Langzeitaffären: Von der Treue in der Untreue
Hätten Sie das gedacht: Die meisten Affären sind alles andere als ein One-Night-Stand, 50 Prozent der Affären dauern mehr als ein Jahr. Bleiben Fremdgeher heutzutage ihrer Affäre gerne treu? Und kann man so etwas wie Treue in einer Affäre fordern, wenn man selbst untreu ist?
Sandra (36) ist verheiratet und geht fremd. Seit 2 Jahren hat sie eine Langzeitaffäre mit ein und demselben Liebhaber. Das Absurde dabei: Sandra geht Ihrem Mann fremd – aber von ihrer Langzeitaffäre fordert sie Treue ein. Ihr Geliebter ist derzeit solo und berichtet ab und an von Damenkontakten – worauf Sandra sehr angefasst reagiert: Der spinnt doch, mich zu betrügen!
Wie paradox ist das denn: Sandra ist selbst ihrem Ehemann untreu und klagt Treue bei ihrer Affäre ein – ist das legitim oder setzt das dem Moralverstoß noch zusätzlich die Krone auf?
Viele Seitensprünge sind Langzeitaffären
Wer sich so etwas wie Treue von seinem Fremdgeh-Partner wünscht, hat eher eine längere Affäre. Denn bei einem einmaligen One-Night-Stand ist die Sache üblicherweise rum, bevor man sich Gedanken über Treueerwartungen machen kann. Viele Seitensprünge sind längere Angelegenheiten, das belegt etwa eine Umfrage der Seitensprung-Fibel unter 1.224 Webseitenbesuchern.
- Bei nur 11 Prozent der Fremdgeher dauert die Affäre nur ein paar Wochen.
- Bei 33 Prozent lief die Sache ein paar Monate.
- Für 50 Prozent dauerte die Affäre mehr als ein Jahr, wovon sieben Prozent sogar mehr als fünf und vier Prozent mehr als zehn Jahre.
Einmal ist keinmal – Faktor X bei Affären
Der Sex war großartig, die Chemie hat gestimmt, das Arrangement war relaxed: Was spricht eigentlich dagegen, es wieder zu tun? Wenn ein Seitensprung sich als Volltreffer entpuppt, ist das für manche Menschen Grund genug, nicht gleich den nächsten anzupeilen, sondern vielleicht erst mal zu schauen, was bei dem aktuellen noch so drin ist. Manche Faktoren spielen sicherlich eine Rolle dafür, dass Fremdgeher ihrer Affäre erstmal treu bleiben:
Der Sexfaktor: Sexueller Frust ist einer der Hauptgründe für Untreue, das belegen Umfragen. Wer fremdgeht, sucht oftmals endlich wieder richtig guten Sex. Wenn Sie beim ersten Fremdgehdate voll auf Ihre Kosten kommen und mit dem anderen erotisch auf einer Wellenlänge schwimmen, macht das verständlicherweise Lust auf mehr. Zumal guter Sex mit ein bisschen Übung geradezu phänomenal werden kann. Darum kann ein einmalig schönes Erlebnis durchaus in eine Langzeitaffäre münden.
Der Gefühlsfaktor: Bei einem heimlichen Treffen gewinnen Sie einen ersten Eindruck, bei wiederholten Verabredungen lernen Sie Ihren Fremdgehpartner ein bisschen besser kennen. Sie plaudern zwischendurch und erfahren mehr übereinander. Wird die heimliche Liebschaft zur vorübergehenden Dauereinrichtung, sind Gefühle vorprogrammiert. Sie mögen den anderen dann vielleicht mehr, als Ihnen eigentlich lieb ist. Und dann hängen Sie unter Umständen in der Sache drin, was ein abruptes Affärenende unwahrscheinlicher macht.
