Liegt Promiskuität in der Natur des Menschen?
»Die wechselt ihre Liebhaber wie ihre Schuhe.« – »Der schnappt sich doch alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.« Menschen, die ihre Partner oft wechseln, werden meist kritisch beäugt. In einer auf Monogamie und Treue ausgerichteten Gesellschaft gelten häufige Beziehungswechsel als wenig seriös oder gar unmoralisch. Auch Beziehungsunfähigkeit wird den Betreffenden oft unterstellt. Der Fachbegriff für dieses Phänomen ist »Promiskuität«. Aber was genau bedeutet er? Wann kann man überhaupt von Promiskuität sprechen? Und liegt es nicht sogar in der Natur des Menschen, seine Partner häufiger zu wechseln?
Promiskuität – was ist das eigentlich?
Der Begriff Promiskuität kommt aus dem Lateinischen (promiscuus »gemeinsam« und promiscere »vorher mischen«). Im engeren wissenschaftlichen Sinne bezeichnet er sexuelle Beziehungen, bei denen die Partner nicht nach bestimmten emotionalen oder sozialen Kriterien ausgesucht werden. Man könnte auch sagen: Promiskes Verhalten ist vor allem gekennzeichnet durch ein körperliches Interesse; die Befriedigung sexueller Bedürfnisse steht dabei im Vordergrund. Verliebtheit oder Liebe müssen nicht im Spiel sein, sogar gegenseitige Sympathie ist nicht immer gegeben. Insofern ist Promiskuität das Gegenteil der festen Paarbeziehung oder Ehe. Im Tierreich spricht man von promiskem Verhalten, wenn sich Männchen oder Weibchen in einer Saison mit mehreren Geschlechtspartnern paaren.
Vamps und Casanovas
Umgangssprachlich wird der Begriff der Promiskuität weiter gefasst bzw. weniger präzise verwendet. Personen, die häufig ihren Geschlechtspartner wechseln und keine längeren Beziehungen eingehen, gelten als promisk. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Normen und Werte wird dieses Verhalten oft negativ bewertet. Bei genauerem Hinsehen lässt sich allerdings schnell feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, konkrete Aussagen zum Beziehungsverhalten einzelner Betroffener zu machen. So scheitern zum Beispiel Quantifizierungsversuche schnell.
Wann kann man überhaupt von Promiskuität sprechen? Bei 2, 7, 20 oder mehr wechselnden Partnern pro Jahr? Wer will diese Zahl festlegen? Und kann die Anzahl der Geschlechtspartner ein ausschließliches Kriterium sein? Empirische Forschungen, die Ergebnisse aus Befragungen und auch die Tatsache, dass das Thema in vielen Internetforen heiß diskutiert wird: All dies zeigt, dass eine klare Eingrenzung und Definition des Begriffs nicht leicht ist. Sie hängt ab von gesellschaftlichen Traditionen und Konventionen, von Erziehung und Sozialisation des Einzelnen. Es kristallisiert sich schnell heraus: Es ist nicht nur ein Faktor, der promiskes Verhalten beschreiben könnte. So kann allein die Anzahl der Geschlechtspartner, die ein Mensch pro Jahr oder in seinem Leben hat, allenfalls ein Anhaltspunkt, nicht aber das ausschlaggebende Kriterium sein.
Lotterleben oder normaler Findungsprozess?
Daniel hat 5 Jahre lang in einer festen Beziehung mit Lisa gelebt – ganz treu und exklusiv. Schließlich scheitert die Beziehung, und Daniel macht sich nach einer Verarbeitungsphase auf die Suche nach einer neuen Partnerschaft. Er lernt Frauen kennen, verabredet sich, stellt manchmal aber schon nach dem ersten gemeinsamen Drink fest, dass eine Beziehung nicht in Frage kommt. Oder sie ist nicht interessiert. Mit anderen Frauen trifft er sich vielleicht häufiger, auch der eine oder andere One-Night-Stand ist dabei. Innerhalb eines Jahres schläft Daniel mit 7 verschiedenen Frauen. Dann lernt er Anna kennen – und lässt sich mit ihr wieder auf eine längere Beziehung ein. Wie ist das Verhalten von Daniel zu bewerten?
Sicher würden die meisten ihm kein verwerfliches »Lady-Hopping« unterstellen, auch wenn der reine Blick auf seinen »Frauenverschleiß«, also die Anzahl seiner Bekanntschaften und wechselnden Sexualkontakte den Schluss nahelegen würde. Aber Daniels Verhalten weckt wahrscheinlich eher Verständnis oder wird zumindest akzeptiert. Warum? Weil es von kurzer Dauer ist? Weil es nur eine Phase markiert hat, in der Daniel eine neue Beziehung suchte – und zwar generell doch eine auf Dauer angelegte? Eines bestätigt sich auf jeden Fall schon jetzt: Es müssen noch weitere Komponenten hinzukommen, um wirklich von Promiskuität sprechen zu können. Und in einem zweiten Schritt wäre auch noch zu erwägen, was genau an der Promiskuität eigentlich die verbreiteten gesellschaftlichen Ressentiments hervorruft.
