Sex ohne Liebe – ein Ding der (Un)Möglichkeit?
Ein Mann und eine Frau treffen sich jeden Mittwoch um die gleiche Uhrzeit in seiner Wohnung. Der einzige Grund dafür ist hemmungsloser Sex. Die beiden haben eine Abmachung: Keine Gefühle – nur die sexuelle Beziehung zählt. So beginnt der Film Intimacy. Ist der vom Regisseur Patrice Chéreau bereits 2001 dargestellte »Sex ohne Liebe« heute salonfähiger denn je?
Häufig werden Liebe und Sex in einem Atemzug genannt. Aber sind Liebe und Sex darum gleich unzertrennlich? Können wir sie nicht auseinanderhalten, weil wir dazu rein biologisch gar nicht in der Lage sind? Oder sind es unsere moralischen Werte, die uns glauben machen, es gäbe keinen Sex ohne Liebe und umgekehrt? Fragen über Fragen – einige Antworten haben wir gefunden und sind dem Gedanken nachgegangen, warum es sich trotzdem lohnen könnte, über unverbindlichen Sex nachzudenken und die Frage »kann das funktionieren?« ohne ein schlechtes Gewissen zu beantworten.
»Bei Sex ohne Liebe käme ich mir vor wie ein Karnickel.«
Diana Körner, deutsche Schauspielerin
So formulierte es die deutsche Schauspielerin Diana Körner 2018 in einem Interview mit der Zeitschrift »Meins«. Und bringt damit vielleicht die Einstellung von vielen auf den Punkt. Vielleicht auch nicht. Immerhin ist Körner, die 1975 nackt im Playboy zu bestaunen war, 73 Jahre alt und bekennt, dass Sexualität in ihrem ganzen Leben nie Vorrang gehabt habe. Und nach Sex gesucht hätte sie auch nie. Vermutlich kam sie darum auch niemals in die Situation, eine erotische Begegnung einfach nur um ihrer selbst willen auszukosten.
Für viele ein No-Go: Beziehung nicht, aber Sex schon
Offensichtlich ist es aber für viele Menschen unvorstellbar, dass man sexuelle Gefühle von Liebe trennen kann.
- »Er hat Sex mit mir, aber er sagt er liebt mich nicht.« [Tatjana, 22]
- »Er hat keine Gefühle für mich, aber Sex mit mir.«[Carmen, 52]
- »Er will mit mir schlafen, aber keine Beziehung.« [Carola, 35]
Solche Beiträge findet man immer wieder in Internetforen. Sie zeugen davon, wie unmöglich es manchen erscheint, dass jemand zwar Lust auf einen Menschen hat, sich aber nicht an ihn binden möchte. Noch immer herrscht wohl die Ansicht vor, dass Liebe und Sex ein untrennbares Gespann darstellen – fehlt das eine, dann stimmt etwas nicht, lautet oft die Interpretation.
Stellen wir uns vor: Ein Mann und eine Frau treffen sich, sind scharf aufeinander und landen im Bett. Beide wollen nur eines: Leidenschaftlichen Sex ohne Verpflichtung, pure Lust ohne Beziehungsnachspiel. Seltsam, dass wir trotz aller Liberalität, trotz Feminismus und Geschlechterdebatte, trotz Liebesfreiheit und Toleranz noch immer stutzen, wenn es um derart puren Sex ohne Beziehungsabsichten geht.
Dabei scheint sich durchaus etwas geändert zu haben. Männern wird ja ohnehin nachgesagt, dass sie Sex ohne Verbindlichkeiten gut finden und offen dafür sind. Erklärt wird das gerne mit ihrer Libido beziehungsweise ihrem stark ausgeprägtem Trieb. Frauen unterstellt man, dass sie eher auf Liebe aus sind, weil sie einen Partner an sich binden müssen, und Sex allein ihnen darum nicht so wichtig ist. Aber schaut man sich mal ein paar Zahlen an, ergibt sich ein differenzierteres Bild:
- Laut einer repräsentativen Umfrage des GEWIS-Instituts können sich auch 95% aller deutschen Frauen sehr gut vorstellen, Sex ohne Liebe zu haben.
- Rund 66 % der Frauen bereuen ihren letzten One-Night-Stand nicht, geht aus einer norwegischen Studie hervor.
- Bei den Männern sind es nahezu 80 Prozent, die nach einem unverbindlichen Sexdate keine Reue empfinden.
- Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass Männer keineswegs allzeit bereit und kaum wählerisch sind, wenn es um Sex geht: Hat der unverbindliche Sex keinen Spaß gemacht, bereuen Männer ihren One-Night-Stand schon.
- Wenn Frauen ihre spontanen Liebesabenteuer bereuen, dann tun sie das häufiger, weil sie sich um ihren guten Ruf sorgen – also nicht, weil es Ihnen keinen Genuss bereitet hat.