Der Bindungsfaktor: Regelmäßige Treffen, konspirative SMS-Botschaften, Geheimhaltungsabmachungen – das verbindet ungemein. Heimliche Affären machen die Beteiligten zu Komplizen – denn nur sie wissen um die ungehörige Liebschaft. Hinzu kommt die Gewohnheit, allmählich schleicht sich auch in Affären Routine ein: Lieblingstreffpunkte, das Gläschen Sekt zum Einstimmen, die roten Dessous zum Scharfmachen. Wer sich öfter trifft, geht irgendwie eine Verbindung zum anderen ein. Und das kann dann auch länger dauern, als ursprünglich geplant.
Der Gut-tu-Faktor: Der Seitensprung hat Ihnen so richtig gut getan. Es war der lang ersehnte Kick fürs Ego, Sie fühlen sich endlich wieder richtig attraktiv und begehrenswert. Klar, das wollen Sie wieder haben. Wer Ihnen so schöne Gefühle beschert, ist durchaus eine längere Affärenfortsetzung wert.
Der Bequemlichkeitsfaktor: Das erste Mal hat in vielerlei Hinsicht gut hingehauen, das zweite Mal war ebenso unkompliziert – vielleicht ist das eine runde Sache, auch auf Dauer. Haben Sie offline oder auch online auf Seitensprung-Portalen jemanden kennengelernt, der ganz Ihren Vorstellungen entspricht, kann sich daraus das Bedürfnis entwickeln, aus dem Seitensprung eine längere Affäre werden zu lassen und sich erneuten Suchstress erstmal zu ersparen.
In der Affäre treu bleiben: Untreu treu sein?
Viele Menschen bleiben also ihrer Affäre sozusagen treu, indem sie über einen längeren Zeitraum mit ein und derselben Person fremdgehen. Und manche bleiben – so absurd das auch klingen mag – in der Affäre treu. Wie geht denn das: Wer fremdgeht, hat grundsätzlich doch schon sein Statement gegen die Treue abgegeben, wie kann er oder sie in der Außenbeziehung so etwas wie Treue erwarten?
Die meisten Menschen verstehen unter Treue emotionale und sexuelle Ausschließlichkeit. Andere gewähren sich in der Partnerschaft ein- oder auch gegenseitig sexuelle Freiheiten, ohne die eigentliche Beziehung in Frage zu stellen. Das ist aber noch eher die Ausnahme, die meisten Menschen wollen einen Partner für sich ganz alleine.
Kein Wunder, schließlich leben wir in Zeiten der seriellen Monogamie, wie uns etwa Oliver Schott in Lob der offenen Beziehung vor Augen führt. Für uns sei es völlig in Ordnung, wenn nicht gar erwünscht, mehrere Beziehungen zu haben – aber nur nacheinander, nicht gleichzeitig. Mehrere sexuelle Verbindungen zur gleichen Zeit zu haben, verbietet uns nicht nur der gute Geschmack, sondern auch das Monogamiemonopol, meint Schott. Wir haben das Bedürfnis, unsere Beziehungen und Gefühle in eine Art Rangordnung zu bringen, und uns zwischen Partnern zu entscheiden, anstatt mehrere, gleichberechtigte Beziehungen nebeneinander zu haben – etwa als offenes Liebeskonzept. Das ermöglicht beispielsweise eine andere Sichtweise von Treue: nämlich nicht im Sinn von verbietender Ausschließlichkeit, sondern eher als bekennende Hinwendung.
Wer fremdgeht, hat sich zwar theoretisch irgendwie gegen Treue entschieden. Das schließt aber nicht den Wunsch danach aus, in der Affäre auch eine gewisse Verbindlichkeit zu (er-)leben. Etwa eben, wenn man nicht Verfechter einer rigiden Treueauffasssung ist, sondern sich zugesteht, frei zu entscheiden, wann man wie wem in welcher Form treu ist.
Ansprüche und Forderungen
Hat sich eine Affäre erst einmal etabliert, geht das oft auch los mit den Ansprüchen. Was dem Liebesarrangement ja eigentlich widerspricht. Dr. Wolfgang Schmidbauer etwa schreibt in Die heimliche Liebe, eine Affäre sei normalerweise frei von äußeren Zwängen, diene größtenteils der Lustbefriedigung und habe alles, was die Kernbeziehung eben nicht mehr biete. In der fehlt zwar Allerhand, aber Treueforderungen gibt es hier oft genügend. Wieso sollte man sich sowas auch in einer Affäre einhandeln?
