BEICHTEN ODER SCHWEIGEN? DARAUF KOMMT ES AN

Einen One-Night-Stand beichten oder lieber verschweigen?

Angenommen, Ihr Partner oder Ihre Partnerin hatte einen ONS. Keine Affäre, auch keine neue Liebe. Nur Sex, ein einziges Mal. Würden Sie es wissen wollen?

Viele Paare befassen sich zu spät oder nie mit diesem Thema, obwohl Therapeuten immer wieder dazu raten, dies als festen Punkt auf die Beziehungsgesprächs-Tagesordnung zu setzen. Wer Vereinbarungen bezüglich dem Umgang mit einem Seitensprung trifft, der vereinfacht nicht nur die Kommunikation, sondern kann auch einem destruktiven Szenario mit Lügen, Spionieren, Türenknallen und Tränen entgegenwirken.

Zu den populärsten Spielregeln gehört das einvernehmliche Schweige-Abkommen. Es besagt: Wenn es ein unbedeutender Seitensprung war, ist es nicht nötig, den Partner durch eine Beichte zu verletzen. Was ja im Ansatz eine sinnvolle Regel ist. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass beide wirklich keine hundertprozentige Offenheit benötigen, um echtes Vertrauen in den Partner zu entwickeln. Genau hier klemmt’s oft gewaltig. Denn das Schweige-Abkommen kann unbewusst als Alibi missbraucht werden, einer ehrlichen Kommunikation aus dem Weg zu gehen.

Die nachfolgenden drei Szenarien sind nicht erfunden, sondern haben sich so ähnlich abgespielt. Sie zeigen, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit auseinander liegen können. In allen drei Fällen existierte die Vereinbarung, im Falle eines Falles auf eine Seitensprung-Beichte verzichten zu wollen. Welche Komplikationen und Pannen es dabei geben kann, stellte sich erst nachträglich heraus.

  • Panne: Der ONS kommt beim Tratsch ans Licht
  • Sarah, 29, seit vier Jahren mit dem 33jährigen Björn verheiratet, ging nach einer Party mit einem flüchtigen Bekannten ins Bett, der wiederum gerade mal wieder Streit mit seiner Freundin hatte. Der ONS ist ein halbes Jahr her. Sarah hat keinen Kontakt zu dem Mann und verliert Björn gegenüber gemäß ihrer Vereinbarung kein Sterbenswörtchen darüber. Dieser erfährt jedoch zufällig bei einem Gespräch mit der ehemaligen Lebensgefährtin des ONS von der Geschichte. Als die Frau erkennt, dass Björn vollkommen ahnungslos ist, wittert sie ihre Chance, es ihrem untreuen Mann sowie Sarah heimzuzahlen und dramatisiert die Geschichte hoffnungslos. Aus dem One-Night-Stand wird in ihrer Schilderung eine Langzeit-Affäre, von der angeblich alle Freunde wussten. Björn versteht die Welt nicht mehr. Er vertraut Sarah, doch die Schilderungen der Frau klingen erschreckend plausibel.

    Im klärenden Gespräch mit Sarah stellt sich dann zwar heraus, dass die Darstellung glatt gelogen war und es sich tatsächlich nur um einen harmlosen One-Night-Stand handelte. Doch Björn fühlt sich noch immer merkwürdig, spürt einen ganz neuen Argwohn seiner Frau gegenüber. Sarah wiederum fühlt sich von Björn unverstanden. Sie hat sich an die Vereinbarung gehalten und sieht sich nun zu Unrecht mit Misstrauen und Vorwürfen konfrontiert. Wäre die Situation anders verlaufen, wenn Sarah den ONS gleich gebeichtet hätte?

  • Panne: Der ONS als Indiz für verdrängte Bedürfnisse
  • Der 39jährige Michael ist seit 10 Jahren mit seiner gleichaltrigen Freundin Christiane liiert. Nach einem alkoholbedingten Absturz inklusive rauschender Sexnacht mit einer Sexbekanntschaft plagen ihn Schuldgefühle, und zwar gleich doppelt. Bei dem ONS trat etwas zutage, womit er selbst gar nicht gerechnet hatte: Der Sex war genau so, wie er ihn mit Christiane gerne hätte, aber leider nicht hat. Michael muss sich eingestehen, dass ihm in der Beziehung etwas fehlt. Doch wie soll er das heikle Thema anschneiden? Den einmaligen One-Night-Stand verheimlichen und »aus dem Nichts« ein Gespräch über Sex beginnen? Oder das Schweige-Abkommen brechen? Michael ist unschlüssig und unternimmt nichts, fühlt sich immer mieser. Nach vier Wochen sprudelt das Geständnis schließlich aus ihm heraus. Er überfällt Christiane im ungünstigsten Moment damit, woraufhin sie ausrastet und sich in die Enge getrieben fühlt. Klar, denn Michael offenbart ja nicht nur einen ONS, sondern koffert ihr auch ohne jedes Feingefühl seine Unzufriedenheit, seine Wünsche und Defizite vor die Füße. Eine verfahrene Situation, die mit Aggression aufgeladen ist. Ist das Schweige-Abkommen schuld daran, dass auch Gespräche über sexuelle Bedürfnisse tabu waren? Wäre es klüger gewesen, den ONS und das Beziehungsgespräch auseinander zu halten?