3 Gründe, warum wir Liebe und Sex für untrennbar halten
»Man verliebt sich zwangsläufig in jemanden, mit dem man guten Sex hat.«
Da ist was Wahres dran. Schließlich steckt dahinter die Annahme, dass Sex ohne Liebe wegen der Hormone nicht funktionieren kann. Und diese Theorie wird sogar wissenschaftlich gestützt. Denn Untersuchungen belegen, dass während des Liebesspiels das Hormon Oxytocin ausgeschüttet wird, das dafür sorgt, dass sich zwischen zwei Menschen Bindungsgefühle entwickeln. Demnach kann selbst völlig belangloser, nur der Lust geschuldeter Sex Vorspiel für Liebesgefühle sein, weil wir Menschen biologisch darauf ausgerichtet sind.
»Man kann nicht mit jemandem intim werden, den man nicht mag.«
In der Tat ist der Geschlechtsakt so mit das Intimste, was wir mit einem anderen Menschen zusammen erleben können. Wir entblößen uns vor einem anderen, sind ihm auf dem Höhepunkt der Lust sozusagen ausgeliefert und zeigen Seiten unserer Persönlichkeit, die anderen sonst verborgen bleiben. Dafür muss man schon positive Gefühle haben, aber ob das gleich Liebe sein muss, ist fraglich.
»Sex nur aus Lust und Leidenschaft ist ein Mythos.«
Sich mal tabulos erotisch ausleben, mit einer wildfremden Person überwältigende Lustgefühlen erleben, ohne es zu bereuen. Wer träumt nicht davon? Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Mafo.de im Auftrag des Männermagazins Playboy belegt Sex mit einem Fremden – und damit ohne Liebe – den siebten Platz unter den Top Ten der Sexfantasien. 18,7 Prozent der Befragten stimuliert diese Vorstellung, aber wie wir aus anderen Statistiken wissen, machen nicht alle ihren Traum wahr. Geht nicht, funktioniert nicht, man trifft nicht den passenden Partner dafür, das Risiko ist zu hoch…diese und andere moralische Hürden hindern viele daran, Sex ohne Liebe überhaupt auszuprobieren. Und darum gehört er auch für etliche Menschen ins Reich der Mythen.
Können wir körperliche und seelische Gefühle überhaupt voneinander trennen?
Diese Frage wird seit Ewigkeiten heiß diskutiert. Folgt man wissenschaftlichen Ansätzen, ist unsere Lust ein nützliches Überbleibsel aus der Evolution. Oder vielmehr ein Vehikel, mit dem sich Bindung herstellen lässt, die letztlich in die Fortpflanzung münden soll. Neurowissenschaftler behaupten, dass wir uns immer wieder verlieben, weil auch die Liebe eine Art Trieb ist. Ähnlich wie Hunger oder Durst treibt sie uns an und dient grundsätzlich dazu, die Fortpflanzung zu fördern und uns dabei psychologisch zu helfen, indem wir uns an andere binden. Schließlich geht es ums Überleben, und dabei spielt Sex eine wichtige Rolle, denn ohne klappt es erfahrungsgemäß nicht mit der Fortpflanzung. Ohne Liebe, also Beziehung, allerdings schon. In dieser Theorie sind Liebesgefühle ein Mittel zum Zweck, aber eben kein notwendiges.
Auf der anderen Seite steht die Moral. Aus dieser Sicht ist es undenkbar, Sex mit einem Menschen zu haben, in den man nicht verliebt ist, oder den man nicht einmal kennt. Treue und Monogamie sind die Werte, die diese Ansicht stützen. Nur aufrichtige Liebe führt zu »gutem« Sex. Und wer wirklich liebt, ist treu und hat gar nicht das körperliche Verlangen nach einem anderen Menschen, das steckt als Grundthese dahinter.
Die Wissenschaft hat festgestellt – Sex ohne Liebe geht!
Lust und Liebe trennen – manchen gelingt das leicht, anderen weniger oder gar nicht. Dabei ist es wissenschaftlich betrachtet durchaus möglich. Verschiedene Untersuchungen belegen nämlich, dass Liebe und Lust zwar miteinander verknüpfte, aber doch unterschiedliche Gehirnregionen aktivieren.
So stellten Forscher der Universität Genf fest, dass Lust eine Gehirnregion stimuliert, die auch auf andere genussvolle Erlebnisse, wie beispielsweise gutes Essen, reagiert. Liebe dagegen aktiviert einen Bereich, der eng mit dem Belohnungszentrum und so mit Gewohnheiten und Süchten verknüpft ist.
Romantische Liebe gehört mit Bindung und Lust zusammen, ist aber auch etwas Eigenständiges, schreibt auch die amerikanische Psychologin Kayt Sukel in ihrem Buch »Schmutzige Gedanken«. Lust sei eine Art reflexartiger Prozess, der uns immer wieder zum Sex antreibe. Liebe zeige sich vor allem in einem Gehirnbereich, der am Entstehen von Euphorie beteiligt ist und das Belohnungssystem mit steuert. Rein theoretisch also ist es aus neurowissenschaftlicher Sicht durchaus möglich, diese beiden Bereiche voneinander getrennt zu erleben.