Das kommt ganz automatisch, meinen Paartherapeuten. Wo zwei Menschen eine Beziehung eingehen, entsteht eine Bindung, die anderes nach sich zieht. Wenn die Affäre etwa zur dauerhaften Nische wird, in der sich beide Fremdgeher gemütlich einrichten, erklärt Ulrich Clement in Wenn Liebe fremdgeht. Dann ergeben sich auch Forderungen: Wann kommst du? Wieso hast Du nur so wenig Zeit? Du könntest Dich ruhig mal öfter melden! Ansprüche, die man üblicherweise in monogamen Beziehungen stellt, können auch in Langzeitaffären Einzug halten. Überhaupt kann es sein, dass man trotz aller Unverbindlichkeit Gefühle entwickelt, die Treuewünsche hervorrufen: Man möchte auch die heimliche Affäre ganz für sich alleine haben und nicht mit anderen teilen.
Die Sache mit der sexuellen Exklusivität in Langzeitaffären
Noch mal zurück zur eingangs erwähnten Sandra: Sie geht manchmal noch mit ihrem Mann ins Bett, um den Schein zu wahren und ihn nicht misstrauisch zu machen. Von ihrer Langzeitaffäre aber erwartet sie monogames Verhalten: Er kann ja Ausschau halten, soll aber keine anderen sexuellen Kontakte haben.
Wenn man doch selbst untreu ist, darf man dann von seiner Affäre sexuelle Treue überhaupt verlangen? Dass man es tut, ist nachvollziehbar. Man selbst hält immer die eigene Situation für ausschlaggebend: Sandra etwa kann ihre Untreue vor sich selbst rechtfertigen mit sexuellem Dauerfrust und Beziehungsburnout. Wäre all das nicht, dann könnte sie grundsätzlich auch treu sein – wie in der Affäre, die so ganz anders ist als ihre Partnerschaft. Die Affäre macht Sandra glücklich, darum pocht sie hier auf Ausschließlichkeit, so absurd das auch klingen mag.
Für manche Fremdgeher ist das logisch: Auch in der Affäre möchten sie irgendwie the-one-and-only bleiben. Sex kann auch beim Fremdgehen ein Intensitätsindikator sein oder als solcher gewertet werden. In Partnerschaften gilt für viele Experten Intimität als Gradmesser für den Zustand der Beziehung. So sieht etwa Andrea Bräu, Autorin von Es war doch nur Sex, Sexualität als wichtigen Bestandteil einer gut funktionierenden Beziehung. Wird Sex beim Fremdgehen ausgelagert, entsteht auch in der Affäre eine intime Nähe, die mit entsprechenden Erwartungen verbunden sein kann, wie etwa dem Wunsch, dass der andere während der Affäre nicht weitere Seitensprünge unternimmt.
Also?!
Untreu werden, aber längere Zeit nur mit einer Affäre, dem Fremdgehpartner Treue abverlangen, oder mehrgleisig fahren mit Beziehung, Affäre und Seitensprung – ob und was okay und befriedigend ist, müssen Sie selbst entscheiden.
Tatsache ist, dass es viele Menschen, die erotische Affärenabenteuer suchen, auf Abwechslung abgesehen haben und dementsprechend offen gegenüber weiteren Versuchungen sind. Und das ist ja auch Sinn der Sache: Die Affäre soll normalerweise ein Gegenentwurf zu einer Beziehung mit all ihren Pflichten und Rechten sein – auch in Bezug auf unsere herkömmlichen Treuevorstellungen. Auch wenn sich manch eine Affäre auf Beziehungsniveau einpendelt, bleibt das mit der Treue eine heikle Sache. Schließlich wissen Sie spätestens mit Beginn Ihres Fremdgangs, wie schnell sich das mit der Treue haben kann...