  • Panne: Der One-Night-Stand wird aufdringlich
  • Katja und Heiko, beide 34, führen eine quasi-monogame Beziehung. Das heißt, falls einer von beiden sich zu einem ONS hinreißen lässt, gilt das nicht als Betrug und sollte nicht unnötig thematisiert werden. Alles, was darüber hinausgeht, gehört allerdings zeitnah auf den Tisch. Seit 5 Jahren fahren die beiden gut mit dieser Strategie und sind glücklich. Katja hatte während dieser Beziehung einen ONS, Heiko zwei. Während sein erster folgenlos blieb, gerät der zweite zum Fiasko. Die deutlich jüngere Frau, der er bei einer Motorradtour während einer Nacht unter freiem Himmel näher kam, will sich nicht damit abfinden, ein ONS gewesen zu ein. Sie ruft ständig bei Katja und Heiko an, schreibt E-Mails und erklärt, sich in Heiko verliebt zu haben, will ihn zum Absprung aus seiner »unglücklichen Beziehung« überreden. Dabei bezieht sie sich auf private Details der Beziehung, die eigentlich niemand wissen kann. Sie behauptet sogar, schwanger von Heiko zu sein. Dann wieder schickt sie SMS und droht damit, ihn wegen Vergewaltigung anzuzeigen.

    Natürlich spricht Heiko sofort mit Katja und zeigt ihr die gesamte Korrespondenz. Katja ist stinksauer. Nicht weil er einen ONS hatte, sondern weil sie ihm eine Mitschuld am Verhalten der anderen Frau gibt. Hat Heiko ihr wirklich klargemacht, dass es nur ein ONS sein sollte oder war es doch mehr? Gab er den charmanten, gefühlvollen Lover und machte ihr Hoffnungen auf eine Beziehung? Wie kommt eine Fremde dazu, sich über Heikos Beziehung mit Katja zu äußern? Gab es womöglich doch längeren Kontakt und vertrauliche Gespräche? Ist sie nun schwanger oder nicht? Fand der ONS etwa ohne Kondom statt?

In allen drei Fällen werden Paare mit der Tatsache konfrontiert, das nicht der ONS, sondern die Begleitumstände das eigentliche Problem darstellen. Was tun? Das Thema totschweigen und weitermachen, als sei nichts geschehen? Verdrängen? Oder neue Spielregeln aufstellen? Betrachten wir uns zunächst, was allen Fällen gemeinsam ist: Alle drei Paare sind unbewusst in die berühmte Bausatz-Falle getappt.

Die Bausatz-Falle: Wegblenden, was schwierig werden könnte

»Fremdgehen? Mein Mann? Nie im Leben, das ist ein ganz Lieber. Und wenn, dann würde ich es sowieso nicht wissen wollen.« So oder so ähnlich äußern sich viele Frauen und Männer, die das Thema Seitensprung am liebsten aus ihrem Wahrnehmungsbereich löschen würden. Sie degradieren die Persönlichkeit ihres Partners oder ihrer Partnerin zum Bausatz, aus dem schwierige Teile einfach getilgt werden. Was nicht nur respektlos, sondern auch äußerst ungesund ist. Niemand möchte immer ein »ganz Lieber« sein müssen. Oder eine treue, anschmiegsame Ehefrau und Mutter. Oder eine gleichmäßig gut gelaunte Freundin. Oder ein ausgeglichener, verlässlicher Ernährer und Kindsvater. Weil der damit verbundene Leistungsdruck unerträglich ist. Durch das Schweige-Abkommen wird hier gleichzeitig eine authentische Kommunikation unterdrückt.

Was, wenn der Mann einmal kein »ganz Lieber« war und auch nicht mehr sein möchte? Er hat kaum eine Chance, sich zu artikulieren, so lange sich seine Partnerin kategorisch weigert, ihn sehen zu wollen, wie er ist und nicht, wie sie ihn gerne hätte. Sie verdrängt seine Persönlichkeitsanteile, die nicht in ihr Weltbild passen. Hier bedeutet das Schweige-Abkommen genau das Gegenteil von Vertrauen, es ist vielmehr von Angst und Egoismus geprägt. »Sag es mir nicht, denn es darf ja sowieso nicht sein.« Doch, darf es, denn es ist nun einmal menschlich!

Kommt in einer solchen Konstellation ein One-Night-Stand ans Licht, besitzt er viel mehr Brisanz als bei einer offenen Kommunikation. Weil es nicht um Sex geht, sondern um eine daran geknüpfte Botschaft: »So, nun bin ich fremdgegangen, schau hin, nimm mich wahr!« Es kann sogar passieren, dass der Fremdgänger seinen einmaligen Seitensprung als Befreiungsschlag erlebt. Er möchte nicht länger »ein ganz Lieber« sein, sondern als Ganzes wahrgenommen zu werden.

