Liebe auf den ersten Blick: (k)ein Mythos!
Es ist eines der intensivsten Gefühle, zu denen wir fähig sind: diese unwiderstehliche Anziehung zwischen zwei Menschen, die sich zum ersten Mal begegnen. Der erste Eindruck als überwältigendes Zusammenspiel vieler Details. Gesichtsausdruck, Geruch, Körpersprache, Haltung, Augen, Lächeln, Hände, das erste Wort ...
Einen Moment später ist da dieses Glücksgefühl, das einen von den Füßen reißt. Eine fast magische Übereinstimmung mit einem völlig fremden Menschen. Was ist das, was wir da fühlen? Kann das wirklich Liebe sein?
Ein gewichtiges Argument spricht dagegen: Liebe kommt nicht per Sturzgeburt zur Welt, sondern muss langsam wachsen, ganz langsam. Im Miteinander, durch gelebtes Leben, gemeinsamen Alltag. Natürlich stimmt das grundsätzlich.
Doch erstens kommt der Begriff »langsam« im Wortschatz verliebter Paare nicht vor. Und zweitens bestätigen viele glückliche »auf den ersten Blick«-Paare, dass gerade diese wunderschöne, sekundenschnell entstandene Mischung aus gemeinsamem Wohlfühlen, sexueller Anziehung und Neugier die Basis für eine echte, ewige Liebe war. Diese Liebe muss also bereits zu Beginn im Ansatz vorhanden gewesen sein!
Alles Unsinn, sagt die Wissenschaft
Forscher verschiedener Disziplinen scheinen wild entschlossen, diesen Zauber bis ins Detail zu analysieren und gegenzubeweisen. So auch in einer neuen Studie des Labors für Gesichtsstudien an der University of Aberdeen, deren Ergebnisse jetzt in der englischen Zeitung »The Guardian« veröffentlicht wurden. Laut dieser Studie ist eine spontane, heftige Zuneigung zu einem anderen Menschen gar kein echtes Gefühl, sondern lediglich ein narzisstischer Spiegel der eigenen Sehnsüchte und Präferenzen. Eine Egokiste, bei der es um Sex und Bestätigung geht. Autsch. Also nichts mit magischer Übereinstimmung?
Wenigstens die letzte Bastion der Romantiker konnte auch diese Studie nicht zerstören: den Zauber des »Augen-Blicks«. So entscheidet laut Aussage der britischen Forscher nicht, wie bisher angenommen, eine Symmetrie des Gesichts über Attraktivität, sondern ein intensiver, offener Blickkontakt. Dr. Ben Jones, verantwortlich für die Studie: »Wir haben herausgefunden, dass Menschen direkten Blickkontakt höher bewerten als einen abwesenden Gesichtsausdruck.« Zum Beweis sollten Probanden die Attraktivität von Personen auf verschiedenen Portraitfotos bewerten. Diejenigen, die direkt in die Kamera schauten, schnitten durchweg am besten ab – unabhängig von Gesichtsform, Haarfarbe und anderen körperlichen Merkmalen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie der Max-Planck-Gesellschaft. Wichtig sei allerdings, dass der Blickkontakt mindestens 30 Sekunden andauert. Auch stellte sich heraus, dass Frauen diesen berühmten »tiefen Blick« deutlich häufiger riskieren als Männer.
Ob sich die Forscher da nicht verrechnet haben? Romantiker und Nicht-Wissenschaftler hegen zu Recht Zweifel an dieser Behauptung. Tragen Sie eine Uhr mit Sekundenzeiger? Jemanden eine halbe Minute anzuschauen, wirkt im Abspann eines Films dramatisch, aber im Alltag eher bedrohlich als erotisch. Ganz ehrlich: Sind nicht diese kleinen, schüchternen Blicke inklusive Rotwerden und verlegen zur Seite schauen viel sympathischer und intimer als so ein offensives Anstarren?
Pheromone: Wenn man sich gut riechen kann
Natürlich haben wir alle schon von der sagenhaften Wirkung jener körpereigenen Lockstoffe gehört, die für spontane sexuelle Anziehung sorgen sollen. Pheromone sind Botenstoffe zur biochemischen Kommunikation zwischen Lebewesen. Bei Insekten dienen sie dazu, potenzielle Geschlechtspartner zu finden. Welche Pheromone im menschlichen Körper gebildet werden, und was sie bewirken, darüber gibt es zwar meterweise Literatur, aber kaum gesicherte praktische Erkenntnisse.
Die Behauptung, dass zwei Menschen allein aufgrund ihrer Pheromon-Zusammensetzung spontan den Drang verspüren, übereinander herzufallen, ist eine populäre These, die bis heute kein einziges Mal schlüssig bewiesen werden konnte. Eine gut promotete allerdings, denn die Kosmetikindustrie ist bereits auf den Zug aufgesprungen. In sündhaft teuren, angeblich erotisierenden Parfums befinden sich synthetisch nachgebaute Sexual-Lockstoffe. Ob’s wirkt?
Als gesichert gilt die Erkenntnis, dass unsere Geruchs-Signalstoffe die Partnerwahl zur Familiengründung steuern. Hier helfen Pheromone dabei, dass wir uns unbewusst für einen Partner entscheiden, der keinesfalls direkt mit uns verwandt ist, bzw. es wird umgekehrt verhindert, dass wir uns zu Verwandten sexuell hingezogen fühlen. Theoretisch jedenfalls. Auch diese Schlussfolgerung kann aber in letzter Konsequenz nicht stimmen, sonst würden sich ja nicht immer wieder Blutsverwandte ineinander verlieben.
Und noch etwas spricht gegen die Diktatur der allmächtigen Botenstoffe: die Liebe auf den ersten Blick per Internet! Jeder, der sich schon einmal via Telefon oder Chat spontan verliebt hat, weiß genau, welchen Gefühlsaufruhr ein Profilfoto und ein paar Worte auslösen können. Innerhalb kürzester Zeit entsteht aus heiterem Himmel das Empfinden von Liebe, von Zusammengehören. Und das, obwohl beide Beteiligte sich noch nie begegnet sind! Auch wenn hier auf beiden Seiten viel Projektion dabei ist: So eine Verbindung kann sich ungeheuer erotisch, innig und sinnlich anfühlen.
Es muss also noch andere Gründe für die blitzartige Anziehung zwischen zwei Menschen geben als wissenschaftlich erklärbare Körperchemie oder narzisstische Spiegel-Mechanismen.
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