Manifest der Freiheit: ein (Un)Treuebericht
Eine verheiratete Frau Anfang Vierzig fasst einen Entschluss: Sie weigert sich, ohne Kinder und mit insgesamt nur vier Liebhabern zu sterben. Da ihr Mann keinen Nachwuchs will, will sie wenigstens das andere, und startet das Projekt offene Ehe. Unter der Woche nimmt sie sich so viele Lover wie möglich, am Wochenende kehrt sie ins traute Heim zurück. In ihrem Buch berichtet die amerikanische Journalistin von ihrem wilden Jahr.
Lassen Sie sich durch das Cover – ein in heißes Rot getauchtes Paar ist in einen Zungenkuss vertieft – nicht irritieren. In diesem Buch geht es nicht um die ausschweifenden Sexeskapaden einer hemmungslosen Verführerin. Es geht um den Versuch einer sehr normalen, mittelalten Frau, sich selbst treu zu werden in einem erkenntnisreichen Erfahrungsprozess – der zugegeben viel mit Sex zu tun hat. Das wird aber nie ordinär oder pornografisch.
Respektvoll und hellsichtig schildert Rinaldi ihre Erfahrungen, das macht dieses Buch so bemerkenswert. Es ist viel mehr als das Resümee einer Intellektuellen, die den normalen Verfallserscheinungen einer modernen Ehe mit unkonventionellen Mitteln entgegenwirken will. Es ist die spannend zu lesende Chronik einer versuchten Liebesrettung – und zugleich der Bericht einer Selbstfindung. So gut und klug geschrieben liefert das Einsichten, die über das hinausgehen, was Ihnen herkömmliche Ratgeber zu Untreue und Sex bieten. Denn die Lektüre kann Ihnen ganz neue Perspektiven eines ziemlich altbekannten Themas eröffnen.
Buchvorstellung: Mein wildes Jahr: Zwei Tage Ehe, fünf Tage Sex
Darum geht's:
Knapp 20 Jahre Beziehung mit Scott liegen hinter Robin. Und es waren gute, treue, erfüllte Jahre. Doch mit 43 Jahren beginnt Robins biologische Uhr mächtig zu ticken und auch ihr Lebenswecker ist auf Alarm gestellt – soll es das gewesen sein? Nein, hofft die amerikanische Journalistin und handelt mit ihrem 10 Jahre älteren Mann Scott einen Deal aus: Sie wird sich selbst erfahren, ihre Grenzen ausloten und Sex in allen möglichen Varianten ausprobieren. Das Ganze im geschützten Rahmen, als Projekt »offene Ehe«, das auf ein Jahr angesetzt ist. In dieser Zeit wird Robin von Montag bis Freitag in einem angemieteten Apartment wohnen, wo sie tun und lassen kann, was sie möchte. Am Wochenende wird sie in das gemeinsame Haus zu ihrem Ehemann zurückkehren. Scott erklärt sich einverstanden und Robin startet ihren außergewöhnlichen Selbstversuch – der ein Vorspiel, einen Hauptakt und ein Nachspiel hat.
So ist der Inhalt strukturiert:
Drei Teile enthält das Buch, drei Phasen durchläuft auch Robins Entwicklung. Wir skizzieren mal kurz, worum es geht.
Teil eins: Das Vorspiel
Robin ist eine ziemlich normale Frau: Ihre Kindheit in der Provinz war so lala, eine Handvoll Beziehungen hat sie hinter sich. Scott ist der vierte Mann, mit dem sie Sex hat, der perfekte Partner, den sie letztlich nach 10-jähriger Beziehung heiratet. Sie hat schwere Phasen durchlebt, aber auch viele gute – nun steht sie an einem Wendepunkt. Denn ein Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen: ein Kind zu bekommen. Ehemann Scott weigert sich von jeher standhaft, Nachwuchs in die Welt zu setzen. Bis hin zur Sterilisation geht sein Widerstand, Robin ist verzweifelt. Was tun, wenn der Mensch, den man liebt, und der der einzige ist, mit dem man eine Familie gründen will, dies rigoros ablehnt, ja: sich absolut dagegen stemmt?
Robin kämpft wie eine Löwin. Erst darum, dass Scott doch noch seine Meinung ändert. Dann darum, der Beziehung wieder neuen Schwung zu verleihen. Sie arrangiert Sitzungen mit einem Paartherapeuten, macht Kurse für weibliche Selbsterfahrung, redet mit Scott, kauft Sex-Toys, liest Beziehungsratgeber und lässt mitten im Wohnzimmer eine Stange für Pole Dance installieren – man kann Robin auf keinen Fall vorwerfen, sich nicht richtig ins Zeug gelegt zu haben. Sie tut fast alles, um ihrer eigentlich intakten Ehe neues Leidenschaftsleben einzuhauchen. Ein Kind aber würde ihrem Leben Sinn geben, sie beide ganz machen – daran glaubt Robin. Und will sich nicht damit abfinden, dass ihr ein leibliches Kind versagt bleibt. Hoffnungslos zieht sie Bilanz und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht auf ihren Mann verzichten will – aber sich selbst sexuell weiterentwickeln möchte. So wird die Idee zu dem Projekt »mein wildes Jahr« geboren.
Teil zwei: Der Hauptakt
Über die Risiken und Nebenwirkungen eines derart unkonventionellen Arrangements sind sich Robin und Scott bewusst. Drei Regeln legen die beiden für ihre offene Ehe fest:
- Es dürfen sich keine engeren Beziehungen ergeben,
- Ungeschützter Sex ist tabu und
- Sex mit gemeinsamen Freunden ist untersagt.
