Treu, was sonst?! Wir werden philosophisch: mit 4 Argumenten gegen Monogamie und 3 Argumenten für eine offenere Gestaltung von Liebesbeziehungen


Lächelndes junges Paar in Jeans, Rücken an Rücken

Anders treu – 4 Argumente, die heute gegen die Monogamie sprechen

Treue und Monogamie werden heute mehr denn je in Frage gestellt. Denn bei all den Freiheiten, die in unserer Gesellschaft hochgehalten werden, steht die Treue als Liebestugend noch recht unangefochten da. Dabei lohnt es sich zu hinterfragen, welche Argumente gegen Monogamie und welche für eine offenere Gestaltung von Liebesbeziehungen sprechen.

»Vielleicht ist die Monogamie die sexuelle Entsprechung zur Demokratie, die Winston Churchill mal die »am wenigsten schlechte Regierungsform« genannt hat. Sie ist okay. Sie bringt uns nur selten um. Und sie ist deshalb natürlich nicht zu Ende. Sie wird nur mehr denn je hinterfragt. Zu Recht. Ein wenig mehr Wissen, Bewusstsein, Vernunft in der Betrachtung all dessen schadet sicher nicht.«

Friedemann Karig, »Wie wir lieben«:

Die Themen dieses Beitrags:

Haben Sie schon einmal ernsthaft darüber nachgedacht, wie Sie zum Thema Treue stehen? Viele beschäftigen sich erst mit der eigenen Einstellung dazu, wenn der Ernstfall eingetreten ist, wenn nämlich man selbst oder der Partner fremdgegangen ist. Rein statistisch betrachtet ist die Monogamie ein kompletter Reinfall. Mehr als 50 Prozent der Beziehungen scheitern, vergangenes Jahr ließen sich in Deutschland 166.000 Paare scheiden. Und das ist vermutlich nur die Spitze des Eisberges. Denn viele Menschen schaffen es nicht, ihre Partnerschaft zu beenden, auch wenn diese noch so unglücklich ist. Stattdessen werden sie untreu, heimlich und ohne die Beziehung zu beenden.

Stell Dir vor, es ist Monogamie und keiner will sie...

Die Frage ist, warum wir so rigide an einem Beziehungsmodell festhalten, dass sich offensichtlich nicht bewährt. Diese Frage stellte sich auch der Journalist Friedemann Karig. Seine Überlegungen und Erkenntnisse hat er in Wie wir lieben zusammengetragen. Was er resümiert, ist sehr erhellend. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass wir immer freier werden: jeder beansprucht für sich selbst ein Maximum an Entscheidungsfreiheit, die Zeiten, in denen wir uns gesellschaftlichen Zwängen unterworfen haben, sind vorbei. Der Schwulenparagraf ist ebenso abgeschafft wie Ehegesetze – was also hindert uns daran, so zu lieben, wie wir wollen?

Wir selbst, sagt Friedemann Karig. Wir trauen uns nicht, aus dem Treuekäfig auszubrechen. Aber nicht, weil wir feige sind. Sondern weil uns eine Vorstellung davon fehlt, wie sie aussehen könnte, unsere post-monogame Lebensweise. Ganz offen, polygam? Mit Absprache oder geheim? Nach Lust und Laune oder akribisch geplant? Ganz ehrlich: Wir haben keinen Plan, wie das funktionieren kann. Vielleicht hilft uns eine sachliche Annäherung, das Treuemodell vom Sockel zu reißen und offen zu werden für andere Liebeskonzepte, die nicht ausschließlich monogam sind.

Treu geht auch anders: 4 zeitgemäße Argumente gegen Monogamie

Friedemann Karig hat in seinem Buch vor allem eines vor Augen: Paare, die Alternativen zur Monogamie zumindest mal ausprobiert haben. Er wirft sozusagen einen Blick unter die Bettdecke der Realität, indem er die Geschichten von Paaren wiedergibt, die versucht haben, einen anderen Liebesbegriff für sich zu definieren und zu leben – oder umgekehrt. Einmal zeigen diese Geschichten, wie schwer es ist, in anderen Treuekategorien zu lieben und welche Grenzen einer Partnerschaft dabei gesetzt sind. Die Berichte decken auch auf, welche Argumente gegen Treue sprechen. Wir haben einige extrahiert:

1. Wir wollen gar nicht wirklich treu sein

Wie viele Partner hatten Sie denn in Ihrem bisherigen Leben? Einen? Zwei? Oder mehr? Vielleicht kommen Sie auch auf 5,8 Sexualpartner, das zumindest ist der Durchschnittswert, den das Marktforschungsinstitut GfK im Auftrag von LoveScout24 in einer Studie ermittelte. Nicht jeder, mit dem Sie Sex haben, wird natürlich zum Langzeitpartner, aber immerhin zeigt das deutlich, wohin der Trend heute geht: in Richtung serielle Monogamie nämlich. Der Begriff hat sich eingebürgert, um unser zeitgenössisches Monogamiemodell zu beschreiben: Wir haben mehrere Partner im Leben, aber nacheinander. Und wenn wir einen haben, sind wir eben treu. Bis der nächste auftaucht, dann werden wir dem alten halt untreu. Monogamie in Reinform gibt es vielleicht in Romanen oder im Kino. Die meisten von uns finden ihr Beziehungsglück jedoch nicht auf Anhieb bei einer Person. Und wer bei einem Partner für ewig hängenbleiben, vermisst bisweilen etwas. So viel über unseren Willen zur ausschließlichen Treue.

2. Wir tun nur so, als ob wir treu wären

Was IST Treue eigentlich? Ein Gefühl? Eine Absichtserklärung? Ein Gesetz? Wer die richtige Anwort weiß, ist eine Runde weiter. Denn eigentlich kann niemand heute eine 100% hieb- und stichfeste Definition dafür abgeben. Schauen wir uns das Wort doch mal genauer an. Es leitet sich ab vom mittelhochdeutschen »Triuwe«. Klingt ähnlich, sieht ähnlich aus, meinte aber ursprünglich ein bisschen was anderes. Im Mittelalter gehörte die Triuwe zu den wichtigsten Tugenden und war Charaktermerkmal für einen ethisch vollkommenen Menschen – also einen, der nach gesellschaftlicher Ansicht alles richtig machte. Gemeint war damit eine Verbindlichkeit, ein kompromissloses Einstehen für den Verbündeten, Freund, Lehnsherren und auch die Ehefrau. Weiter wollen wir in die Materie nicht einsteigen, Tatsache aber ist, dass wir den Begriff der Triuwe einfach über die Jahrhunderte mitgezerrt haben und ihn als gesellschaftliches Muss akzeptieren, auch wenn sich die Zeiten gewaltig gewandelt haben. Genaugenommen tun wir nur so, als ob wir treu wären. Denn die bedingungslose und anspruchsfreie Hingabe an einen anderen Menschen ist in heutigen Zeiten ein bisweilen unerreichbares Ideal, zudem widerspricht diese Einstellung unserem Wunsch nach Freiheit und individueller Verwirklichung. Also ist das, was wir als treues Verhalten bezeichnen, eigentlich nur eine ziemlich agespeckte Version der ursprünglichen Tugend. Bedenkt man vor allem, wie viele Menschen beim Sex mit dem Partner an eine andere Person denken, sich YouPorn Videos anschauen und einem Fremdflirt nicht abgeneigt sind. Wer steckt da die Grenzen ab und bestimmt, ab wann hier die Rede von Untreue sein kann?

3. Wer treu ist, betrügt sich selbst

Echte Treue meint: Unterdrücke Bedürfnisse, die nicht passen, reiß dich zusammen und beiß dich durch. Auch wenn du in deiner Partnerschaft keinen Sex mehr hast, deinen Partner nervig findest und dich verliebt hast, darfst du nicht ausbrechen. Warum denn eigentlich? Wer in eine neue Wohnung zieht und nach ein paar Monaten oder Jahren feststellt, dass das Badezimmer schimmelt oder die Zimmer zu klein geworden sind, hat alles Recht dieser Welt, sich eine andere Behausung zu suchen. Ja, man erwartet es sogar. Keiner wird sagen: »Na, da musst du jetzt durch, schließlich hast DU dir diese Wohnung ausgesucht, da musst du ihr treu bleiben, auch wenn du nicht mehr gerne darin wohnst«. Kein vernünftiger Mensch würde so argumentieren. In Beziehungen aber schon: Es wird von uns erwartet, dass wir Negatives hinnehmen oder mit Beziehungsarbeit dagegen angehen. Schwierige Beziehungsphasen promoten wir als normal, sie auszuhalten wird als Tugend verbucht. Wir sollen Unglück ertragen und schlechte Zeiten in Kauf nehmen. Und warum? Weil. Eine andere plausible Erklärung gibt es wohl kaum. Bei Lichte betrachtet ist das dann doch Betrug an sich selbst. Man bringt sich um seine wahren Gefühle, unterdrückt die echten Emotionen und verharrt in einem Zustand, der zwar als treu zu bezeichnen ist, aber Kummer verursacht. Weil wir uns damit letztlich selbst hintergehen.