Liebloser Sex kommt häufiger vor, als man denkt
Wenn man intensiver darüber nachdenkt, könnte man durchaus behaupten, dass fast jeder schon einmal Sex mit jemandem hatte, ohne diese Person zu lieben. Und so hoch wir dieses Konstrukt namens Liebe auch hängen, selbst wenn Liebe beim Sex fehlt, ist dieser dann doch eher heiß, weil er aus einer lustvollen Begegnung resultiert, die frei ist von Beziehungserwartungen und Ansprüchen.
Am Anfang ist es oft erst nur Sex ohne Liebe
Wie sieht es denn am Anfang einer Beziehung aus, wo Liebe aufgrund der kurzen Zeit noch gar nicht gedeihen kann und es mehr die physische Anziehung des anderen ist, die einen fasziniert? Statistisch gesehen haben so auch 17 Prozent aller Deutschen schon in der ersten Woche der Bekanntschaft Sex mit dem anderen, bei 33 Prozent geht es bereits im ersten Monat erotisch zur Sache. Nur 2 Prozent dagegen warten das erste Jahr ab, bevor sie richtig intim werden.
Sex ohne Liebe in der Partnerschaft
Zehn gemeinsame Jahre, Kinder, Alltag – diese Herausforderungen sind eine Belastungsprobe für jede Partnerschaft. Und da kann beiden Partnern durchaus die Lust aufeinander vergehen, trotzdem wird noch alle paar Wochen miteinander geschlafen, selbst wenn der Akt nur noch eine schale Gewohnheit ist. Eine weitere Variante dieses lieblosen Körperkontakts praktizieren manche Paare, die sich innerlich schon voneinander getrennt, aber noch Sex miteinander haben, einfach weil der andere da ist und man mit ihm seine eigenen Bedürfnisse stillt. Wo bleibt denn da bitte die Liebe?
Kaufe Sex, will keine Liebe
Dann gibt es auch noch die Sparte »käuflicher Sex«. Laut einer Studie im Auftrag der Frauenzeitschrift Brigitte hatten 88 Prozent der deutschen Männer bereits mindestens ein Mal in ihrem Leben Sex mit einer Prostituierten. Und die Gewerkschaft Verdi schätzt, dass bis zu 1,2 Millionen Männer täglich zu Prostituierten gehen, also für Sex bezahlen. Liebesgefühle spielen hier ziemlich offensichtlich keine Rolle.
Fazit: 3 Tipps, wie Sie Sex und Liebe gut trennen können
Wetten, auch Sie hatten schon mal Sex ohne Liebe? Ob in einer kaputten Beziehung, bei einem One-Night-Stand oder in jungen Jahren… viele Menschen haben in ihrer Sexbiografie das ein oder andere liebeslose Erotikerlebnis vorzuweisen. Manchmal führt uns die Lust nämlich auch in die Irre: Wir fühlen uns von jemandem magisch angezogen, stellen aber beim Sex fest, dass es nicht stimmt, weil es körperlich nicht harmoniert – und schon sind die Liebesgefühle hinüber.
Wichtig ist, dass jeder seine eigenen moralischen Maßstäbe ansetzt und dabei Rücksicht auf andere nimmt. Denn wer selbst gut zwischen Liebe und Sex trennen kann, darf nicht automatisch damit rechnen, dass es dem anderen auch so geht. Darum sollten Sie diese Tipps beherzigen:
- Ehrlich sein: Sie müssen ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sollten aber doch ihren Sexpartner darüber aufklären, dass sie keine Beziehung wollen. Und das am besten, bevor sie sich miteinander vergnügen.
- Keine falschen Hoffnungen machen: Auch wenn es heiß hergeht und Sie auf Eroberungskurs sind, sollten Sie genau überlegen, was Sie dem anderen sagen. Auf Liebesschwüre, die Ankündigung von gemeinsamen Unternehmungen in der Zukunft und dergleichen sollten Sie der Fairness halber verzichten.
- Gezielt suchen: Sie wissen, dass Sie Sex und Liebe trennen können. Dann suchen Sie lieber nach Menschen, die auf der gleichen Wellenlänge schwimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie jemanden zufällig kennenlernen, der genau wie Sie tickt, ist eher gering. Casual-Dating-Portale zum Beispiel sind Meetingpoint für Gleichgesinnte, die nach Sex ohne Verpflichtungen Ausschau halten. Hier kommen Sie auf Ihre Kosten, ohne Gefahr zu laufen, jemanden zu verletzen, der doch eigentlich auf der Suche nach der großen Liebe ist.