Mathias Fischedick im Interview
»Ein Versuch, Bindung und Freiheit unter einen Hut zu bringen, sind offene Beziehungen«
Ein Interview mit Mentalcoach Mathias Fischedick
Sich verlieben ist für viele Menschen eine der leichtesten Übungen. Schwierig wird es oft erst, wenn es um Beziehungen geht. Aber so geht es uns mit vielen Dingen im Leben: Irgendwann wird’s kompliziert. Und dann meldet er sich zu Wort, der Jammerlappen in uns allen. Der redet uns dann nämlich gerne ein, dass wir ohnehin nichts ändern können, der Unzufriedenheit machtlos gegenüberstehen und im Zweifelsfall einfach die anderen schuld sind.
Genau das hält uns der Mentalcoach Mathias Fischedick in seinem Buch Wer es leichter nimmt, hat es leichter – Wie wir endlich aufhören uns selbst im Weg zu stehen vor Augen. Aber er lässt uns mit einer Analyse unserer fragwürdigen Praktiken, uns das Leben so mühselig wie möglich zu machen, nicht allein. Er zeigt auch, wie wir uns mit einfachen Methoden aus der Negativspirale befreien können und liefert ganz praktische mentale Strategien für ein glücklicheres Leben.
Uns hat natürlich brennend interessiert, ob das auch auf Liebe, Beziehungen und Fremdgehen zutrifft. Was macht die Sache so kompliziert? Und können wir uns hier das Leben leichter machen? Wir haben mit dem Autor darüber gesprochen.
Interview geführt am 09.07.2014
Die Seitensprung-Fibel: Lieber Herr Fischedick, ich habe heute ein paar Tipps aus Ihrem Buch befolgt und mich in der Kantine mal an einen anderen Platz gesetzt, mit dem Kopf am Fußende meines Bettes geschlafen und zwei unterschiedliche Socken getragen – macht das mein Liebesleben jetzt glücklicher?
Mathias Fischedick: Das kommt auf Ihre sexuellen Vorlieben an. (lacht) Im Ernst: Sie spielen mit der Frage auf die »Flexis« an, die in meinem neuen Buch zu finden sind. Dabei handelt es sich um ganz einfache Aufgaben, um sich selbst aus dem Alltagstrott zu holen, in dem wir uns von Gewohnheiten leiten lassen und dadurch oft spannende Dinge übersehen.
Gewohnheiten sind Segen und Fluch zugleich. Zum einen machen Sie uns das Leben leichter, da sie unbewusst ablaufen und dadurch nur wenig Energie kosten. Zum anderen sorgen Gewohnheiten dadurch, dass sie unbewusst ablaufen, dafür, dass wir »mit offenen Augen schlafen«.
Wenn wir lange denselben Partner haben, wird dieser zur Gewohnheit, wir schauen nicht mehr richtig hin und übersehen, was für einen tollen Menschen wir an unserer Seite haben, in den wir ja auch mal schwer verliebt waren. Es reicht oft schon, eine Kleinigkeit anders zu machen, um den Menschen an seiner Seite wieder bewusster wahrzunehmen.
Es könnte schon reichen, einmal auf der anderen Seite des Bettes zu schlafen, beim Sex das Licht anzulassen, wenn es sonst aus ist – oder andersherum. Vielleicht tragen Sie mal im Bett verschiedenfarbige Socken oder sprechen sich mit den Namen ihrer Lieblingsschauspieler an. Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf.
Die Seitensprung-Fibel: Die meisten Menschen halten eine Beziehung für das größte Glück. Warum geben wir unserem Liebesleben so ein immenses Gewicht?
Mathias Fischedick: Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir suchen die Bindung. Auf der anderen Seite streben wir nach Freiheit und möchten uns selbst verwirklichen. Am liebsten hätten wir beides gleichzeitig: Eine stabile Beziehung und alle Freiheiten, die wir uns wünschen. Leider geht das nicht immer so einfach und wir müssen uns entscheiden, welchen Preis wir zahlen möchten: Verzichten wir auf den Seitensprung, um unsere Beziehung nicht zu gefährden. Oder ist es uns der Seitensprung wert, dass unsere Partnerschaft in die Brüche geht?