4. Monogam macht unglücklich

Glück ist relativ. Der eine verliebt sich ein einziges Mal im Leben und bleibt für immer mit dieser Person zusammen. Wen das glücklich macht, der kann sich glücklich schätzen. Was aber ist mit den vielen Menschen, die sich durch die vorherrschenden Treuevorstellungen eingeengt und um ihre sehnsüchte gebracht fühlen? Gerade in Zeiten wie diesen? Immerhin haben wir heute mehr Freiheiten als je zuvor. Wir können essen, arbeiten, leben und aussehen wie wir wollen. Piercings und Tatoos regen kaum mehr jemanden auf, zum Geschäftstermin kann man auch in Jeans kommen und Veganer werden auch nicht schief angesehen – obwohl das alles Trends sind, die ein wenig aus dem Rahmen fallen. Wer aber auf einer Party mit zwei Frauen, ergo Liebhaberinnen, auftaucht, muss mit Schimpf und Schande rechnen. Und wer untreu wird, wird auch moralisch abgekanzelt. Denn »sowas« macht man nicht. Viele Menschen macht das nicht glücklich: Sie beschneiden ihre erotische Freiheit und verwehren sich sexuelle und emotionale Erfahrungen. Nicht ohne Grund wird statistisch gesehen die Hälfte aller Menschen irgendwann einmal untreu – in vielen Fällen nicht aus Unüberlegtheit oder mangelnder Impulskontrolle. Sondern weil diese Menschen Treue und damit Monogamie offensichtlich nicht glücklich macht.

Fazit: Geht’s auch anders? 3 Argumente für eine offenere Gestaltung von Liebesbeziehungen

  • Treue ist mehr eine Einstellung als eine Tugend
    Wer treu sein will, muss es wollen, diese Meinung vertritt etwa Wolfgang Krüger. Der Paartherapeut sagt, wer sich dauerhaft an einen Menschen bindet, wird immer mit Versuchungen konfrontiert. Je überzeugter er hinter dem Monogamiegedanken steht, umso eher wird er in den entscheidenen Momenten widerstehen. Treue kommt also aus uns selbst. Wie wir sie interpretieren, sollte unsere Sache sein – solange wir mit unserer Einstellung nicht uns selbst oder anderen schaden.
  • Auch in der Liebe geht es um Verwirklichung
    Liebe und Sex sind und bleiben komplizierte, intime und persönliche Themen. Jeder und jede tickt anders, schreibt Friedemann Karig. Unsere sexuelle Identität ist Teil unserer Selbstverwirklichung – aber wir sind bereit, uns in der Liebe selbst zu maßregeln, uns Grenzen zu setzen und uns einzuschränken. Warum eigentlich? In allen anderen Bereichen wird Selbstverwirklichung propagiert. Wir sollen den Job finden, der uns erfüllt, den Ort suchen, an dem wir leben wollen, die Hobbys pflegen, die uns Spaß machen – alles, um zu uns selbst zu finden, uns zu verwirklichen und als Schmiede unseres Glücks dasselbe in die Hand zu nehmen. Nur bei Beziehungen gibt es ein enges Normkorsett, adas wir uns selbstverständlich anziehen. Womöglich, weil uns zuviel Freiheit unsicher macht. Und weil, wie Karig sagt, wir keinen Begriff davon haben, wie Alternativen aussehen könnt
  • Alles fließt… auch unser Liebesbegriff braucht Veränderungen
    Viel hat sich verändert in den vergangenen Jahrzehnten. Die sexuelle Revolution hat uns erotischen Freiraum erkämpft, die Reformation von Ehegesetzen hat Scheidungen vom Makel des gesellschaftlichen Scheiterns befreit, mit Internet und Datingtrends hat die große Welt der Möglichkeiten Einzug gehalten in unser Liebesleben. Wo steht da die Monogamie? Sie sollte ein Lebensmodell unter anderen sein, eine mögliche Form, Sex und Liebe zu leben. Nicht ein Dogma, nach dem wir uns alle richten, egal, wie wir uns dabei fühlen. Unsere Ansichten zu Treue hinken der gesellschaftlichen Entwicklung nach – höchste Zeit, dass umdenkt, wer dies möchte. Frei eben, ohne Zwang.



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