Paartherapeuten, der auch beim Worst Case, der Trennung, beratend zur Seite steht
- aktiv die Trennung avisieren und durchziehen, ob endgültig oder nur vorübergehend, kann dabei zunächst offen bleiben
Natürlich gibt es unzählige Abstufungen und Grauzonen. Auch die Frustkompensation durch Fluchtverlieben gehört dazu. Oder das Akzeptieren der Tatsache, dass aus der ehemals leidenschaftlich guten Ehe eine emotionslose Haushaltsgemeinschaft geworden ist. Früher oder später landen Sie aber bei einer dieser drei Optionen.
Risiken, Chancen und Irrtümer
Klassische weibliche Denkfallen, die leider von Müttern und Großmüttern gerne zitiert werden: »Das wird sich schon rundschleifen«, »er wird sich ändern«, »guter Sex ist nicht so wichtig wie ein stabiles Elternhaus für die Kinder« oder »eine Frau sollte sich unterordnen können und sich nicht so wichtig nehmen«.
Solche Binsenweisheiten sind hochgefährliche Lügen, mit denen Frauen sich bis zur Selbstaufgabe verbiegen können! Wenn dann noch latente Verlustängste und ein angeknackstes Selbstwertgefühl mit hineinspielen, wird's richtig ungesund, und aus scheinbar persönlichkeitsstarken Frauen werden ängstliche, anpassungswillige Gattinnen, die sich mit Variante 1 abfinden.
Eine weitere Falle: die leere Trennungsdrohung. Eine Trennung ist ein emotionaler Supergau und kein Erpressungsmittel. Werfen Sie bitte niemals aus Frust mit Formulierungen um sich wie »Wenn du nicht dies und jenes machst, dann verlasse ich dich.« Nach dem dritten Mal klingt das nur noch entwürdigend, und es tut weh. Wenn Sie gehen wollen, gehen Sie. Aber glauben Sie nicht, Ihren Partner mit dieser Drohung ändern zu können.
Noch mehr schmerzt die Erkenntnis, es von Anfang an gewusst zu haben. Es ist schwer, selbstkritisch zugeben zu müssen, dass es bereits beim Kennenlernen ein ungutes Bauchgefühl aufgrund einiger Unstimmigkeiten gab und die Ehe aufgrund »überzeugender Argumente« eingegangen wurde. Das können finanzielle Gründe sein, soziales und gesellschaftliches Statusdenken, die guten Vaterqualitäten des Mannes oder einfach Angst vor dem Alleinsein. In jedem Fall war es nicht die große, leidenschaftliche Seelenliebe, sondern eine eher rationale Entscheidung. Wenn dieser Gedanke erst einmal in seiner Klarheit und Konsequenz zu Ende gedacht wurde, bleibt nur die bewusste Entscheidung für eine Zweckehe – oder die Trennung.
Wichtig: Nicht immer ist eine Trennung auch das Ende der Ehe! In manchen Fällen kann sie als brachialer Weckruf fungieren, nach dem sich beide (!) Partner plötzlich einander wieder bewusst werden, sich festgefahrener Muster und nerviger Angewohnheiten entledigen und einen Neuanfang starten. In diesen Fällen klettert die Qualität des ehelichen Sexlebens übrigens in geradezu schwindelerregende Höhen ...
Letzter Ausweg: Trennung und loslassen
Sie haben immer wieder versucht, mit Ihrem Partner auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen? Ihnen ist bewusst, dass Ihre Lebensentwürfe nicht miteinander vereinbar sind? Es passt nicht, egal, wie Sie es drehen und wenden? Dann machen Sie sich mit diesen drei Worten vertraut: in Liebe loslassen.
Tappen Sie nicht in die Falle, Ihren Mann mit Schuldvorwürfen zu bombardieren. Er kann nichts dafür, dass Sie nicht zusammenpassen und sollte sich genausowenig verbiegen müssen wie Sie. Erweisen Sie sich gegenseitig einen letzten Liebesdienst und gestalten Sie Ihre Trennung so, dass Sie Ihren Kindern keine Alpträume bescheren. Setzen Sie deren Bedürfnisse bitte ganz oben auf die Prioritätenliste! Das heißt: keine gehässigen Streitereien vor den Kindern, keine emotionalen Erpressungen, kein Rosenkrieg. Leben Sie Ihren Kindern vor, dass Eltern, wenn sie sich trennen, nicht automatisch zu durchgeknallten Psychos werden, sondern weiterhin liebevolle, zuverlässige Bezugspersonen bleiben.
Verzeihen Sie sich!
Schuldgefühle und Schuldzuweisungen sind Gift für Ihren Seelenfrieden. Das gilt nicht nur für den Dialog mit Ihrem Noch-Ehemann, sondern auch für Sie selbst. Machen Sie sich nicht selbst fertig, weil Sie Ihre vermeintliche Bilderbuchehe als Lüge entlarvt und beendet haben. Verantwortung übernehmen, das dürfen (und sollten) Sie. Verantwortung dafür, vor vielen Jahren eine Entscheidung gegen Ihr Bauchgefühl und gegen Ihr Herz getroffen zu haben. Warum haben Sie es getan?
Drücken Sie sich nicht vor der Wahrheit, sondern betreiben Sie intensives »Soul Searching«, eventuell mit Hilfe eines Therapeuten, bis Sie die Antwort gefunden haben. Sich unbewusst oder bewusst für den falschen Mann zu entscheiden, ist keine zufällige Handlung, sondern ein Symptom für ein ungesundes Verhaltensmuster. Tut es weh, darüber nachzudenken? Gut so, dann sind Sie auf dem richtigen Weg!
Und noch etwas: Geben Sie nicht der Versuchung nach, einen etwaigen Affärenpartner oder sonstigen emotionalen »Fluchthelfer« postwendend in einen neuen Partner verwandeln zu wollen. Das geht schief. Er ist nicht verantwortlich für das Scheitern Ihrer Ehe.
Charlotte hat noch keine Entscheidung getroffen. Auf die Eingangsfrage, was sie denn wolle, antwortet sie: »Ich will das Gefühl haben, dass ich mein Leben selbst bestimme und nicht nur einer konstruierten Konformität entspreche. Und ich weiß, dass ich dieses Ziel nicht erreiche, wenn ich an dieser Ehe festhalte.«