Ein Versuch, Bindung und Freiheit unter einen Hut zu bringen, sind offene Beziehungen. In manchen Fällen klappt das auch, allerdings nur, wenn dieses Modell wirklich vom Partner mitgetragen wird.
Die Seitensprung-Fibel: Jede dritte Ehe wird geschieden, jeder Zweite geht in einer festen Beziehung mal fremd. Wieso fallen uns gerade langfristige Partnerschaften so schwer?
Mathias Fischedick: Eine meiner Thesen ist »Wir leben mit einem steinzeitlichen Gehirn in einer modernen Welt«. In der harten Urzeit war es unter anderem eine sinnvolle Strategie, dass die Männer ihr Erbgut an viele Frauen weitergegeben haben, um möglichst viele Nachkommen zu zeugen, denn nicht jedes Kind überlebte.
Genau diesen Urtrieb haben wir Männer heute noch, auch wenn wir gar keine Kinder haben wollen und die moderne Medizin dafür sorgt, dass die Sterblichkeitsrate von Säuglingen im Vergleich zur Steinzeit drastisch gesunken ist. Die Natur hat es schon ganz schlau eingefädelt, dass Nachkommen zu zeugen soviel Spaß macht. Und wir wollen gerne Spaß haben – allerdings ohne Nachwuchs. Und so suchen wir Männer »von Natur aus« die Nähe zu anderen Frauen für ein unverbindliches Abenteuer.
Die Seitensprung-Fibel: Wie können wir das dauerhafte Zusammenleben leichter gestalten?
Mathias Fischedick: Das Wichtigste in meinen Augen ist das Bewusstsein, dass wir stark von Gewohnheiten gesteuert werden. Alles, was wir aus Gewohnheit tun, nehmen wir als nichts Besonderes mehr wahr. Wenn wir jeden Tag Kaviar essen und Champagner trinken, wird uns das auch irgendwann langweilig. Genauso ist es in Beziehungen, wenn jeder Tag gleich abläuft, dann wird unser Partner für uns zur langweiligen Gewohnheit.
Sorgen Sie aktiv dafür, dass das Zusammenleben abwechslungsreich wird ... nicht nur auf sexueller Ebene. Fangen Sie gemeinsam ein neues Hobby an, machen Sie Kurztripps in andere Städte, gehen Sie auf ein Konzert etc. Wenn wir etwas tun, was uns begeistert, dann übertragen wir dieses Gefühl auch auf die Person, die in diesem Moment bei uns ist. Deshalb ist es auch ein Geheimtipp, mit einem neuen Schwarm Achterbahn zu fahren. Die Fahrt sorgt für ordentlich Adrenalin im Blut und unbewusst verbindet die neue Flamme dieses Gefühl der Aufregung mit uns. Dadurch werden wir als »aufregend und interessant« bewertet und unsere Chancen steigen, dass die oder der andere mehr von uns will.
Die Seitensprung-Fibel: Seitensprünge sind weit verbreitet – können wir Liebesbetrug eigentlich leicht nehmen?
Mathias Fischedick: Wenn es heimlich geschieht, also Betrug ist, dann denke ich nicht, dass irgendjemand es wirklich leicht nehmen kann. Es ist ein Vertrauensbruch, und Vertrauen ist in meinen Augen die wichtigste Grundlage einer Beziehung.
Die Seitensprung-Fibel: »Ich kann ja eh nix ändern!« ist Ihnen zufolge eine beliebte Ausrede dafür, dass man im eigenen Unglück verharrt. Gilt das auch für Beziehungen?