Vertrauen vs. Vogel-Strauß-Politik

  • Im Falle Katja und Heiko scheint auf den ersten Blick nur die hysterische Sexpartnerin für die Krise verantwortlich zu sein. Doch wenn wir genauer hinschauen, zeigt sich, dass die beiden nicht halb so souverän mit dem Thema umgehen, wie sie es vielleicht gerne würden. Katja traut ihrem Partner zu, eine heimliche Affäre mit einer anderen Frau zu führen. Ihr Vertrauen in Heiko ist nicht stabil, sondern beginnt bei einer Belastungsprobe zu krümeln. Heiko wiederum drückt sich davor, die ONS-Partnerin klar zurückzuweisen, sondern lässt zu, dass diese sich im Beziehungsalltag breitmacht. Hier wäre mehr Konsequenz angebracht. Im Grunde hat die ausrastende ONS-Partnerin den beiden einen Gefallen getan, denn andernfalls wären diese Themen wohl nicht auf die Tagesordnung gekommen.
  • Der Fall Sarah und Björn wirkt zwar kniffliger, ist aber leicht aufzulösen. Auch hier spielen Ängste mit hinein, vor allem bei Björn. Ganz profan gesagt, er ist auf seine eigene Coolness hereingefallen. Björn möchte im Grunde seines Herzens lieber Gewissheit und Offenheit statt Rätselraten, um sein Vertrauen wieder aufbauen zu können.
  • Schwieriger ist der Fall von Christiane und Michael. Unterdrückte Bedürfnisse zu tabuisieren, weil sie durch einen ONS an ein Schweige-Abkommen gekoppelt sind, ist gefährlich für eine Langzeitbeziehung. Hier spielen Feigheit und Angst die tragenden Rollen. Angst vor Veränderung auf beiden Seiten, und die Feigheit, sich selbst wirklich kennenlernen zu wollen – und im Gegenzug auch den Partner. Beide verstecken sich hinter einer scheinbaren Spielregel, die nur dazu dient, tiefergehende Probleme gleich mit totzuschweigen.

Wie kommen Sie als Betrogener aus dem Dilemma?

Der ONS ist ausdiskutiert, aufgeklärt, und nun haben Sie beide beschlossen, ihn zu den Akten zu packen. Wenn da nicht diese bohrende Unruhe wäre. Was, wenn es kein ONS war, sondern eine heimliche Affäre? Welche Liebestechniken kamen dabei zum Einsatz? War es mit ihm/ihr geiler als mit mir? Und die schlimmste aller Fragen: Geht die Affäre weiter? Wird er/sie es wieder tun? Stellen Sie das Kopfkino ab. Sofort! Hier müssen Sie eine Entscheidung treffen. Vertrauen Sie Ihrem Partner oder lassen Sie es. Ein bisschen Vertrauen und ein bisschen Verdrängen geht nicht. Sie müssen sich selbst gegenüber so ehrlich sein und sich fragen, ob Sie Ihrem Partner künftig wieder vertrauen wollen – oder vielleicht doch neue Spielregeln vereinbaren.

Es gilt: Keine Regel ohne Ausnahme. Versklaven Sie sich nicht mit Absprachen, die Sie vielleicht vor Jahren einmal getroffen haben, sondern hinterfragen Sie diese ab und zu. Menschen ändern sich, entwickeln sich weiter. Was bis gestern prima funktioniert hat, kann sich heute falsch anfühlen.

Wichtig: Hilfe annehmen ist keine Schande!

Falls Sie sich mit der Situation überfordert fühlen und nicht wissen, wie Sie das Chaos aus Unsicherheit, Vorwürfen, Verletzungen und Fragen entwirren sollen, suchen Sie sich therapeutische Hilfe. Beziehungspsychologen sind spezialisiert auf diese Art Konfliktlösung. Vielleicht ist »ich will es nicht wissen« nichts für Sie? Weil Sie mit der Ungewissheit nicht leben können oder wollen? Vielleicht hat sich auch Ihre Einstellung zu Sex und Liebe mit der Zeit verändert? Gerade bei Untreue in Langzeitbeziehungen, in denen einer oder beide das Gefühl haben, nicht mehr zum Partner durchzudringen, kann ein Paartherapeut genau das Richtige sein. Patentrezepte werden Sie von ihm natürlich keine bekommen. Aber durch professionell moderierte Streitgespräche und Rollenspiele lassen sich fast alle Konflikte entdramatisieren und klären.

Einziger Haken: Paartherapien werden nur in Ausnahmefällen von Krankenkassen bezahlt. Doch das sollte kein Hinderungsgrund sein. Sehen Sie es als Investition in Ihre Beziehung. Ihre Liebe ist keine statische Angelegenheit, sondern verändert sich mit jedem gemeinsamen Tag. Sehen Sie das nicht als Unsicherheitsfaktor, sondern als Chance, sich ebenfalls weiterzuentwickeln und gegenseitig immer besser kennenzulernen!