Alles eine Typfrage: 5 Faktoren, die den Hang zur Promiskuität begünstige
Psychologische Studien haben ergeben, dass Menschen mit promiskem Verhalten meist bestimmte charakterliche Eigenschaften besitzen, die stärker ausgeprägt sind als bei anderen Personen. Dies bestätigt auch eine Untersuchung von David Schmitt. Mit seinem Team von der Bradley University in Peoria, Illinois führte er eine Untersuchung mit über 13.000 Teilnehmern aus 46 Nationen zu ihrem sexuellem Verhalten durch. Das Ergebnis: Es gibt fünf psychologische Faktoren – die »Big Five« –, die den Hang zur Promiskuität begünstigen. Große Extrovertiertheit, geringes Pflichtgefühl, ein geringes Maß an Verträglichkeit, ein bestimmter Grad an Neurotizismus sowie die Offenheit für neue Erfahrungen.
- Dass extrovertierte, also kontaktfreudige, nach außen gerichtete, offene und optimistische, abenteuerlustige Persönlichkeiten auch sexuell freizügiger sind, überrascht nicht sehr. Festzuhalten ist aber auch, dass sich nicht alle extrovertierten Charaktere automatisch promisk verhalten. Vielen genügt bereits das Knüpfen neuer Kontakte, das Gespräch und die Geselligkeit, ohne dass dieses zwingend zu einer schnellen Nummer führen muss.
- Ein eher geringes Pflichtgefühl sowie Konfliktbereitschaft – auch diese beiden Faktoren leuchten ein. Menschen, die sich schnell gegenüber anderen verantwortlich fühlen, auf Zuverlässigkeit und langfristige Bindungen ausgerichtet sind: Sie werden One-Night-Stands, heimliche Seitensprünge oder kurzfristige Affären kaum praktizieren.
- Ein hohe Verträglichkeit steht für kooperatives, freundliches Verhalten und generelles Vertrauen anderen Menschen gegenüber. Personen, die möglichst niemanden vor den Kopf stoßen wollen und eher auf Harmonie und Konsens Wert legen, findet man seltener unter den promisken Typen. Denn oft erzeugt promiskes Verhalten doch Verletzungen beim Partner, der sich vielleicht mehr erhofft und sogar Gefühle investiert hat.
- Interessant ist der vierte Punkt: der Grad des Neurotizismus. Wie man zunächst vermuten könnte, spricht ein ausgeprägtes neurotisches Verhalten für sehr häufige Partnerwechsel – denkt man zum Beispiel an extreme Bindungsunfähigkeit oder sexuelle Störungen. Tatsächlich waren in der Studie aber vor allem neurotische Frauen eher promisk, neurotische Männer hingegen eher monogam. Dies gilt besonders für Amerika; in anderen Ländern zeigte sich der Zusammenhang weniger deutlich.
- Große Unterschiede ergab die Studie hinsichtlich der Offenheit gegenüber Neuem. Der Drang, Neues kennenzulernen, den eigenen Erfahrungshorizont zu erweitern, ist für sich allein genommen nicht sehr aussagekräftig. In der Studie verhielten sich viele an Neuem interessierte Menschen dennoch monogam. Auch länderspezifische Verhaltensmuster waren weniger klar erkennbar als bei den anderen Persönlichkeitsmerkmalen. So unterstützt eine überdurchschnittlich ausgeprägte Offenheit gegenüber Neuem wohl nur in Verbindung mit weiteren Faktoren promiskes Verhalten.
Die ewige Sehnsucht nach Selbstbestätigung
Es kommt noch ein weiterer psychologischer Faktor hinzu. Der US-amerikanische Sexualforscher Alfred Kinsey, Autor der »Kinsey-Reports«, stellte fest, dass Unsicherheit und die Suche nach einer tiefen und befriedigenden Bindung oftmals Ursachen für Promiskuität sind. Ein Widerspruch in sich? So scheint es. Jedoch deutet gerade das Bedürfnis nach Selbstbestätigung auf eine ausgeprägte Unsicherheit hin. Und diese versucht man wiederum durch promiskes Verhalten zu beheben. Der Psychiater und Psychoanalytiker Wilhelm Reich wiederum vertrat die Auffassung, dass insbesondere die Suche nach sexueller Befriedigung zu promiskem Verhalten führt. Ist ein Partner gefunden, mit dem diese Befriedigung »funktioniert«, fehlt der eigentliche Grund für einen Partnerwechsel – man bleibt eher monogam. Aber was, wenn der entsprechende Partner einfach nicht gefunden wird? Gerade in unserer modernen Welt mit ihren vielen Möglichkeiten kommt die Angst ins Spiel, irgendwo gäbe es immer noch etwas Besseres. So schlägt Monogamie in ihren promiskuitiven Gegenpart um, in eine nicht enden wollende Suche nach der idealen Beziehung.