Theorie und Praxis sind mitunter aber nur sehr schwer vereinbar, das ist auch eine der vielen Erkenntnisse, die Robin bei ihrem aufregenden Feldversuch gewinnt. Diesen nimmt sie niemals auf die leichte Schulter, sehr bedacht und reflektiert geht sie an die Sache heran und macht schier unglaubliche Erfahrungen. Etwa die, dass ein offenes Bekenntnis zur offenen Ehe von einer Frau auf Ablehnung stößt, dass im Freundeskreis die Meinungen krass auseinandergehen (von »seid Ihr mutig« bis hin zu »wie kannst Du nur« ist alles dabei) und manches viel leichter gesagt, als getan ist.
Robin experimentiert auf sämtlichen Ebenen: Sie meldet sich auf Dating-Plattformen an, flirtet mit wildfremden Männern auf der Straße, schließt sich einer urbanen Sex-Kommune an, besucht Tantra-Workshops und lernt Orgasmische Meditation. Sie sei keineswegs eine Esoterik-Tante, bekennt Robin, sie sei nicht für alles empfänglich. Genau das macht sie zu einer luziden Beobachterin der eigenen Entwicklung, bei der Robin unendlich viel Sex mit und ohne Penetration hat, mit Frauen, Männern und beidem, Fellatio in sämtlichen Varianten kennenlernt, gestreichelt, geleckt und dominiert wird und sich selbst dabei immer ein Stückchen näher kommt.
Nach fünf Monaten kommt die erste Krise – Scott leidet unter der Situation – und beiden wird erst so richtig klar, wie schwierig es ist, die Idee von einer offenen Ehe authentisch zu leben.
Teil drei: Das Nachspiel
An alles geht Robin unvoreingenommen, offen und neugierig heran – genau das macht den Reiz dieses Buches aus. Mit sich selbst geht sie bisweilen hart ins Gericht, sie beschönigt nichts, ist entwaffnend ehrlich und beeindruckt damit auf ganz eigene Art. Nach 12 Monaten ist Schluss mit der Promiskuität in beidseitigem Einverständnis, Robin zieht zu Scott zurück – und begreift, wie sehr dieses wilde Jahr sie verändert hat. Die Rückkehr in ihr monogames Leben gestaltet sich komplizierter, als sie dachte. Und manch eine Erkenntnis hat auch alte Ansichten über den Haufen geworfen. Mehr sei an dieser Stelle auf keinen Fall verraten: Lesen Sie selbst, wie es mit Robin und Scott weitergeht und was die Erfahrung der offenen Ehe und die vielen (S)Experimente mit den beiden machen. Es ist sicherlich mit das Beste, was Sie in diesem Bereich lesen können.
Dieses Buch zu lesen lohnt sich vor allem wenn …
- wenn Sie einen anspruchsvollen Erfahrungsbericht über (Un)Treue lesen wollen.
- wenn Ihnen eine richtige Perspektive für Ihre sexuelle Entfaltung innerhalb ihrer Beziehung und Ihrer eigenen Person fehlt,
- wenn Sie wissen möchten, welche Möglichkeiten es gibt, sich sexuell und ein bisschen auch spirituell weiterzuentwickeln,
- wenn Sie auf der Suche nach einem packenden, erhellenden und sehr intelligentem Buch über Liebe, Sex und Treue sind.
Selbsterkenntnis durch Sex: 8 sehr bemerkenswerte Zitate aus dem Buch
»Der einzige Nachteil war, dass ich nie getan hatte, was wohl die allermeisten Frauen in meinem Alter getan hatten: mit verschiedenen Männern auszugehen, ein bisschen rumzuvögeln, den einen oder anderen One-Night-Stand zu haben. Bisweilen empfand ich eine Rastlosigkeit, das Gefühl, nicht ganz vollständig zu sein….«
»Je mehr Männlichkeit ich bekam, desto weiblicher konnte ich sein.«
«Mir gefiel nicht nur der Sex, sondern auch das Essen, die Musik, die Gespräche – kurz gesagt, der intime Blick auf einen anderen Menschen.«
»Warum hatte mir nie jemand von der Befriedigung erzählt, nützlich zu sein, durch meinen Körper Lust und Lebenskraft zu schenken und dadurch selbst zu bekommen?«
»Für mich stellte diese biologische Realität, unabhängig von einer möglichen Schwangerschaft, die Trennung zwischen der ersten Hälfte des Lebens dar, in der jeder Moment vor Verheißung flirrt und der zweiten Hälfte, wenn selbst die schönsten Momente den Keim von Verlust in sich tragen.«
»Ich war so sehr daran gewöhnt, mehr zu wollen, als Scott gab, und permanent mit frustrierenden Kompromissen zu leben, dass der Gedanke, er – wir – könnten uns dauerhaft ändern, mich in Panik versetzte.«
»Zwölf neue Liebhaber im vergangenen Jahr. Einige waren gute Freunde geworden. Die meisten hatten mir geholfen, mich mit Teilen meiner selbst anzufreunden, die schon immer existiert hatten: das verletzte und unabhängige kleine Mädchen, der abenteuerlustige und unsichere Teenager, die heftige und unstete Erwachsene.«
»Im Grunde glaube ich nicht, dass Sex die einzige Möglichkeit ist, um sich selbst zu entdecken. Wahrscheinlich hätte ich malen, um die Welt reisen oder in stiller Kontemplation dasitzen können und hätte letztlich dieselben verborgenen Facetten meiner selbst entdeckt. Eines allerdings spricht meiner Ansicht nach doch für Selbsterkenntnis durch Sex: Wenn man wenig Zeit hat, ist das der effizienteste und sicherste Weg. Er endet im Körper, und der Körper vergisst nichts.«
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