Mathias Fischedick: Das ist einer der typischen Gedanken, wenn wir uns machtlos fühlen. Bei unglücklichen Beziehungen sagt die innere Stimme dann sowas wie »Wer will mich in meinem Alter denn noch, da bleib ich lieber bei dem, was ich hab.« oder »Ich find ja eh keinen anderen.«
Mit diesen Gedanken schränken wir uns aber nur selbst ein. Wir selbst haben es in der Hand, ob wir uns als Opfer sehen und die Dinge ertragen, oder ob wir unser Leben in die Hand nehmen. Im Rahmen einer Beziehung könnte das entweder heißen, aktiv zu werden, sich selbst wieder attraktiver für den Partner zu machen, wieder spannende Dinge miteinander zu erleben.
Oder, wenn das alles nichts hilft oder Sie den Partner wirklich nicht mehr wollen, sich zu trennen. Wie immer im Leben haben wir nur drei Möglichkeiten: Love it, Change it or Leave it. Bei allen drei Varianten sitzen wir am Steuer, wenn wir »jammern und klagen« geben wir die Verantwortung ab und gefallen uns in der Opferrolle.
Die Seitensprung-Fibel: Sie empfehlen in Ihrem Buch, mal bewusst einen Tag lang sich immer »warum eigentlich nicht?« zu fragen, wenn man eigentlich »nein«denkt und dann danach zu handeln. Wenn ich also gerne eine Affäre hätte, mir diese aber immer verbiete, sollte ich es dann vielleicht mal ausprobieren, um meine Glücksflexibilität zu trainieren?
Mathias Fischedick: Meine Haltung ist: Probieren Sie alles aus, wagen Sie etwas Neues, solange es nicht illegal ist und Sie keine anderen Menschen verletzen. Bei einem Seitensprung verletzen Sie den anderen. Wenn Sie also das Verlangen auf Sex mit einer anderen Person haben, dann reden Sie mit Ihrem Partner offen darüber.
Ein Seitensprung ist ja oft nicht die Lösung eines Problems, sondern der Ausdruck, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt. Deshalb ist es langfristig wirkungsvoller, seine eigene Beziehung zu klären, als immer wieder fremdzugehen. Genauso lösen sich Probleme nicht durch regelmäßige Besäufnisse. Der Alkohol gibt uns für den Moment ein gutes Gefühl, danach ist aber alles genauso wie vorher.
Die Seitensprung-Fibel: Sie sagen, man sollte eigene Werte definieren und sich etwa fragen, warum man mit seinem Partner zusammen ist und was einen an ihm angezogen hat. Was bringt mir das, wenn der Reiz schon längst abgeliebt ist und ich feststelle, dass ich diesen Partner heute gar nicht mehr wählen würde?
Mathias Fischedick: Wenn Sie wirklich selbstverantwortlich leben, dann gibt es in meinen Augen nur zwei Möglichkeiten: Entweder entdecken Sie neue Werte an Ihrem Partner bzw. können die alten Werte wieder schätzen lernen oder Sie trennen sich. Jeder von uns erlebt mehrfach im Leben einen Wertewandel. Das, was uns als Teenager wichtig war, ist heute nicht mehr unbedingt ganz oben auf der Liste unserer Werte. Machen Sie sich bewusst, was Ihnen heute wirklich wichtig ist, was das Leben heute für Sie lebenswert macht.
Sprechen Sie mit Ihrem Partner darüber. Aus meiner Erfahrung entstehen Beziehungskrisen oft alleine deswegen, weil beide nicht über ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse sprechen ... und damit meine ich nicht nur den sexuellen Bereich. Wenn Sie nach so einem offenen Gespräch feststellen, dass Sie tatsächlich nicht mehr zusammenpassen, dann sollten Sie sich überlegen, ob Sie nicht beide glücklicher wären, wenn Sie sich trennen. Das klingt hart, ist aber ein erwachsenes Umgehen mit den eigenen Bedürfnissen.
In der heutigen Zeit muss niemand mehr zusammenleben und auch Frauen haben das Recht sich zu trennen, wenn die Beziehung einfach nicht mehr funktioniert. Wenn vor solch einer Trennung beide wirklich offen über ihre Bedürfnisse gesprochen haben und beide ernsthaft versucht haben, aufeinander einzugehen, dann kann so eine Trennung liebevoll und auf Augenhöhe geschehen, ohne Rosenkrieg.