Modern ist, wenn man’s trotzdem macht
Auch bestimmte gesellschaftliche und soziologische Strukturen können Promiskuität fördern. Dies war besonders in den 1970er Jahren zu beobachten, als im Zuge der Studentenbewegung auch mit dem alten Muff und überkommenen Moralvorstellungen der Nachkriegszeit aufgeräumt wurde. Sexuelle Freizügigkeit, freie Liebe und wechselnde Partnerschaften wurden zum Ausdruck von Individualität und Abkehr von der spießigen, konservativen Elterngeneration.
Mit dem Aufkommen von HIV in den 80er Jahren änderte sich dies drastisch. Im Zeitalter von Aids gilt ausgeprägtes promiskes Verhalten auch als leichtsinnig und potenziell gefährlich. Bundesregierung und Gesundheitsämter warnen vor den gesundheitlichen Folgen ungeschützter, häufig wechselnder Sexualkontakte. Der Erfolg dieser Warnungen ist umstritten – aber die gesellschaftliche Haltung gegenüber Promiskuität ist jedenfalls in weiten Kreisen moralischer geprägt als in der Flower-Power-Zeit. Ausnahmen finden sich vor allem saisonal bedingt: In der Faschingszeit, bei Volksfesten wie dem Oktoberfest oder ähnlichen Anlässen werden Bedenken und Einstellungen schnell einmal über den Haufen geworfen. Faktoren wie Alkohol oder auch andere enthemmende Mittel wie Drogen und auch der »Herdentrieb« können selbst monogam lebende Menschen zu einem Seitensprung verführen.
Liegt Promiskuität nicht in den Genen?
Bezieht man die Biologie mit ein, scheint sich plötzlich alles von selbst aufzuklären: Wir können doch gar nicht anders! Promiskuität liegt uns im Blut, und ganz besonders den Herren der Schöpfung! Warum also der ganze Wirbel? Tatsächlich scheint es einige biologische Anhaltspunkte dafür zu geben, warum Menschen ihre Partner häufiger wechseln. Männer – so will es der Fortpflanzungsauftrag – müssen sich mit möglichst vielen Weibchen paaren, um für den Erhalt ihrer Art zu sorgen. So hat es die Natur bestimmt – auch wenn gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen Monogamie und Treue proklamieren und erzieherisch eingreifen.
Promiske Bienen sind produktiver und geben mehr Honig, Promiskuität bei männlichen Fischen erhöht die Spermienschwimmgeschwindigkeit … Das sind doch alles Zeichen! Sind wir mit diesen Erkenntnissen nicht fein raus? So einfach ist es dann natürlich auch nicht. Aus gutem Grund haben sich in unserer Gesellschaft bestimmte Moral- und Wertvorstellungen herausgebildet – und vor allem auch der Glaube an den Verstand und freien Willen des Menschen. Wir sehen uns nicht mehr als Marionetten der Natur, sondern verlassen uns im Leben auf unsere Entscheidungsfähigkeit und unsere Vernunft. Ganz gleich, ob ich häufige Partnerwechsel bevorzuge oder lieber monogam lebe – dahinter sollte eine bewusste Überlegung stecken. Alles andere wäre nun doch zu traurig.
Fazit: Jedem Tierchen sein Pläsierchen!
Unterm Strich stellt sich die Frage: Wie halten wir es nun mit der Promiskuität? Es ist wohl deutlich geworden: Einheitliche Maßstäbe zur »Diagnose« und Bewertung von promiskem Verhalten gibt es nicht. Weder die Anzahl der Partnerschaften noch bestimmte persönliche Eigenschaften oder gesellschaftliche Normen können hier verlässlich ansetzen, höchstens Anhaltspunkte geben. So hat jeder Mensch eine andere Vorstellung von Sexualität – und das ist gut so. Wer viele sexuelle Erfahrungen machen und sich die »Hörner abstoßen« möchte – bitte sehr. Er muss deshalb nicht gleich ein sexsüchtiges Monster sein. Und wer in einer monogamen Partnerschaft über Jahrzehnte glücklich und zufrieden ist – umso besser. Wichtig ist doch eigentlich nur eins: Wir sollten uns so verhalten, dass wir keinen anderen damit verletzen. Dies gelingt unter anderem durch Kommunikation, klare Absprachen, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, auch die Bedürfnisse anderer zu berücksichtigen. Ob das nun in der Einehe oder einem anderen sexuellen Lebensmodell geschieht, ist doch Jacke wie Hose. Oder?