Die Seitensprung-Fibel: Als Mentalcoach beraten Sie Menschen in Lebenskrisen. Welche Rolle spielen dabei Beziehungen?
Mathias Fischedick: In irgendeiner Form sind immer Beziehungen im Spiel. Sei es die zum Partner oder zur Partnerin, zu den Kindern, Eltern, Chef, Mitarbeitern, Kollegen, Freunden etc. Wenn ich zurückdenke, spielt die Beziehung zu einem Partner bzw. einer Partnerin in 80 % der Fälle, mit denen ich zu tun hatte, eine Rolle. Dabei aber nicht immer unbedingt die zentrale Rolle.
Die Seitensprung-Fibel: Haben Sie Beispiele, wie Paare Erotikkrisen konstruktiv bewältigen können?
Mathias Fischedick: Erotikkrisen sind nur selten Anliegen der Klienten, die zu mir kommen. Einen Fall hatte ich aber im Bekanntenkreis, der mich sehr beeindruckt hat: Das Paar hat schon lange zusammengelebt, bis dann eines Abends der Mann seiner Frau das Geständnis gemacht hat, dass er insgeheim auf eine spezielle Spielart steht und sich wünscht, dass beide diese zusammen ausleben.
Die Rede war von SM. Sie ließ sich darauf ein, auch wenn sie laut loslachen musste, als er das erste Mal mit Ledermaske und Reißverschluss vor dem Mund in das Schlafzimmer kam. Nach einigen SM-Versuchen musste sie feststellen, dass diese Art der Erotik nicht ihr Fall ist. Sie wollte aber ihren Mann auch nicht daran hindern, seine Vorliebe auszuleben, da es ihr wichtig ist, dass beide glücklich sind. Und so entstand das Ritual des »Freaky Friday«. Das bedeutet, dass an einem Freitagabend im Monat jeder der beiden getrennt voneinander den Sex haben darf, den er und sie möchten, mit wem immer sie möchten – solange er geschützt abläuft.
Es ist also kein geheimes Fremdgehen, sondern ein offenes Ausleben der eigenen Vorlieben. Für mich ist besonders interessant, dass die Beiden nach den ersten Monaten gar kein großes Verlangen mehr hatten, an den »Freaky Fridays« auszugehen, um Sex zu haben. Heute reicht ihnen oft einfach das Wissen, diese Möglichkeit zu haben, um sich frei zu fühlen. Und so sind sie heute auch oft an einem der speziellen Freitage zu Hause und lesen oder machen etwas anderes, ganz ohne Erotik.
Die Seitensprung-Fibel: Was raten Sie einem Mann, der seit Jahren in seiner Beziehung Sexfrust hat und keinen Ausweg weiß?
Mathias Fischedick: Das Thema offen bei seiner Partnerin ansprechen und Vorschläge machen, was er gerne machen würde, um die Beziehung wieder zu beleben, und was er sich von ihr wünscht, damit sein Frust vergeht. Nur dann hat sie die Chance, etwas dazu beizutragen, dass sich etwas ändert – und gleichzeitig stärkt es das Vertrauen zwischen den Partnern, wenn so offen über die sexuellen Bedürfnisse gesprochen wird.
Die Seitensprung-Fibel: Haben Sie Tipps für ein leichteres Beziehungsleben?
Mathias Fischedick: Haben Sie Spaß zusammen! Unternehmen Sie abwechslungsreiche Dinge miteinander – und das nicht nur im Bett. Tauschen Sie sich über Ihre Haltung zu aktuellen Themen aus. Und lassen Sie sich gegenseitig Freiräume. Hierbei sollten Sie abstimmen, wie viel Freiheit jeder von Ihnen braucht und wie die Umsetzung aussehen könnte.
Lieber Herr Mathias Fischedick, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!